Gericht verweigert Auslieferung nach Großbritannien

Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist nicht bereit, einen gesuchten mutmaßlichen Drogenhändler auszuliefern – nach Großbritannien. Die Richter äußern Zweifel, ob die Situation in britischen Haftanstalten menschenwürdig ist.

Die britische Justiz verlangt die Auslieferung eines Albaners. Dieser soll mit fünf Kilogramm Kokain gedealt und 330.00 britische Pfund gewaschen haben. In Deutschland liegt gegen den Mann nichts vor, er wollte nach eigenen Angaben seine schwer kranke Lebensgefährtin besuchen. Das Oberlandesgericht musste deshalb entscheiden, ob der nationale Haftbefehl aus England und die „Red Notice“ von Interpol reichen. Einen Europäischen Haftbefehl gibt es wegen des EU-Austritts des Landes nicht mehr.

Der Anwalt des Betroffenen machte geltend, britische Gefängnisse seien baulich marode, chronisch überbelegt und die Atmosphäre sei durch Gewalt belastet. Belüftung, Licht und Raumgröße genügten nicht den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Karlsruher Richter verlangten von ihren britischen Kollegen eine Garantie für ordentliche Unterbringung des Mannes sowie Informationen zu den Haftanstalten, die in Frage kommen. Die Antwort fiel eher mager aus. Es gebe Modernisierungsprogramme, die Überbelegung betrage 107,5 %. Nachfragen wurden nicht beantwortet.

Der Albaner wurde ohne weitere Auflagen aus der Haft entlassen (Aktenzeichen 301 OAus 1/23).

Wer sich bedrängt fühlt, darf trotzdem nicht rasen

Weil er sich vom nachfolgenden Fahrzeug bedrängt fühlte, gab ein Berliner Autofahrer Gas. Er fuhr 88 km/h statt der erlaubten 50 km/h. Dumm nur: Der „Drängler“ war ein Wagen der Polizei. Gegen das einmonatige Fahrverbot sowie die Geldbuße von 260 Euro zog der Betroffene vor Gericht.

Der Amtsrichter erkannte die unschöne Rolle des Polizeiautos. Er reduzierte die „vorwerfbare Überschreitung“ auf 25 km/h. Das hätte dem Mann ein Fahrverbot erspart.

Doch die vorgesetzten Richter am Kammergericht Berlin sahen es anders:

„Einen Rechtssatz, eine Annäherung des nachfolgenden Fahrzeugs erlaube eine – zumal drastische – Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, gibt es nicht.“

In der Tat ist es ein klein wenig unlogisch, einem Drängler davon fahren zu wollen. Immerhin will der Drängler ja in der Regel das Tempo erhöhen. Er würde also ohnehin gleich wieder am Hinterrad kleben. Die Sache muss jetzt neu verhandelt werden. Klare Perspektive für den Berliner Autofahrer: Der Führerschein ist für einen Monat weg (Aktenzeichen 3 ORbs 158/23122 Ss 71/23).

Encrochat: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Encrochat-Problematik geäußert. Doch das letzte Wort ist damit nicht gesprochen.

Encrochat war eine Kommunikationsplattform. Sie versprach totale Abhörsicherheit für hohe Tarife. Anfang 2020 infiltrierten französische und niederländische Ermittler den Dienst – und lasen ein knappes halbes Jahr munter mit. Ihre Erkenntnisse teilten sie weltweit mit anderen Polizeibehörden. Auch in Deutschland gab es hunderte Verurteilungen zu meist hohen Haftstrafen.

Klingt erst mal nach normaler Polizeiarbeit. Allerdings weiß man bis heute nicht, wen die Franzosen und Niederländer aus welchem Grund abhören wollten. Oder haben sie sich tatsächlich zu einem Generalangriff auf die Plattform entschlossen, nach dem Motto: weil wir es können? Fakt ist jedenfalls, dass sich bei den mir bekannten Fällen der Anfangsverdacht überhaupt erst aus den Chatmitschnitten ergab, welche die Franzosen später ans Bundeskriminalamt schickten.

So eine Komplettinfiltration ist im Prinzip auch bei Telegram, Signal, Facebook, Twitter, Instagram und Twitch denkbar. Oder bei jeder anderen Plattform. Viele Millionen Menschen würden faktisch anlasslos durchleuchtet, ohne dass bis dahin etwas gegen sie vorliegt. Da darf einem schon mulmig werden.

