Ein Gießener Richter ist nicht geeignet, Asylverfahren zu bearbeiten. Diese „dienstliche Beurteilung“ kommt von höchster Stelle – dem Bundesverfassungsgericht. Die 1. Kammer des Zweiten Senats erklärt einen Befangenheitsantrag für begründet, den ein abgelehnter Asylbewerber gegen den Richter gestellt hat. Zur Begründung bezog sich der Kläger auf ein früheres Urteil des Richters, mit dem dieser sich, nun ja, sehr pointiert geäußert hat.
In dem früheren Verfahren musste der Richter darüber entscheiden, ob ausländerfeindliche Wahlplakate der NPD aufgehängt werden dürfen. Er gab der Klage (aus formalen Gründen) statt, schrieb dann aber weiter in das Urteil, der fragliche Slogan „Migration tötet“ sei nicht volksverhetzend, sondern als „die Realität darstellend zu bewerten“. Weiter heißt es:
In der Tat hat die Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. … Allein dem erkennenden Gericht sind Fälle bekannt, in denen Asylbewerber zu Mördern wurden.
Rund 85 % Prozent des Urteils macht laut dem Verfassungsgericht dann die Begründung dieser Thesen aus. Am Ende stehe auch noch der Hinweis auf das Widerstandsrecht, sobald der deutsche Staat „einmal in die Handlungsunfähigkeit abrutschen“ sollte. Das alles ist den Verfassungsrichtern dann doch zu viel. Sie verweisen recht nüchtern darauf, dass der Richter von Einzelfällen aufs Ganze schließe und das Thema Migration auf die Flüchtlings- und Asyproblematik verenge. Insgesamt liege es schlicht auf der Hand, dass der klagende Asylbewerber nicht auf die Unparteilichkeit des zuständigen Richters vertrauen dürfe.
Die Kritik richtet sich aber auch an die Richter, die über den Befangenheitsantrag entschieden haben. Diese hätten den Kern der Behauptungen ihres Richterkollegen „willkürlich“ ignoriert oder falsch gewichtet. Prozessual interessant wird der Fall durch den Umstand, dass der abgelehnte Richter der Klage des Asylbewerbers mittlerweile zumindest teilweise stattgegeben und ihm subsidiären Schutz gewährt hat. Laut der Karlsruher Entscheidung ist der für den Kläger positive Teil des Urteils aber nicht hinfällig. Es muss nur noch mal über den weitergehenden Klageantrag entschieden werden (Aktenzeichen 2 BvR 890/20).