Die nächste Ausweitung des Sexualstrafrechts lässt nach den zahlreichen Verschärfungen in Kette nicht lange auf sich warten. Der neuste Entwurf des Bundesjustizministeriums betrifft den Besitz und die Verbreitung von sogenannten Anleitungen zum Kindesmissbrauch. Der neue § 176e StGB soll folgenden Wortlaut haben:
Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern
(1) Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, der geeignet ist, als Anleitung zu einer in den §§ 176 bis 176d genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und der dazu bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer
1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, als Anleitung zu einer in den §§ 176bis 176d genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder
2. öffentlich oder in einer Versammlung zu einer in den §§ 176 bis 176d genannten rechtswidrigen Tat eine Anleitung gibt, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen.(3) Wer einen in Absatz 1 bezeichneten Inhalt abruft, besitzt, einer anderen Person zugänglich macht oder einer anderen Person den Besitz daran verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (…)
Der Entwurf ist mit Begründung hier abrufbar.
Der Schutz vor sexuellem Missbrauch, gerade von Kindern, ist ein wichtiges Ziel. Dass man Verschärfungen aber unter anderem mit einer angeblichen Zunahme entsprechender Fälle rechtfertigt, ist dagegen fragwürdig. Es kann ebenso sein, dass die registrierten Fälle zugenommen haben, also lediglich das Dunkelfeld erhellt wurde. Bei den erheblichen Mitteln, die in Ausstattung und Personal gepumpt wurden, liegt das sogar nahe.
Wenn die Bekämpfung „sexualisierter Gewalt“ als Begründung angeführt wird, ist festzuhalten, dass hier – wieder einmal – eine extreme Vorverlagerung der Strafbarkeit stattfindet. Zu dem Zeitpunkt, in dem solche Schriften verbreitet werden, ist das Kindeswohl noch nicht ansatzweise gefährdet, und es ist auch nicht sicher, dass es zu einer solchen Gefährdung kommt. Da das Strafrecht seine Legitimität aber maßgeblich aus dem Schutz unmittelbar bedrohter Rechtsgüter erhält, ist eine so weite Vorverlagerung bedenklich.
Ohne den entsprechenden Straftatbestand hätten potenzielle Täter die Möglichkeit, ihr eventuelles Vorhaben fallen zu lassen, ohne dass sie sich bereits strafbar gemacht hätten. Dies wäre nach der Änderung nicht mehr möglich. Insofern könnte die Gesetzesänderung sogar in entgegengesetzter Richtung wirken, weil potenzielle Täter denken könnten, dass sie die Schwelle der Strafbarkeit ohnehin bereits durch den Erwerb einer solchen Anleitung überschritten haben und es vor diesem Hintergrund keinen Weg mehr zurück gibt.
Unabhängig davon muss man nur mal den ersten Absatz der Norm lesen – und zu verstehen versuchen. Kein Normalbürger wird auch nur ansatzweise abschätzen können, wo etwa bei erotischer Literatur oder etwa bei alltäglichen Beiträgen in sozialen Medien die Grenze zur Strafbarkeit liegt.
Mit dem Prinzip, dass das Strafrecht mal ultima ratio sein sollte, hat das Ganze offenkundig nur noch wenig zu tun.
RA Dr. André Bohn