Vor allem die federführenden Franzosen behandeln die Aktion als Staatsgeheimnis. Es ist noch nicht einmal genau bekannt, ob die Aktion als solche von einem Gericht abgesegnet wurde. Die deutschen Behörden kriegten nur die Rohdaten der Chats. Diese wurden bei uns mit enormen Aufwand aufbereitet. Die PDFs waren dann das „Beweismittel“. Friss oder stirb, bedeutete das in der Regel. Nachfragen zum Wie und Warum, zu möglichen Falschzuordnungen und anderen Fehlerquellen – unmöglich.

Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilungen mit eher lapidarer Begründung gebilligt. Nun ist das Bundesverfassungsgericht gefragt. Die Betroffenen berufen sich auf ein unfaires Verfahren, die Missachtung der Unschuldsvermutung, die Missachtung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter und diverse andere Grund- und Verfahrensrechte.

Erste Verfassungsbeschwerde hat der 2. Senat des Verfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerden sollen unzulässig sein, und zwar aus einer Vielzahl verschiedener Gründe. Inhaltlich äußert sich Karlsruhe aber nicht zu den rechtlichen Problemen. Die Frage, ob die Verurteilten tatsächlich zu Recht in den Knast gegangen sind, ist also nach wie vor offen.

Fünf weitere Verfassungsbeschwerden zu Encrochat sind in Karlsruhe offen. Möglicherweise kommen auch noch Impulse von europäischer Ebene. Das Landgericht Berlin hat dem Europäischen Gerichtshof schon Fragen vorgelegt. Außerdem können Betroffene noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Etliche Angeklagte sind aber faktisch außen vor. Sie haben Geständnisse abgelegt, meist weil ihnen eine mildere Strafe angeboten wurde. Ihre Verurteilung beruht also auf Encrochat und dem Geständnis. Da wird’s natürlich eng, selbst wenn die Encrochat-Geschichte vor Gericht doch noch eine rechtsstaatliche Aufarbeitung erfährt (Aktenzeichen 2 BvR 684/22 und andere).

Wenn das Zoom-Gericht tagt

Die Gerichtsverhandlung über Video ist zwar noch nicht die Regel. Aber immer mehr Gerichte nutzen die Möglichkeit, den Fall virtuell zu klären und den Beteiligten die Anreise zu ersparen. Möglich ist das am Zivil-, Verwaltungs-, Sozial-, und Finanzgericht. Also so gut wie überall, mit Ausnahme der Strafgerichte. Bei Videoverhandlungen hängen die Fallstricke aber niedrig. Das zeigt aktueller Fall.

Das Finanzgericht in Münster hatte die mündliche Verhandlung durch eine Video-Schalte ersetzt. Bild und Ton waren da. Allerdings betätigte sich der Vorsitzende Richter als „Regisseur“. Mal blendete er im Bild alle Richter ein. Aber auch mal nur den, der gerade sprach. Zwei Drittel der Sendezeit soll nur der Vorsitzende selbst zu sehen gewesen sein. Das belegt jetzt keine übertriebene Selbstverliebtheit. Der Vorsitzende hat fast immer den größten Redeanteil.

Der Kläger aus dem Verfahren wehrte sich aus formalen Gründen gegen die Entscheidung des Finanzgerichts. Seine Begründung: Jedes Gericht muss während der Verhandlung ordnungsgemäß besetzt sein. Das heißt, alle Richter müssen anwesend sein. Sie dürfen nicht schlafen. Oder per SMS den Babysitter absagen. Alles schon dagewesen.

Nur, so der Kläger, ohne ein Panoramabild von der Richterbank könne er dies am anderen Ende der Leitung nicht überprüfen. So simpel die Argumentation, so zugkräftig war sie. Der Bundesfinanzhof gab der Revision des Mannes statt. Neben schlafenden Richtern verweist der Bundesfinanzhof auf einen anderen Fall. Dort war einer der Richter erst kurz nach Verhandlungsbeginn am Arbeitsplatz erschienen. Bei einer virtuellen Verhandlung hätte der Kläger das ohne durchgehendes Bild von der Richterbank nicht feststellen können.

Wenn man im Prozess eine Klatsche gekriegt hat, lässt sich die Sache so ganz neu aufrollen. Ob das Ganz die Lust von Richtern auf Videoverhandlungen steigert, ist eine andere Frage (Aktenzeichen V B 13/22).

