Schwer geschädigtes Kind bekommt 720.000 Euro Schmerzensgeld

Das Kind hat seit seiner Geburt schwere Hirnschäden, es ist erblindet und hat eine starke Hörschwäche. Das alles sind die Folgen schwerer Behandlungsfehler in der Geburtsklinik, stellt das Oberlandesgericht Frankfurt in einem Urteil fest. Die Folge ist ein Schmerzensgeld von 720.000 Euro.

Eine 37-jährige Frau war mit Zwillingen schwanger. Der für sie zuständige Arzt behandelte sie in der Geburtsklinik wochenlang stationär – bis einer der Föten im Mutterleib verstarb. Der darauf hin notwendige Notkaiserschnitt rettete dem zweiten Kind zwar das Leben. Es wurde dabei aber schwer geschädigt.

Im wesentlichen kritisiert das Gericht die Ausstattung der Klinik. Die hat nämlich keine neonatologische Intensivstation. Bei einer Hochrisikoschwangerschaft (Zwillinge, Alter der Mutter) müsse aber immer damit gerechnet werden, dass es zu einer Frühgeburt oder schweren Komplikationen kommt. Eine Notfallbehandlung müsse in solchen Fällen von vornherein gewährleistet sein. Das war hier nicht der Fall (Aktenzeichen 8 U 8/21).

Dorf streitet sich um „Minipigs“

Im allgemeinen Wohngebiet sind Haustiere erlaubt. Aber nur, wenn es sich um „Kleintiere“ handelt – zum Beispiel Katzen und Hunde. Ein Ehepaar aus Haßloch setzte allerdings nicht auf das Konventionelle. Stattdessen schafften die Eheleute zwei Minipigs an, die künftig in ihrem Garten lebten. Das wiederum empfanden Nachbarn als Schweinerei. Sie beklagten sich über Lärm und Gestank. So landete der Fall nun vor Gericht.

Minipigs sind kleinwüchsige Hausschweine. Sie wurden wurden ursprünglich für Forschungszwecke gezüchtet, werden aber zunehmend auch als Haustiere gehalten. Problem ist nur, dass der Name der Tiere leicht in die Irre führt. Denn die Minipigs, um die vor dem Oberwaltungsgericht Koblenz gestritten wurde, bringen immerhin 70 Kilogramm auf die Waage. Jedes. Manche Minipig-Sorten werden bis zu 150 kg schwer. Zum Vergleich: Ein Hängebauchschwein wiegt meist nicht mehr als 70 Kilogramm.

Auch wenn Haßloch sich selbst gern als „größtes Dorf Deutschlands“ rühmt, wollten die Koblenzer Richter nicht von den allgemeinen Regeln abweichen. Danach gilt: Im ausgewiesenen Wohngebiet sind nur Haustiere im „Handtaschenformat“ erlaubt, auch wenn die Gegend durchaus ländlichen Charakter hat. Nachbarn im Wohngebiet haben nach Auffassung der Richter einen „Gebietserhaltungsanspruch“. Die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen sei in solchen Gegend nicht mehr üblich und damit unzulässig.

Dem betroffenen Ehepaar bleibt es allerdings unbenommen, ihre Schweine woanders zu halten. In Haßloch und Umgebung gebe es noch genügend Dorfgebiete oder „Gemengelagen mit Dorfcharakter“, so das Gericht. Dort seien auch Minipigs durchaus erlaubt (Aktenzeichen 8 A 11067/24 OVG).

„Sie bauen mir absichtlich die Schaden“

Dass bei uns was mit der Meinungsfreiheit im Argen liegt, zeigt sich nicht nur an den Klagen vermeintlich beleidigter Politiker. Ein eindrucksvolles Beispiel ist auch der Fall einer Deutsch-Polin. Diese war mit der Leistung ihres Anwalts in einem Zivilprozess nicht zufrieden und kritisierte diesen in einem Brief. Sehr schnell fand sie sich dafür auf der Anklagebank.

Was hatte die Frau ihrem Anwalt geschrieben? „Ich habe das Gefühl, dass sie bauen mir absichtlich die Schaden“, „Weil Sie mich mit Ihrem Gelderschleichen versuchen zu betrügen“ und „jetzt werden wir ihre Betrug klären, ihre Inkompetenz“. Für diese Äußerungen sollte die Frau eine Vorstrafe kassieren (50 Tagessätze zu 30 Euro). Erst das Bundesverfassungsgericht gebot dem jetzt Einhalt.

Die Karlsruher Richter verweisen darauf, dass schon mangels „schwerwiegender Schimpfwörter“ keine – immer strafbare – Schmähung oder eine sogenannte Formalbeleidigung gegeben sei. Auch sei gar nicht geprüft worden, ob die Äußerungen einen sachlichen Zusammenhang mit der Mandatsführung des Anwalts hatten, im Kern also Kritik in der Sache darstellen können. Ebenso wenig hätten die Gerichte geprüft, ob die Äußerungen öffentlichkeitswirksam erfolgten. Auch blieb völlig unberücksichtigt, dass die Betroffene offensichtlich keine fundierten Deutschkenntnisse hat.

