Vor kurzem verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz einen Angeklagten in einem der ersten Strafprozesse wegen Foltervorwürfen in Syrien zu vier Jahren und sechs Monaten Haft wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Laut dem Urteil ist der Angeklagte Agent des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes in Syrien gewesen und hat Gräueltaten begangen.
Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert und sich auf einen sogenannten „entschuldigenden Notstand“ berufen. Hätte sich der Mann den Befehlen seiner Vorgesetzten widersetzt, wäre er nach der Dynamik des syrischen Regimes selbst in Lebensgefahr geraten – so zumindest die Verteidigung.
Der entschuldigende Notstand ist in § 35 StGB geregelt. Nach dieser Vorschrift handelt ohne Schuld, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden. Dies gilt nach § 35 Abs. 1 S. 2 StGB aber nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen.
In der Praxis kommt es relativ selten vor, dass sich Angeklagte auf den entschuldigenden Notstand berufen. War es aber wirklich so, dass der Angeklagte sich faktisch nicht weigern konnte, Befehle auszuführen, ohne in akute Lebensgefahr zu gelangen, käme die Anwendung des § 35 StGB in Betracht. Bekannt ist die Argumentation insbesondere aus Prozessen gegen NS-Personal. Allerdings gehen gerade die neueren Urteile zu diesen Fällen davon aus, dass die Weigerung, etwa in einem Konzentrationslager zu arbeiten, gerade nicht mit lebensgefährlichen Konseqenzen verbunden war. Im Syrien-Fall wird kaum ein milderer Maßstab gelten.
Berichte zu dem Fall in der Legal Tribune Online und in der taz
RA Dr. Andre Bohn