Gnadenstoß für Vorratsdatenspeicherung

Nun zur guten Nachricht des Tages: Es wird in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung geben. Das Bundesverwaltungsgericht beerdigt mit einer heute bekanntgegebenen Entscheidung den Wunsch nach einer vorsorglichen Totalspeicherung von Verbindungsdaten aller Bürger, egal ob beim Telefon, im Mobilfunk oder im Internet.

Die schon seit Jahren in Paragrafen gegossene umfassende Vorratsdatenspeicherung verstößt nach Auffassung der Richter gegen EU-Recht. Sie ist deshalb nicht anwendbar, wie das Gericht ausdrücklich feststellt. Schon die Vorinstanzen und andere Gerichte haben die Vorratsdatenspeicherung vorläufig blockiert.

Nach der heute bekanntgegebenen Entscheidung ist eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch unspezifizierte Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten unzulässig. Laut den Richtern fehlen „objektive Kriterien“, die einen Zusammenhang zwischen Speicherung und verfolgtem Zweck herstellen.

Außerdem habe der Gesetzgeber bei Telefondaten die vom Europäischen Gerichtshof geforderte strikte Begrenzung der Zugriffsrechte auf „Fälle der nationalen Sicherheit“ nicht umgesetzt. Bei Internet-Verbindungen hätte die Nutzung auf Fälle schwerer Kriminalität und schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beschränkt werden müssen. All dies hat der Gesetzgeber laut dem Urteil versäumt.

Die Vorratsdatenspeicherung steht zwar nach wie vor im Gesetz. Sie bleibt aber außer Kraft (Aktenzeichen 6 C 6.22 sowie 6 C 7.22)

Datenschutzpanne allein reicht nicht für Schmerzensgeld

Datenschutzpannen können für Unternehmen teuer werden – oder auch nicht. Bisher war die Hoffnung vieler Betroffener, dass alleine ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung schon zu Ersatzansprüchen führt. Doch im Fall Facebook sieht es das Oberlandesgericht Hamm anders. Damit steht auch ein Geschäftsmodell für Anwälte auf dem Spiel.

Bei Facebook waren vor einigen Jahren die Namen und Telefonnummern von 500 Millionen Kunden geleakt. Damit hat Facebook ganz klar die Datenschutzgrundverordnung verletzt. Die Verordnung sieht auch eine Ersatzpflicht für Schäden vor. Allerdings ist die große Frage, ob das auch schon zu einer Art Schmerzensgeldanspruch führt.

Die Klägerin verlangte 1.000 Euro von Facebooks Mutterfirma Meta. Das Datenleck habe bei ihr ein Gefühl des Kontrollverlustes, des Beobachtetwerdens und einer Hilflosigkeit ausgelöst. Vor Gericht sagte sie persönlich lediglich, sie habe ein „Gefühl der Erschrockenheit“ verspürt.

Das reicht nach Auffassung des Gerichts nicht für ein Schmerzensgeld (immaterieller Schaden), denn das Gericht sieht eine Bagatellgrenze. Das kennt man von Verkehrsunfällen. Dort reicht eine bloße Nackenverspannung nach einem Auffahrunfall oft auch nicht für ein Schmerzensgeld. Bei Datenschutzpannen wird man also künftig eine besondere Betroffenheit belegen müssen, um eine Genugtuung zu erhalten.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm gefährdet auch das Geschäftsmodell etlicher Anwaltskanzleien. Diese fordern mit meist einheitlichen Schreiben Schadensersatz, die eingereichten Klagen haben ebenfalls oft ähnlichen Wortlaut. Im Facebook-Fall sollen mehrere tausend Verfahren laufen (Aktenzeichen 7 U 19/23).

Kein Empfang: Mobilfunkkunde holt sich 2.800 Euro Schadensersatz

Wenn das Handy keinen Anschluss findet oder das Festnetz streikt, reiht man sich mit größter Freude in die Warteschleife beim Anbieter ein. Habt ihr bei einer Beschwerde schon mal den Hinweis erhalten: „Falls wir die Störung nicht innerhalb von zwei Tagen beseitigt haben, können Sie für jeden weiteren Tag 5 Euro Entschädigung verlangen, ab dem fünften Tag sogar 10 Euro pro Tag.“ Nein? Dann vielleicht hier der Hinweis, dass es dieses Recht wirklich gibt. Ein gefrusteter Telefonkunde aus Göttingen setzte es sogar gerichtlich durch. Er bekommt 2.800 Euro.

