Selfie mit Schlüssel

Ein Praktikant hat in der Justizvollzugsansstalt Heidering in Brandenburg einen Schaden von 50.000 € verursacht. Der Praktikant hatte aus der JVA ein Selfie versendet – dabei hatte er einen ihm anvertrauten Generalschlüssel in der Hand. Es soll wohl möglich sein, den Schlüssel allein aufgrund dieses Fotos nachzumachen. Sicherheitsrisiko. Die JVA tauschte alle Schließzylinder aus…

Aber nicht nur das. Das Praktikum war zu Ende, der junge Mann erhielt ein Hausverbot. Immerhin wurde er nicht eingesperrt. Aber die Gefängnisleitung zieht in Betracht, den Schaden bei dem jungen Mann zu liquidieren. Wobei natürlich auch einige Grundsätze des Arbeitsrechts zu berücksichtigen sind, zum Beispiel jener, dass nicht jede Fahrlässigkeit gleich zu einer Haftung führt und der Arbeitnehmer nicht in den völligen Ruin getrieben werden darf.

Nun kann man natürlich einwenden, dass schon ziemlich viele Umstände zusammenkommen müssen, damit jemand aufgrund des Fotos aus der JVA fliehen kann: Die Chatnachricht müsste abgefangen oder weitergegeben werden, und zwar an eine Person, die aufgrund des Fotos einen solchen Schlüssel fertigen kann, diese Person müsste den Schlüssel anfertigen und der Schlüssel müsste dann irgendwie an den Kontrollen vorbei in die JVA gelangen.

Sollten diese Umstände aber wirklich zusammenfallen, wäre das ein Skandal, für den die Leitung der JVA aber vielleicht auch der Justizminister die Verantwortung tragen würden. Dafür müsste noch nicht einmal ein besonders gefährlicher Insasse ausbrechen. Ich kann daher verstehen, dass man dieses Risiko nicht eingehen wollte.

Eine andere Frage stellt sich mir aber. Bei meinem Praktikum in einer Justizvollzugsanstalt musste ich das Handy ausschalten und ganz vorne am Eingang abgeben. Darauf wurde penibel geachtet. Wäre vielleicht interessant, wieso es hier offenbar anders war.

Pressebericht

RA Dr. André Bohn

Copyright Challenge

Die „Jerusalema Challenge“, bei der Personen unaufgefordert zu einem Lied von den südafrikanischen Künstlern DJ Master KG und Nomcebo Zikode tanzten und sich dabei natürlich filmen ließen, um Mitmenschen in der Corona-Pandemie aufzumuntern, kostet nun Steuergelder.

Polizisten aus Nordrhein-Westfalen haben sich jedenfalls an der Challenge beteiligt. Das Video ist nach wie vor auf Youtube zu sehen. Das Innenministerium NRW hat nun 2675,00 Euro Lizenzgebühren an Warner Music bezahlt (Bericht auf ntv).

Interessant wäre zu wissen, ob bei den Behörden überhaupt jemand vorher über Copyrights nachgedacht hat. Immerhin halten sich die Kosten von 2675,00 Euro in Grenzen – auch mit strafrechtlichen Ermittlungen ist nun ja weniger zu rechnen. Diese wiederum wären allerdings auch wieder wesentlich teurer als die Lizenzgebühren selbst, so dass sich der Steuerzahler letztlich nur eingeschränkt beschweren sollte…

RA Dr. André Bohn

Notstand?

Vor kurzem verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz einen Angeklagten in einem der ersten Strafprozesse wegen Foltervorwürfen in Syrien zu vier Jahren und sechs Monaten Haft wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Laut dem Urteil ist der Angeklagte Agent des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes in Syrien gewesen und hat Gräueltaten begangen.

Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert und sich auf einen sogenannten „entschuldigenden Notstand“ berufen. Hätte sich der Mann den Befehlen seiner Vorgesetzten widersetzt, wäre er nach der Dynamik des syrischen Regimes selbst in Lebensgefahr geraten – so zumindest die Verteidigung.

Der entschuldigende Notstand ist in § 35 StGB geregelt. Nach dieser Vorschrift handelt ohne Schuld, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden. Dies gilt nach § 35 Abs. 1 S. 2 StGB aber nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen.

In der Praxis kommt es relativ selten vor, dass sich Angeklagte auf den entschuldigenden Notstand berufen. War es aber wirklich so, dass der Angeklagte sich faktisch nicht weigern konnte, Befehle auszuführen, ohne in akute Lebensgefahr zu gelangen, käme die Anwendung des § 35 StGB in Betracht. Bekannt ist die Argumentation insbesondere aus Prozessen gegen NS-Personal. Allerdings gehen gerade die neueren Urteile zu diesen Fällen davon aus, dass die Weigerung, etwa in einem Konzentrationslager zu arbeiten, gerade nicht mit lebensgefährlichen Konseqenzen verbunden war. Im Syrien-Fall wird kaum ein milderer Maßstab gelten.

