Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung

Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Das ist so ziemlich der erste Spruch, mit dem dich ein Professor in der Anfängervorlesung Jura nervt. Es folgen viele weitere, aber dieser Spruch sollte hängenbleiben.

Tut er aber meist nicht.

Eine Auffrischung in simpler Gesetzeskunde versucht nun der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Er liest uns § 18 des Asylgesetzes vor, der da lautet:

Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn … er aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) einreist.

Das entspricht Art. 16a Grundgesetz, der wie folgt lautet:

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.

Diese Regelungen wurden im Jahr 1993 nach harter Debatte beschlossen, obwohl dem Bundestag klar war, dass wegen der sicheren Außengrenzen unseres Landes damit praktisch nur noch ein Asylanspruch für Menschen bestehen dürfte, die mit dem Flugzeug einreisen. Das war kein Fehler, das war gesetzgeberische Absicht. Und dennoch gab es dafür die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.

Zu den angeblichen europarechtlichen Bedenken hat Papier auch eine klare Meinung:

Zu Einwänden, Zurückweisungen seien aus europarechtlichen Gründen wie der „Dublin-II-Verordnung“ an der deutschen Außengrenze nicht ohne Weiteres möglich, sagte Papier, diese Frage stelle sich eigentlich nicht: „Denn in der Frage, wer zu uns kommen darf, ist der Kernbereich der staatlichen Souveränität Deutschlands unmittelbar betroffen.“ Ein souveräner Staat könne „nicht gezwungen werden, jeder Person aus der Welt, die an der Grenze angibt, Asyl zu wollen, die Einreise zu gewähren“.

Außerdem setzen die Verteilmechanismen aus dem „EU“-Recht voraus, dass die Außengrenzen der EU gesichert sind. Geschäftsgrundlage ist also eine geregelte, tatsächlich kontrollierte Migration. Das aber ist nicht mehr der Fall, und wer das Gegenteil behauptet, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit.

Zweite Geschäftsgrundlage ist, dass das eigentliche Verteilsystem funktioniert. Aber auch das ist nicht der Fall. Nach Deutschland strömen viel mehr illegale Migranten als in andere Länder. Die Zurückverteilung nach Dublin-Quoten, also über die Rücknahmeverpflichtung der Erstregistrierungsländer, scheitert aus vielen Gründen.

Deshalb hat der Ex-Gerichtspräsident völlig recht, wenn er in Richtung eines Notstandes argumentiert, der uns berechtigt, unter Berufung auf deutsches Recht schlicht Nein zu sagen. So wie es die sicheren Drittstaaten durch ihr Handeln ja faktisch auch tun, wenn sie illegale Migranten zu uns durchwinken – obwohl sie nach EU-Recht dazu gerade nicht berechtigt sind.

Selbst wenn die EU-Kommission in Zurückweisungen einen Rechtsverstoß sehen sollte, ist dieser damit nicht festgestellt. Darüber entscheidet der Europäische Gerichtshof. Der Ausgang des Verfahrens wäre vielleicht offen, aber bis dahin würde unser geltendes Recht durchgesetzt.

Ein Nein zu EU-Regelungen führt übrigens nicht zu einem Eintrag ins Klassenbuch. Derzeit laufen vor dem Europäischen Gerichtshof 64 Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland. Unter anderem widersetzt sich die Bundesrepublik EU-Regelungen wegen Nitratbelastung des Grundwassers, Lärmschutz an Eisenbahnstrecken und dem Schutz seltener Vogelarten.

Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof dauert im Schnitt 16,1 Monate. Eine Atempause. Eine zupackende Regierung könnte sie uns verschaffen.