Rund zehn Monate konnte der Mann zu Hause nicht telefonieren. Gemeldet hatte er die Störung nach einem Monat. Laut Mobilfunkanbieter war der Sendemast überlastet. Der Kunde habe aber über WLAN telefonieren können. Diese Argumentation überzeugte das Landgericht nicht. Der Kunde habe nach § 58 TKG (Telekommunikationsgesetz) den Entschädigungsanspruch. Auf die Ursache komme es nicht an, so lange keine höhere Gewalt vorliegt. Ein Kunde müsse sich auch nicht auf WLAN-Telefonie verweisen lassen, denn diese sei kein gleichwertiger Ersatz für den Mobilfunk. Für die 10 Monate ohne Anschluss bekam der Mann die gesetzliche Entschädigung, insgesamt 2.800 Euro.

Alternativ zu den Festbeträgen können Kunden ab dem zweiten Tag übrigens auch 10 Prozent des Monatstarifs, ab dem fünften Tag sogar 20 Prozent verlangen. Wo wir schon bei weitgehend unbekannten Rechten sind: Versäumt der Anbieter einen Kundendienst- oder Installationstermin, muss er hierfür ebenfalls zehn Euro gutschreiben (Aktenzeichen 4 O 78/23).

Richter macht aus einem Doppelzimmer ein Vierbettzimmer

Wenn man für acht Reisende „Doppelzimmer“ in einem Hotel bucht, wie viele Zimmer kriegt man? Ich würde sagen: vier. Das Amtsgericht München rechnet jedoch anders. Laut seinem Urteil können „Doppelzimmer“ für acht Personen auch zwei Räume sein, in denen jeweils vier Personen schlafen.

Ein Mann organisierte eine Italienreise für acht Personen. Er wollte vier „Doppelzimmer“. Dieses Wort fiel ausdrücklich, aber in der Buchungsbestätigung stand nichts von der Zimmerzahl. Womöglich aus gutem Grund. Das Hotel stellte zwei Zimmer mit jeweils vier Betten zur Verfügung. Der Kunde hatte aber auf gehobene Mittelklasse (4 Sterne) gehofft, nicht auf eine Herberge im Hostel-Style. Er verlangte die Hälfte des gezahlten Preises zurück.

Das Amtsgericht lehnt dies ab, und zwar mit einer eigenwilligen Interpretation des Begriffs „Doppelzimmer“. Es sei nicht unüblich, dass Doppelzimmer auch ohne besonderen Zusatz für mehr als zwei Personen verwendet werden. Keine Ahnung, wo der Richter solche Auslandserfahrungen sammelt…

Den sonst üblichen Zusatz „Mehrbettzimmer“ oder „Doppelzimmer mit Zustellbetten“ hält das Gericht für verzichtbar. Denn für die Reisenden habe sich schon aus dem Preis ergeben müssen, dass sie keine vier Zimmer bekommen. Immerhin hätten sie „nur“ 81 Euro pro Nacht und Nase gezahlt, und das für 4 Sterne und All-Inklusive-Leistungen. Das sei so wenig, dass die Reisenden redlicherweise nur zwei Zimmer erwarten konnten.

Ich komme nicht darüber hinweg, wie man den Begriff des Doppelzimmers (italienisch: camera doppia) ernsthaft so zurechtbiegen kann, dass daraus ein Schlafplatz für vier Personen wird. Müsste es dann nicht Doppel-Doppel-Zimmer heißen? Oder, wie naheliegend, schlicht „Vierbettzimmer“. Na ja, immerhin haben die Reisenden ja auch ein bisschen Glück gehabt. Das Hotel hat ihnen nicht noch Fremde mit auf die Zimmer gelegt (Aktenzeichen 242 C 403/23).

Gericht, based

Das Gericht lehnt es ab, die Anklage gegen meinen Mandanten zu verhandeln. Zumindest den Teil, der ihm Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zur Last legt.

