Nach beispiellosen Verschärfungen des Sexualstrafrechts in den letzten Jahren bahnt sich womöglich schon das nächste „Nachchärfen“ an. In einer Petition, die fast 70.000 Personen unterschrieben haben, wird gefordert, das sogenannte Catcalling unter Strafe zu stellen Die Grünen sind dafür. Linke und die SPD verschließen sich nicht. FDP, CDU und AfD sind wohl eher ablehnend.
Um was geht es?
Catcalling ist laut Wikipedia „eine Art der Belästigung durch Fremde im öffentlichen Raum in Form von unerwünschten Äußerungen gegenüber Personen, die als Objekt der Begierde wahrgenommen und auserkoren werden.“ Ursprünglich wurde in New York öffentlichkeitswirksam auf die Problematik aufmerksam gemacht. Mittlerweile erreicht der Protest gegen ein solches Verhalten auch andere Großstädte auf der Welt, unter anderem Berlin. Ein Bericht aus Sicht der Betroffenen findet sich hier.
Strafbar ist Catcalling, anders als Belgien, Portugal und den Niederlanden, bei uns wie gesagt momentan nicht als eigener Tatbestand. In Frankreich können Geldbußen verhängt werden.
Ich teile die Ansicht, dass Catcalling inakzeptabel ist, ein Problem darstellt und dem Ganzen ein sexistisches Weltbild zugrunde liegt. Dennoch muss nicht alles, was unerwünscht ist, auch als strafbar eingestuft werden. Das Grundproblem liegt doch in Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Jemand, der von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ausgeht und Frauen als Mitmenschen und nicht als bloße Objekte sexueller Begierde sieht, würde solche Sprüche nicht äußern. Es bedarf der Aufklärung und Kommunikation, wieso ein solches Verhalten nicht in Ordnung ist.
Es ist zwar populär, gesellschaftliche Probleme mit dem Strafrecht lösen zu wollen. Die Erfahrung spricht aber gerade bei Verhalten in gesellschaftlichen Grauzonen dagegen, dass es etwas hilft. Ganz im Gegenteil: Je mehr das Strafrecht zur Nanny der Nation gemacht wird, desto mehr sinkt am Ende die Bereitschaft insgesamt, essentielle Normen zu akzeptieren.
Und noch etwas: Die „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ ist etwas, das die Gerichte schon seit Jahren zwanglos in den § 185 StGB hineinpassen lassen. Sehr viele der in den verlinkten Berichten Äußerungen würden deshalb auch schon jetzt verfolgt – wenn die Betroffenen einen Strafantrag stellen.
RA Dr. André Bohn