Was viele vielleicht nicht wissen: Volksverhetzung (§ 130 StGB) ist nicht per se strafbar. Zu den Tatbestandsvoraussetzungen gehört auch, dass die Äußerung geeignet ist, „den öffentlichen Frieden zu stören“. In anderen Konstellationen kann es zwar ausreichen, wenn die Äußerungen „verbreitet“ oder „der Öffentlichkeit zugänglich“ gemacht werden. Aber immerhin, solche Einschränkungen stehen nicht grundlos im Gesetz. Gleichwohl werden sie von Staatsanwälten, leider aber auch Richtern gern überlesen. Über die Frage, wann eine Verbreitung vorliegt, denkt momentan der Bundesgerichtshof nach.
Eine Rechtsanwältin hatte in eigener Sache dem Finanzamt geschrieben. In ihrem 339 Seiten langen Fax äußerte sie auch volksverhetzende Dinge. Das ist eher wenig überraschend, die Frau ist schon mehrfach einschlägig verurteilt. Allerdings hatte das Landgericht München beim Fax ans Finanzamt Probleme mit der erforderlichen „Verbreitung“. Denn das Fax war ja zu einem konkreten Fall ans Finanzamt gerichtet. Er erreichte somit nur die zuständigen Beamten. Das führte zu einem Freispruch, den die Staatsanwaltschaft nicht hinnehmen möchte. Nach Auffassung der Strafverfolger ist auch bei Behördenpost stes mit einer „Kettenverbreitung“ zu rechnen, überdies könne die Absenderin den Empfängerkreis nicht kontrollieren. Hierzu verwies der Anwalt der Betroffenen nachvollziehbar auf das Steuergeheimnis. Auch ansonsten schickten Beamte vertrauliche Behördenpost eher selten unkontrolliert durch die Gegend.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird hoffentlich etwas mehr Klarheit bringen, wann man von einem Verbreiten gerade nicht sprechen kann. Klassische Beispiele sind persönliche Briefe oder auch Mails, Rundschreiben in Vereinen, Aushänge am Arbeitsplatz und vieles mehr. Wichtig ist in solchen Fällen aber wie schon gesagt, überhaupt ein Problembewusstsein für diese zusätzlichen Tatbestandsmerkmale zu schaffen. Ich hatte zum Beispiel neulich den Fall eines Mannes, der sich auf Facebook volksverhetzend geäußert haben soll. Allerdings ist sein Profil privat – und ihm folgen ganze drei Leute aus dem Freundeskreis. Nach dem Hinweis darauf, dass das Gesetz mit „Verbreiten“ doch wohl etwas mehr meinen dürfte, war dann wenigstens eine Verfahrenseinstellung möglich (Aktenzeichen des Bundesgerichtshofs: 3 StR 33/24).