Ein Vorsitzender, zwei Schöffen. So ist eine kleine Strafkammer am Landgericht besetzt. Die Schöffen sind ehrenamtliche Richter und in der Regel keine Juristen. An sich keine Frage, wer an so einem Schöffen(straf)gericht die Fäden in der Hand hält. Deshalb heißt eine nette Justizserie auf Amazon Prime „Der Beischläfer“. Was die Sache im Regelfall recht gut auf den Punkt bringt.
Aber mitunter ist es halt auch anders. Ganz anders. Das erlebte ich neulich an einer kleinen Strafkammer des Landgerichts. Da verhandelt ein Berufsrichter über die Berufungen gegen Strafurteile des Amtsgerichts. Flankiert wird er von zwei Schöffen. Schöffinnen in unserem Fall. Fünf Verhandlungstage waren angesetzt. Also ausreichend Zeit, damit sich alle etwas kennenlernen.
Der Vorsitzende war erkennbar null geneigt, die Verurteilung abzuändern, die mein Mandant in erster Instanz kassiert hatte. Wohl aber die Schöffinnen. Bei der Vernehmung etlicher Zeugen war immer mehr zu erkennen, dass sie meinem Mandanten glaubten. Und somit an dessen Unschuld. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber nach meiner Meinung hatten die Schöffinnen hierzu ziemlich guten Grund. Das von der Anklage kunstvoll errichtete Anklage-Bauwerk geriet von Stunde zu Stunde gehörig ins Wanken.
Sichtlich unbeeindruckt davon blieb aber der Vorsitzende. Allerdings saß er am kürzeren Hebel. Denn Ehrenamt hin, fehlende juristische Ausbildung her: Am Gericht sind alle Richter gleich. Das heißt, die Stimme der Schöffen zählt ebenso wie die eines Berufsrichters. Somit stand es in dem Gremium erkennbar 2:1. Da die Schöffinnen jedenfalls nicht als justizielle Beischläferinnen gelten wollten, blieben sie sogar bei der Urteilsberatung standhaft und überstimmten den Richter knallhart (was wegen des Beratungsgeheimnisses allerdings letzlich nicht belegbar ist). Dennoch verkündete der Richter sauertöpfisch ein Ergebnis, das auf meine Vermutung passt: Freispruch.
An der mündlichen Urteilsbegründung kam der Richter natürlich nicht vorbei. Schon diese empfand ich als wenig souverän. Statt die tragenden Gründe für den Freispruch zu erklären, zählte er alles auf, was aus seiner Sicht die Schuld meines Mandanten belegt. Zum Freispruch selbst fand er dann nur folgende Worte: „Dennoch hat sich das Gericht nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugen können. Die Sitzung ist beendet.“ Das ist jetzt offenkundig nicht unbedingt das, was sich der Gesetzgeber von der „Eröffnung der Urteilsgründe“ am Ende der Hauptverhandlung erhofft (§ 268 StPO). Die vorgeschriebene Mitteilung des „wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe“ meint ja eher die Gründe, die den Freispruch tragen, nicht Umstände, die fürs Gegenteil taugen.
Geschenkt könnte man sagen, schlechte Verlierer gibt’s überall. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Da die doch etwas geschockte Staatsanwaltschaft und der natürlich höchst erboste Nebenkläger wenig überraschend fristgerecht Revision eingelegt haben, muss das Gericht eine ausführliche schriftliche Urteilsbegründung vorlegen. Diese Begründung muss den Anforderungen des § 267 Abs. 5 StPO genügen, also nachvollziehbar darlegen, wieso der Angeklagte freigesprochen wurde.
Die Urteilsgründe bringt einer ganz allein zu Papier: der Vorsitzende der kleinen Strafkammer. Meine Lieblingsschöffinnen haben damit nichts mehr zu tun. Problematisch ist natürlich, dass das Revisionsgericht den Freispruch nicht anhand des Verlaufs der Hauptverhandlung auf Validität abklopft. Grundlage der Prüfung sind nur die schriftlichen Urteilsgründe. Also das, was der Vorsitzende nun zu Papier bringen muss – obwohl es vermutlich seiner Überzeugung zuwider läuft. Sicher keine leichte Aufgabe. Aber halt eine, die man als Richter auch mal bewältigen muss. Jedenfalls wenn man die Verpflichtung ernst nimmt, Urteile „Im Namen des Volkes“ zu sprechen.
Für die schriftliche Urteilsbegründung hatte der Richter sieben Wochen Zeit (§ 275 StPO). Die sieben Wochen sind nun um, eine Urteilsbegründung halte ich aber immer noch nicht in Händen. Das muss kein Grund zur Panik sein. Denn es kommt für die Siebenwochenfrist auf dem Tag an, an dem der Richter sein Urteil auf der Geschäftsstelle des Gerichts abgibt. Die Ausfertigung und Zustellung kann auch noch später erfolgen.
Mein Mandant macht sich allerdings verständlicherweise schon größte Sorgen. Es besteht ja auch die Möglichkeit, dass ein Richter die Urteilsabsetzungsfrist einfach verstreichen lässt. Mit der Folge, dass die Entscheidung dann mehr oder weniger zwingend vom Revisionsgericht aufzuheben ist, weil ein glasklarer Revisionsgrund vorliegt. Ich beruhige den Mandanten mit dem Hinweis, dass ich mir es schlichtweg nicht vorstellen kann, dass ein gestandener Richter sich so eine Blöße geben würde. Zumal versemmelte Fristen für ihn disziplinarrechtliche Konsequenzen haben können. So ein Fauxpas ist nicht von der richterlichen Unabhängigkeit gedeckt. Letztlich schließlich stünde ja sogar etwas wie Rechtsbeugung (§ 339 StPO) im Raum. Für mich, den Berufsoptimisten, fast unvorstellbar.
Ich frage in den nächsten Tagen mal nach, wo das Urteil bleibt. Ein bisschen gespannt bin ich jetzt doch.