Berichte zu dem Fall in der Legal Tribune Online und in der taz

RA Dr. Andre Bohn

Hausinterne Amnestie

In Leipzig steht ein KSK-Soldat vor Gericht, weil er in seinem Garten Munition, eine Waffe und Sprengstoff aus dienstlichen Beständen vergraben haben soll.

Das ist schon interessant genug. Ich möchte jedoch auf ein Detail hinweisen, bei dem mir dann doch der Atem stockt. So kam in dem Prozess heraus, dass alle KSK-Soldaten Anfang 2020 Munition, die sie zuvor hatten mitgehen lassen, zurückgeben konnten – ohne dass sie irgendwelche Sanktionen zu befürchten hatten. Also eine behördeninterne „Amnestie“, und zwar offenkundig in größerem Stil.

Da stellt sich schon die Frage, ob die Behördenleitung nicht verpflichtet gewesen wäre, solche Vorfälle nicht unter den Teppich zu kehren. Immerhin reden wir hier über handfeste Straftaten, angefangen bei Unterschlagung/Diebstahl bis zu handfesten Verstößen gegen das Waffenrecht.

Gesetzlich vorgesehen ist so ein amtliches Wegsehen jedenfalls nicht. Im Gegenteil. So bestimmt beispielsweise Art. 59 Abs. 2 der Landesverfassung in Nordrhein-Westfalen, dass Amnestien nur aufgrund eines (formellen) Parlamentsgesetzes erfolgen dürfen. Das gesamte Gnadenrecht ist darauf ausgerichtet, in Ausnahmefällen juristische Gerechtigkeit durch wohldosierte Menschlichkeit zu ersetzen. Aber auch erst, nachdem sich die Strafjustiz damit beschäftigt hat, wobei ja auch diese viele Möglichkeiten hat Augenmaß zu beweisen (zum Beispiel durch Verfahrenseinstellung bei geringer Schuld oder tätiger Reue). Derart krasse Missstände unter den Teppich zu kehren, ist vor diesem Hintergrund schon ein starkes Stück.

Bericht in der Zeit.

RA Dr. André Bohn

Papa hört mit

Weil er sich um die Leistungsbewertung und die Integration seiner Tochter in der Schule sorgte, bat ein ein Vater sein Kind, während eines Gesprächs mit der Lehrerin die Bluetooth-Kopfhörer eingeschaltet zu lassen, damit er das Gespräch mithören konnte.

Dafür kassierte der Vater nun einen Strafbefehl (25 Tagessätze zu je 70 €). Rausgekommen war das Ganze, weil der Vater in E-Mails an die Schule teilweise wörtlich aus dem Gespräch zwischen seiner Tochter und der Lehrerin zitiert hatte.

Strafrechtlich stellt sich das Abhören als Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB dar, wonach bestraft wird, wer das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort abhört. Dass die Tochter eventuell zugestimmt hat, ist unerheblich, weil zumindest die Lehrerin nichts von der Aktion wusste.

Eine Strafbarkeit der 13-jährigen Tochter scheitert bereits an der Strafunmündigkeit nach §19 StGB, siehe auch diesen Beitrag von gestern. Außerdem erfordert § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Wortes auf einen Tonträger, was bei einer reinen Übertragung nicht der Fall ist.

Bericht auf Spiegel Online

RA Dr. André Bohn

Kinder hinter Gittern

Kinder in Deutschland sind im Verhältnis zu Kindern anderswo in vielen Bereichen privilegiert. Dies gilt auch im Strafrecht – gerade bei der Strafunmündigkeit. Nach § 19 StGB sind Kinder unter 14 Jahren nämlich strafunmündig und damit ohne wenn und aber schuldunfähig. Sie können nicht bestraft werden, egal was sie „getan“ haben.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass unter 14-Jährige regelmäßig nicht in der Lage sind, Unrecht zu erkennen und danach zu handeln. Bis zum Lebensalter von 21 Jahren gilt dann das Jugendstrafrecht, das geprägt ist vom Grundsatz „Erziehung statt Strafe“. Die Untergrenze von 14 Jahren steht im Einklang mit Empfehlungen der Vereinten Nationen.

In Australien, Großbritannien und auch bei den Nachbarn in der Schweiz liegt die Grenze deutlich niedriger, konkret bei 10 Jahren. Diese Spanne kann einen großen Unterschied ausmachen, gerade wenn auch noch Rassismus oder soziale Ungleichheit hineinspielen. Ein lesenswerter Bericht mit dem Schwerpunkt auf der Situation in Australien findet sich hier.

