Ich mache den Job jetzt schon 13 Jahre, bin vor völligen Fehleinschätzungen aber nicht gefeit. Eigentlich hatte ich ein gutes Gefühl, als sich der Strafrichter am Amtsgericht Berlin-Tiergarten heute zurückzog, um sein Urteil zu überlegen. Die Staatsanwältin war im Lauf der Beweisaufnahme ausdrücklich von einigen wichtigen Punkten abgerückt und hatte lediglich eine Geldstrafe beantragt.
Mein Gefühl sagte mir, dass der an sich sachliche und sehr freundliche Richter irgendwwas in der Mitte wählen wird. Wohl nicht den von mir beantragten Freispruch oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt. Aber auch nicht die vollen 100 Tagessätze, welche die Staatsanwältin gefordert hatte.
Die Urteilsverkündung war dann ein Schlag in die Magengrube. Selbst die Anklagevertreterin blinzelte erstaunt, als neun Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung rauskamen. Und außerdem noch mal 80 Tagessätze Geldstrafe.
Vor dem Mandanten stand ich etwas blöd da. Hatte ich doch in der Pause darauf getippt, dass am Ende 50 bis 60 Tagessätze rauskommen werden.
Mit wohlfeilen Prognosen zu einem Zeitpunkt, an dem sowieso nichts mehr zu machen ist, halte ich mich künftig wohl besser zurück.