Wie zu erwarten, folgen der Räumung des Dannenröder Forstes zahlreiche Ermittlungsverfahren.
Eine Aktivistin sitzt etwa seit vier Monaten in Untersuchungshaft, weil sie Angaben zu ihrer Identität verweigert und daher von Fluchtgefahr ausgegangen wird. Gegen Sie besteht der Verdacht, bei der Räumung in Richtung eines Polizisten getreten zu haben.
Da mehrere Aktivist*innen keine Angaben zur Person machten und eine ordnungsgemäße erkennungsdienstliche Behandlung durch Bemalen des Gesichtes, Grimassenziehen und Einritzen oder Einschmieren der Fingerkuppen mit Sekundenkleber verhinderten, hat die Polizei sogenannte Super Recognizer eingesetzt. Dies sind Polizeibeamt*innen, die besondere Fähigkeiten hinsichtlich der Wiedererkennung von Gesichtern haben sollen. Daraufhin wurden mehrere Bußgeldbescheide wegen der Nichtangabe der Personalien verschickt. Dies stellt nämlich eine Ordnungswidrigkeit nach § 111 OwiG dar.
Zwei Professoren hatten sich schon kritisch zu den wundersamen Fähigkeiten der Super Recognizer geäußert. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen sagt: „Wir wissen schon, dass es Rechtsstreitigkeiten geben wird, eine Fehlerquelle kann man nie ganz ausschließen.“
Unabhängig davon, dass ich mich frage, auf Grundlage welcher Fakten jemand zu einem Super Recognizer wird und wie man entsprechende Eigenschaften nachweisen will, klingt das Handeln der Polizei er nach nach „Trial and Error“. Manche mutmaßlich Identifizierte haben womöglich keine Lust gegen verhängte Bußgeldbescheide wegen der nicht gemachten Angaben vorzugehen, weil das ein langes Verfahren nach sich ziehen kann. Und / oder sie haben kein Geld für einen Anwalt. Dann kann die Polizei zumindest ein Teil des Bußgeldes eintreiben. Die Identifizierung durch Super Recognizer scheint mir aber so fehleranfällig, dass es vom Zufall abzuhängen scheint, ob die richtige Person identifiziert wird oder nicht. Es spricht daher viel für die Rechtswidrigkeit eines solchen Vorgehens, weil die Rechtswidrigkeit der Bußgeldbescheide (= falscher Betroffener), billigend in Kauf genommen wird.
Im Falle der viermonatigen Untersuchungshaft wird sich demnächst ein Gericht insbesondere mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auseinandersetzen müssen. Dann stehen die Chancen gut, dass die Aktivistin frei kommt, weil der Vorwurf der versuchten (gefährlichen) Körperverletzung nicht so schwer wiegt, dass er eine über sechs Monate andauernde Untersuchungshaft rechtfertigen würde.
Ein Artikel zu den Geschehnissen findet sich hier.
RA Dr. André Bohn