Er hat mich genötigt. Er hat mir den Stinkefinger gezeigt. Mit diesem und ähnlichem Inhalt werden Tag für Tag hunderte Autofahrer angezeigt. Die Strafanzeigen haben häufig einen Schwachpunkt: Wer war denn jetzt genau der vermeintliche Bösewicht hinter den getönten Autoscheiben?
In den weitaus meisten Fällen gibt es nur das KfZ-Kennzeichen. Vielleicht noch eine vage Beschreibung. „Brillenträger“ etwa. Oder, wie ich neulich gelesen habe: „androgyne Person jüngeren Alters“.
Ein Polizist zeichnete sich in solch einem Fall durch messerscharfen Spürsinn aus. „Die Halterin des Pkw kommt als Beschuldigte nicht in Betracht“, lesen wir, „da die Zeugen von einem Mann als Fahrzeugführer sprechen.“
So weit, so richtig. Jetzt kommt’s: „Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann gesagt werden, dass der Halter des Fahrzeugs oder seine nahen Angehörigen auch die regelmäßigen Nutzer des Fahrzeugs sind. Daher wird der Ehemann der Halterin als Beschuldigter in diesem Verfahren geführt.“
Die Richter am Bundesverfassungsgericht haben übrigens eine völlig andere Lebenserfahrung. Sie schrieben schon 1993:
„Daraus alleine, dass der Betroffene Halter eines Kraftfahrzeuges ist, darf beim Fehlen jedes weiteren Beweisanzeichens nicht gefolgert werden, er habe das Fahrzeug bei einer bestimmten Fahrt auch tatsächlich geführt. Auch bei privat genutzten Fahrzeugen ist die Möglichkeit, dass sie von Familienangehörigen, Angestellten, Freunden oder Bekannten des Halters geführt wurden, im allgemeinen zu naheliegend, als dass das Gericht sie ohne weiteres außer Acht lassen könnte.“
Prima im Ergebnis, wenn der Polizeibeamte eher sitzende Tätigkeit bevorzugt. Wie im vorliegenden Fall. Etwas engagiertere Polizisten können da durchaus noch was reißen. Wenn sie rausfahren oder zumindest anrufen, um mit höflichen Fragen vielleicht was Näheres rauszufinden. Das gelingt ihnen aber auch nur bei Leuten, die sich in Unkenntnis der Vorgaben des Verfassungsgerichts um Kopf und Kragen reden. Kann man natürlich machen, man muss es aber bekanntlich nicht.