RA Dr. André Bohn

Prozess platzt wegen Sportstudio-Bekanntschaft

In Bremen ist ein großer Drogenprozess schon am ersten Tag geplatzt. Grund: Einer der Schöffen (ehrenamtlicher Richter) kennt vier der fünf Angeklagten – sie haben wohl alle im gleichen Sportstudio trainiert.

Der Schöffe hatte vorher wohl nicht gewusst, gegen wen verhandelt wird. Das wird den ehrenamtlichen Richtern oft auch vorher nicht mitgeteilt. Deshalb kam es im Gerichtssaal zu der unerwarteten Begegnung. Es war übrigens die Staatsanwaltschaft, die den Schöffen dann als befangen ablehnte. Das Gericht folgte der Einschätzung.

Dazu muss man wissen, dass nicht jede persönliche Bekanntschaft von vornherein ausreicht, um einen Richter befangen zu machen. Vielmehr bedarf es schon einer persönlichen Nähe, die über das sozial übliche Maß unverbindlicher Bekanntschaften hinausgeht. Wie eng die Sportler tatsächlich waren, lässt deshalb Raum für Spekulationen.

Ebenso, dass die Verteidiger den Schöffen wohl gerne weiter auf der Gerichtsbank gesehen hätten. Sie wollten jedenfalls keine Befangenheitsanträge stellen. Der Prozess wird nun Mitte des Monats neu beginnen.

Bericht

Impfgerechtigkeit auf anderem Weg

Vor Kurzem brachte das Kunstkollektiv Peng! Plakate vor den Niederlassungen der Firma BionTech in Mainz und Marburg an. „Deine Arbeit kann Leben retten – oder Profite maximieren“ und „Leake den BioNtech Impfstoff“ ist auf dem Plakat zu lesen, es folgt ein Link zu Whistleblower-Seiten.

Das Künstlerkollektiv begründet die Aktion, in der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie sei es legitim sei, zum Leaken der Wirkstoffformel aufzurufen – das rette Menschenleben. Wenn da nicht der Schutz des geistigen Eigentums wäre…

So könnte ein Wirkstoffformel-Leak nach § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen strafbar sein. Fraglich ist, ob die besonderen subjektiven Voraussetzungen dieser Norm vorlägen. Strafbar ist ein Verhalten nach § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen nämlich unter anderem nur dann, wenn subjektiv zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber eines Unternehmens Schaden zuzufügen, gehandelt wird. In Betracht käme allenfalls das Handeln zugunsten eines Dritten.

Daneben kommt noch eine Strafbarkeit wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB in Betracht. § 203 StGB ist aber ein sogenanntes Sonderdelikt. Täter kann nur jemand aus den in § 203 StGB genannten (Berufs-)Gruppen sein. Darunter fallen keine Mitarbeiter*innen von Pharmaunternehmen.

Selbst wenn man aber zu einer Strafbarkeit gelangt, müsste man sich wegen der Pandemielage mit einer Rechtfertigung durch Notwehr oder Notstand nach den §§ 32 und 34 StGB auseinandersetzen. Insgesamt handelt es sich aus meiner Sicht um eine in der Sache erst mal nachvollziehbare Aufforderung, deren Strafbarkeit nicht so klar ist, wie sie beim ersten Lesen zu sein scheint. Das alles natürlich unabhängig von der Frage, ob die Macher ihren Aufruf tatsächlich wörtlich meinen – oder letztlich nur eine ethische Debatte anstoßen wollen.

Dazu auch ein Artikel in der Zeit.

RA Dr. André Bohn

Präsident IN DA HOUSE

Es kommt nicht häufig vor, aber mitunter stolpere ich selbst im Strafrecht über Vorschriften, von denen ich ehrlich gesagt noch nie was gehört habe.

Das war auch heute der Fall, als das Landgericht in einem größeren Verfahren verhandelte. Und zwar, zum Schutz der minderjährigen Tatopfer, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Da blieb es natürlich nicht unbemerkt, dass ein Mann auf den Zuschauerbänken einfach sitzenblieb, obwohl der Vorsitzende Zuschauer und Presse gerade hinausgeschickt hatte.

Wie sich herausstellte, war es der Präsident des Landgerichts. Der darf – so regelt es § 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes – tatsächlich auch zuhören, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Er ist nämlich der Beamte aus der Justizverwaltung, der über die Richter die „Dienstaufsicht“ ausübt. Er darf sich also jederzeit davon überzeugen, dass im Gerichtssaal alles seine Richtigkeit hat. Oder er im Rahmen seiner Tätigkeit etwa eine dienstliche Beurteilung über einen Richter abzugeben hat – wofür ein persönlicher Eindruck von der Verhandlungsführung natürlich nicht schaden kann.

Der Besuch war also juristisch legitimiert. Und ich bin froh, dass mich seinerzeit niemand in meinem mündlichen Staatsexamen nach dem Paragrafen gefragt hat.