Es kommt nicht häufig vor, aber mitunter stolpere ich selbst im Strafrecht über Vorschriften, von denen ich ehrlich gesagt noch nie was gehört habe.
Das war auch heute der Fall, als das Landgericht in einem größeren Verfahren verhandelte. Und zwar, zum Schutz der minderjährigen Tatopfer, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Da blieb es natürlich nicht unbemerkt, dass ein Mann auf den Zuschauerbänken einfach sitzenblieb, obwohl der Vorsitzende Zuschauer und Presse gerade hinausgeschickt hatte.
Wie sich herausstellte, war es der Präsident des Landgerichts. Der darf – so regelt es § 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes – tatsächlich auch zuhören, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Er ist nämlich der Beamte aus der Justizverwaltung, der über die Richter die „Dienstaufsicht“ ausübt. Er darf sich also jederzeit davon überzeugen, dass im Gerichtssaal alles seine Richtigkeit hat. Oder er im Rahmen seiner Tätigkeit etwa eine dienstliche Beurteilung über einen Richter abzugeben hat – wofür ein persönlicher Eindruck von der Verhandlungsführung natürlich nicht schaden kann.
Der Besuch war also juristisch legitimiert. Und ich bin froh, dass mich seinerzeit niemand in meinem mündlichen Staatsexamen nach dem Paragrafen gefragt hat.