Aus dem Beschluss:

„Das Auffinden von Feinwaagen stellt … kein ausreichend gewichtiges Indiz dar. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Besitz von Feinwaagen durch einen Betäubungsmittelkonsumenten den Schluss auf ein Handeltreiben zulässt, kann der Angeschuldigte die Feinwaagen vorliegend für ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in der Vergangenheit verwendet haben, wofür im übrigen auch spricht, dass im Zeitpunkt der Wohnungsdurchsuchung weder Schuldnerlisten noch Bargeld (erst recht nicht in „szenetypischer Stückelung“) aufgefunden worden sind.“

Das ist erfreulich based. Leider gibt es auch andere Gerichte, bei denen ein paar Druckverschlusstüten und ’ne Waage den Tatnachweis ganz weit nach vorne bringen.

„Quelle: Internet“

Die bayerische Polizei hat nach einer Gewalttat online nach einem aktuellen Foto des Verdächtigen gesucht. Besonders erfolgreich war sie dabei nicht. Die Beamten veröffentlichten das Bild eines anderen Mannes. Dieser hat zufälligerweise den gleichen Namen.

Der Flüchtige soll seine Mutter so schwer verletzt haben, dass diese starb. Die Beamten fürchteten weitere Gewalttaten. Sie hatten zwar ein Bild von dem 23-Jährigen. Das Foto soll aber nicht mehr aktuell gewesen sein.

Eine kurzfristige Recherche im Internet brachte die Polizei auf die „Spuren“ eines gleichnamigen und wohl ähnlich aussehenden Mannes. Dessen vermeintlich passendes Foto nutzte die Polizei dann zur Fahndung.

Nach Hinweisen von Bürgern wurde das Bild rausgenommen. Der mutmaßliche Täter wurde nach zweitägiger Großfahndung in Oberfranken gefasst.

Bericht im MDR

Tolle Frau sucht tollen Mann

7.400 Euro investierte eine Frau aus München in die Dienste einer exklusiven Partnervermittlung. Sie gab in einem mehrstündigen Interview ihre Wünsche zu Protokoll. Darauf erhielt sie innerhalb einer Woche 20 Partnervorschläge, insgesamt bekam sie 31 Partnervorschläge. Doch der Richtige war nicht dabei. Am Ende fiel die Frau vom Glauben ab. Sie verklagte die Partnervermittlung auf Rückzahlung.

Die Partnersuchende hatte hohe Erwartungen. Ihr Neuer sollte maximal 50 Jahre alt sein, groß, schlank und sehr sportlich. Die Optik sei ihr insgesamt „sehr wichtig“. Außerdem sollte der neue Partner zwingend aus München oder dem Münchner Umland kommen. Die Partnersuchende – ich habe so eine unbändige Lust dieses Wort zu wiederholen – schätzte sich selbst nämlich als „zeitlich und örtlich unflexibel“ ein.

Wir wissen nicht, ob dies ihr einziger Minuspunkt auf der Tinder-Skala ist. Bedauerlicherweise enthält sich die Pressesprecherin des Landgerichts München I in ihrer Mitteilung jedweder weiteren Information über die Klägerin. Wir erfahren also nicht, wie groß diese selbst ist, wie schlank und wie sportlich. Ob, kurz gesagt, die Optik auch bei ihr stimmt. Nicht einmal das Alter erfahren wir. Schlauer Schachzug der Justiz womöglich, weil sonst direkt neue Klage.

Wir können uns deshalb kein näheres Bild darüber machen, ob die Klägerin ihren eigenen Wert auf dem rauen Dating-Markt falsch taxierte. Wir erfahren aber immerhin, dass sich der zuständige Richter die 31 Partnervorschläge angeguckt hat. Nach seiner Einschätzung waren die präsentierten Männer nicht komplett unzumutbar und irgendwie viel zu weit weg wohnend. Damit seien auch „die Vermittlungsvorschläge insgesamt nicht in einem solchen Maße ungeeignet“ gewesen, dass man von einem Totalversagen der Partneragentur ausgehen muss. Ausdrücklich betont das Gericht, das alles ergebe sich aus einer „wertenden Betrachtung“.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, es kann also bei erneut „wertender Betrachtung“ in der nächsten Instanz noch mal spannend werden (Aktenzeichen 29 O 11980/23).

Macht euch mit dem Aiwanger-Flugblatt nicht unglücklich

Habt ihr in sozialen Medien über den Fall #Aiwanger diskutiert? Gut. Habt ihr das fragliche Flugblatt in eure Tweets oder Posts eingebettet oder es verlinkt, wie das gang und gäbe ist? Suboptimal. Ich erkläre warum.