Am witzigsten fanden die Richter sicherlich das Argument des Amtsgerichts, die Frau habe sich strafbar gemacht, weil sie den Anwalt auch auf nicht beleidigende Weise hätte kritisieren können. Diese pauschale Aussage sei nicht mehr als ein Zirkelschluss, heißt es trocken. Die Sache muss jetzt neu verhandelt werden (1 BVR 1182/24).

(K)eine kranke Geschichte

Krankenhaustourismus der besonderen Art war heute ein Thema am Amtsgericht Lehrte. Dort saß ein obdachloser Mann auf der Anklagebank, der mehrere hundert Male Krankheiten vorgetäuscht haben soll, um in Kliniken übernachten zu können.

Schon in der Vergangenheit hatte der Angeklagte rund 200-mal als Rollstuhlfahrer in Kliniken eingecheckt, unter anderem mit der Behauptung, er sei an Multipler Sklerose erkrankt. Das brachte ihm eine zweieinhalbjährige Freiheitsstrafe wegen gewerbsmäßigen Betrugs ein. Diese Strafe saß er vollständig ab. Nach der Haftentlassung ging der Mann wieder auf Tour. Er häufte rund 60 weitere Klinikaufenthalte an, die seiner Krankenkasse mit 121.443 Euro berechnet wurden.

Vor Gericht berief sich der Angeklagte auf „Stimmen im Kopf“, denen sei er nicht gewachsen gewesen. Das nahmen ihm die Richter allerdings nicht ab, schon wegen des planmäßigen Vorgehens. Strafmildernd berücksichtigte das Gericht aber eine Persönlichkeitsstörung. Am Ende dennoch eine neue Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. „Seien Sie froh, dass Sie die Krankheiten, die Sie vorgetäuscht haben, nicht wirklich haben“, gab der Vorsitzende dem Angeklagten mit auf den Weg zurück in die Untersuchungshaft.

Ukraine: Auslieferung ist trotz drohendem Kriegsdienst zulässig

Ein in Deutschland lebender Ukrainer sollte in seine Heimat ausgeliefert werden, weil er dort wegen einer Straftat gesucht wird. Der Betroffene wehrte sich allerdings mit der Begründung, er verweigere aus Gewissensgründen den Wehrdienst. Ihm drohe aber nach dem Strafverfahren in seiner Heimat die Einziehung zu den Streitkräften.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Auslieferung des Mannes erlaubt, und zwar mit einer lesenswerten Begründung. Die Richter weisen nämlich darauf hin, dass auch bei uns in Deutschland im Verteidigungsfall Menschen zum Dienst herangezogen werden können, selbst wenn sie als Kriegsdienstverweigerer anerkannt sind. Möglich ist unter anderem die Zwangsverpflichtung für „Zwecke der Verteidigung“, zum Beispiel für den Zivilschutz (Art. 12a Abs. 3 Grundgesetz). Also gibt es auch bei uns keinen umfassenden Schutz vor „Wehrdienst“. Wenn aber Deutsche hier verpflichtet werden können, verstoße eine Auslieferung in die Ukraine, die ja aktuell einen Krieg führt, nicht gegen unabdingbare verfassungsrechtliche oder völkerrechtliche Grundsätze.

Von daher kann der Mann nun an die Ukraine ausgeliefert werden. Ob er tatsächlich eingezogen wird, hat die Ukraine zu entscheiden (Aktenzeichen 4 ARs 11/24).

Polizei darf Fingerabdruck erzwingen

Polizeibeamte dürfen euch zwingen, euer Handy per Fingerabdruck zu entsperren. Falls ihr euch weigert, können sie eure Finger auch gewaltsam aufs Display drücken. Das haben mittlerweile zwei Oberlandesgerichte entschieden.

Im neuesten Fall hatte sich ein Mann gegen die Zwangs-Entsperrung gewehrt. Dafür kassierte er jetzt eine Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Sein Handy wurde natürlich auch ausgelesen.

Ob so ein Vorgehen der Polizei tatsächlich mit der Strafprozessordnung vereinbar ist, scheint höchst fraglich. Aber was helfen Diskussionen, wenn Gerichte so was billigen? Vor Ort jedenfalls nichts.

Wer sein Handy gegen sofortige polizeiliche Zugriffe sichern will, muss also den Fingerabdrucksensor ausschalten und einen PIN-Code verwenden. Denn eines ist klar: Den PIN-Code muss man nicht herausgeben, weil es bei uns nach wie vor ein umfassendes Schweigerecht gibt. Stand heute.

