Aus einem alltäglichen Missgeschick kann ein Fall werden, mit dem sich am Ende der Bundesgerichtshof beschäftigen muss. Eine Anwältin hatte sich aus der eigenen Kanzlei ausgesperrt, obwohl sie bis 23.59 Uhr eine Berufung einlegen musste.
Nachdem sie sich wegen Schwindels rund vier Stunden zu Hause ausgeruht hatte, wollte die Anwältin zurück ins Büro. Allerdings hatte sie den Kanzleischlüssel auf ihrem Schreibtisch liegen gelassen – Kollegen und Mitarbeiter waren nicht mehr da.
Zuerst hat die Anwältin eine Kollegin angerufen, sagt sie selbst. Die Kollegin sei jedoch auf einem auswärtigen Termin gewesen und habe nicht helfen können. Jetzt wird’s aber interessant: Telefonnummern weiterer Kollegen oder auch der Sekretärin habe sie nicht in ihrem Handy gespeichert gehabt, erklärte die Juristin. Deshalb habe sie die Berufung letztlich nicht schreiben und formgerecht einreichen können.
Diese Begründung reicht dem Bundesgerichtshof nicht. Wenn ein Anwalt Fristen ausreizt, muss er laut dem Gericht auch „das damit verbundene Risiko“ beachten und „erhöhte Sorgfalt“ anwenden. Zu folgenden Fragen vermisste der Bundesgerichtshof eine Antwort:
– Warum hat die Anwältin den Schlüssel nicht bei der Kollegin abgeholt, die einen Außentermin hatte?
– Wieso konnte die Anwältin die Kollegin nicht nach den Telefonnnummern der Kanzleimitarbeiter oder anderer Anwälte aus dem Büro fragen?
– Warum hat sie keinen Schlüsseldienst gerufen?
Bei so vielen Fragezeichen gewährte das Gericht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es ging um 45.000 Euro. Diesen Betrag muss jetzt möglicherweise die Haftpflichtversicherung der Anwältin ersetzen (Aktenzeichen IX ZB 31/23).