Das Flugblatt ist vor 35 Jahren geschrieben worden. Damals bestand der Volksverhetzungsparagraf aus zwei Absätzen. Die Verbreitung des Flugblatts wäre damals wohl nicht als Volksverhetzung strafbar gewesen. Sondern allenfalls als Beleidigung. Sagt zum Beispiel Ronen Steinke von der Süddeutschen Zeitung Er hat die Rechtslage analysiert. Wobei ich anmerken möchte, man kann sogar darüber diskutieren, ob das Verteilen des Flugblatts sogar komplett war. Denn das mit der Beleidigung ist nur über Umwege zu begründen.

Heute sieht es anders aus.

Der Volksverhetzungsparagraf acht mittlerweile Absätze. Ein neuer Absatz lautet:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“

Ein weiterer Absatz lautet:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“

Ein weiterer lautet:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter achtzehn Jahren einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) anbietet, überlässt oder zugänglich macht, der
a) zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt,
b) zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert oder
c) die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden oder
2. einen in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.“

Dann schaut euch noch mal das Flugblatt an. Wenn man es als Verhöhnung jüdischer Opfer des Nationalsozialismus betrachtet, ist der Inhalt heute volksverhetzend. Wenn man es als menschenverachtend und aufpeitschend einstuft, dürfte es heute strafbare Hassrede sein. Lest euch nur die Buchstaben a) und b) im zuletzt zitierten Absatz durch. Man braucht keine große Juristenpower, um den Tatbestand zu bejahen. Um jemanden da rauszuhauen, schon.

Wer das Flugblatt auf Twitter, Facebook oder anderswo postet, macht es „öffentlich zugänglich“. Das ist nicht wegzudiskutieren.

Wer das Flugblatt online stellt, kann also eine Volksverhetzung nach heutigem Recht begehen. Was kann euch retten? Es ist möglicherweise die Vorschrift des § 86 Abs. 4 StGB, der entsprechend angewendet wird. Lest selbst:

„Die(s gilt) nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“

Klingt vernünftig dieses Privileg. Ich würde mich nur nicht darauf verlassen. Manche Freiheit, die sich zu ergeben scheint, ist womöglich keine für den normalen Facebook-User oder jemanden, der mal auf X seinen Senf dazu gibt:

– „Staatsbürgerliche Aufklärung“ ist nach weitverbreitetem Verständnis vorrangig Aufgabe von Presse, Rundfunk und politischen Parteien;

– die „Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen“ ist eine hehre Aufgabe. Diese erfüllt man offenkundig nicht dadurch, dass man das Flugblatt postet mit dem Kommentar: „Widerlich.“

– „Die Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens“ passt. Aber ist die Meinungsäußerung mit der Nr. 378.756 im Stream wirklich eine Berichterstattung? Kann man als Strafverfolger so sehen. Wenn man empathisch ist. Aber ich verrate euch ein Geheimnis: Nicht jeder Staatsanwalt ist empathisch. Und wenn ihr ins Internet postet, ist jeder Polizist zuständig, der eine Anzeige gegen euch auf den Tisch bekommt.

– Bleiben „Ähnliche Zwecke“: Juristen sehen ähnliche Zwecke als erfüllt, wenn die Intention des Handelnden ebenso lauter und ehrenhaft ist wie die von Presse, Rundfunk und Parteien. (Das ist eine Punchline, bitte grinsen.) Diese Definition ist ist allerdings nicht mehr als eine Tautologie. Darauf weist Thomas Fischer in seinem Strafrechtskommentar hin. Echte Präzedenzfälle? Fischer seufzt: „In Rechtsprechung und Literatur finden sich keine sinnvollen Beispiele.“

Ihr solltet nicht daran arbeiten, so ein Beispiel zu werden. Das kostet euch mehr als ein schöner Urlaub, es kostet euch Nerven und – möglicherweise eure soziale Existenz. In ein paar Tagen geht’s in der öffentlichen Debatte um was anderes. Einige Monate weiter weiß manch einer nicht mehr, um was es bei diesem Aiwanger genau ging. Am Ende bleibt aber immer ein ekliges Flugblatt, das du unbestreitbar ins Netz gestellt hast. Am Ende wirst du die Frage beantworten müssen, wieso das Pamphlet unbedingt noch mal in deiner Timeline auftauchen musste.

Ergebnis: Macht euch nicht unglücklich, nehmt das Flugblatt aus dem Netz.