Schmerzensgeld für Schufa-Eintrag

Die Drohung mit der Schufa ist ein beliebtes Instrument, wenn Firmen Forderungen durchsetzen wollen. Allerdings ist ein Schufa-Eintrag unzulässig, solange der Betroffene die Forderung bestreitet und diese nicht gerichtlich festgestellt ist. Nun bekommen Kunden eine zusätzliche Möglichkeit, sich gegen unberechtigte Schufa-Einträge zu wehren. Der Bundesgerichtshof bestätigte jetzt: Einer zu Unrecht bei der Schufa gemeldeten Frau steht sogar ein Schmerzensgeld zu.

Immerhin 500 Euro muss ein Mobilfunkanbieter zahlen. Dieser hatte die Kundin bei der Schufa wegen offener Handyrechnungen gemeldet. Die Frau hatte ihren Vertrag zwar verlängert, dies aber später widerrufen. Trotzdem kassierte sie vom Anbieter einen Schufa-Eintrag. Das Oberlandesgericht Koblenz wies in seinem Urteil darauf hin, dass der Anbieter den Widerspruch der Kundin zur Kenntnis nehmen musste. In diesem Fall sei eine Schufa-Meldung er zulässig, wenn die Forderung gerichtlich geklärt ist. Alles andere verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung – und dieser Verstoß ziehe eine „immaterielle Entschädigung“ nach sich, also ein Schmerzensgeld.

Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof grundsätzlich bestätigt. Allerdings sind die 500 Euro nicht in Stein gemeißelt, denn nach Auffassung der Karlsruher Richter hätte die Vorinstanz die Höhe des Schmerzensgeldes nur auf den Einzelfall beziehen dürfen. Die Richter in Koblenz hatten aber auch mit dem Abschreckungsgedanken argumentiert (Aktenzeichen VI ZR 183/22).

Sie nennen es Fortschritt: Mehr Beamte dürfen Robe tragen

Wisst ihr, dass Rechtspfleger „das Rückgrat der Justiz“ sind? Und dass ihre damit verbundene Bedeutung in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gewürdigt wird? Letzteres hat der grüne Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen nun mit einem ebenso mutigem wie entschiedenem Schritt geändert.

Kurz kann bei dieser Nachricht im Steuerzahler die Sorge keimen, dass den betroffenen Beamten durch eine Gehaltserhöhung geholfen wird. Das läge immerhin nahe. Rechtspfleger wickeln Erbschaften ab, vollstrecken gerichtliche Forderungen, führen Grundbuch und Handelsregister, außerdem zwangsversteigern sie Immobilien. Sie verharren also normalerweise in den Vergütungsstufen des „mittleren“, allenfalls des „gehobenen“ Dienstes; reich wird man dort nicht.

Dem Minister Benjamin Limbach kam allerdings eine andere Idee. Er erlaubt Rechtspflegern ab sofort, bei der Arbeit eine Robe zu tragen. Also das Kleidungsstück, welches Richter, Staatsanwälte und Anwälte seit jeher im Gerichtssaal überstreifen müssen, um überhaupt als anwesend zu gelten. Nun darf sich der Rechtspfleger also ebenso in eine Robe gewanden, wenn er in seiner Amtsstube die zugetragenen Akten abträgt. Oder er einen öffentlichen Auftritt hat, etwa bei der erwähnten Versteigerung.

„Durch die Robe wird die Bedeutung des den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern verliehenen öffentlichen Amtes und ihre Position als Vertreterinnen und Vertreter der Justiz klar und erkennbar hervorgehoben“, schwärmt der Justizminister. Eine naheliegende Frage wird in seiner Pressemitteilung allerdings ausgespart. Den vom Dienstherrn ermöglichten Prestigegewinn – so er denn einer ist – müssen auch Rechtspfleger selbst bezahlen. „Die Beschaffung der Amtstracht ist grundsätzlich Sache des Trägers“, heißt es seit jeher in der Robenverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Beamter wirft Akten in den Fluss

Weil er sich in seinem Job überlastet fühlte, wählte ein Rechtspfleger einen ungewöhnlichen Weg. Er steckte unbearbeitete Vollstreckungsakten in eine Tüte und warf diese in einen Fluss.

Das kostete dem Mann nun seinen Job. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden entfernte ihn per Urteil aus dem Dienst – obwohl der Beamte psychische Probleme hatte. Sein Verhalten untergrabe das Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatliche Verwaltung. Außerdem könne der Dienstherr dem Mitarbeiter nicht mehr trauen. Am Strafgericht war der Beamte besser weggekommen. Dort erhielt er nur eine Geldstrafe.

Die Akten waren übrigens nicht verloren. Die Wasserschutzpolizei konnte sie aus dem Fluss bergen, und nach dem Trocknen waren sie auch wieder lesbar (Aktenzeichen 28 K 263/22.WI.D).