Ungewöhnliche Transaktionen

Die Corona-Soforthilfe aus dem letzten Jahr erweist sich mittlerweile als kleines Konjunkturpaket für Strafverteidiger.

Auch ich habe schon etliche Fälle auf dem Tisch, aber offensichtlich allenfalls kleine Fische. Jedenfalls im Vergleich zu dem Gastwirt aus Rottweil, der sich nun vor dem dortigen Landgericht verantworten musste. Der Mann soll insgesamt etliche Male Corona-Hilfen beantragt und 488.000,00 € zu Unrecht erhalten haben. Die letzten Anträge soll er sogar noch gestellt haben, nachdem schon bei ihm wegen Betrugsverdacht durchsucht worden war.

Die Quittung fällt allerdings entsprechend aus. Drei Jahre und zwei Monate Gefängnis, urteilte das Landgericht Rottweil. Und das, obwohl der Mann wohl umfassend gestand. Bewährung ist bei einer Strafe über zwei Jahren Gefängnis nicht mehr drin.

Auffällig bei meinen Fällen ist, dass fast alle Verfahren ins Rollen kamen, weil die Hausbanken der Antragsteller Geldwäscheverdacht angezeigt haben. Die Banken sind ja dazu verpflichtet, ungewöhnliche Transaktionen zu melden. Schon von der Höhe her dürften die 9.000 Euro, die da auf einen Schlag reinkamen, manchen Alarm getriggert haben.

Gut möglich also, dass die echte Lawine noch anrollt. Wenn nämlich die Bewilligungsbehörden selbst ernsthaft in die Prüfung einsteigen – sofern sie es überhaupt schaffen. Hier in Nordrhein-Westfalen mussten Leistungsempfänger bislang noch nicht mal die Rückmeldungen abgeben.

Ich rufe Alexa in den Zeugenstand

Auch wenn die Überschrift sehr an amerikanische Gerichtsverfahren erinnert, ist es auch bei uns nicht mehr lange hin, bis die Zeugin Alexa, geborene Amazon, auch in Deutschland der Justiz bei der Lösung von Fällen hilft.

Über eine der ersten Gelegenheiten kann man Einzelheiten hier nachlesen. Die Anklage hatte dem Angeklagten vorgeworfen, seine Exfreundin beim Sex erwürgt zu haben. Alexa stand während der mutmaßlichen Tat im Schlafzimmer und hat in dem fraglichen Zeitraum zwei Dateien aufgenommen. Dies kam nach einer entsprechenden Anfrage der Staatsanwaltschaft Regensburg bei Amazon heraus.

Grundlage für die Beschlagnahme solcher Sprachdateien wären §§ 94 und 98 StPO. Der Beschlagnahme bedurfte es aber in diesem Fall gar nicht, weil Amazon die Daten freiwillig herausgab. Ansonsten hätte es eines Rechtshilfeersuchens an die USA bedurft, weil die Server von Amazon in den USA stehen.

Gesprächsinhalte waren in dem Fall aber nicht gespeichert. Aus den Dateien ergab sich lediglich, wann sich der Angeklagte in der Wohnung befand. Amazon bestreitet zwar, dass generell alles zumindest vorübergehend aufgenommen wird. Von Datenschützern wird aber völlig nachvollziehbar die Frage aufgeworfen, wie Alexa auf Kommandos reagieren soll, wenn Gesprächsinhalte nicht verstanden werden.

Wie auch immer, Sprachassistenzsysteme, die ja auch in jedem neueren Auto stecken, kommen als potenzielle Beweismittel offenbar ins Bewusstsein. Die Grenzen der Verwertbarkeit – nur ein Stichwort von vielen: Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes – werden die Gerichte nach und nach abstecken müssen.

RA Dr. André Bohn

Der Kommissar geht um

In Weimar steht ein Polizist wegen Bestechlichkeit und Geheimnisverrats vor Gericht. Der Polizist soll einer damals 20-Jährigen unter anderem Informationen zu Haftbefehlen und Bilder seines besten Stücks geschickt haben. Er soll außerdem von ihr Sex gegen weitere interne Polizeiinformationen gefordert haben.

Die Frau war bereits mehrmals mit der Strafjustiz in Kontakt gekommen, sodass es für sie nützlich gewesen sei, einen Polizeibeamten zu haben, der sie mit Informationen versorgt, so die Staatsanwältin. In einem sichergestellten Chatprotokoll verspricht der Polizist der Frau zum Beispiel, dass sie ihren Führerschein wiederbekomme, wenn sie ihn ranlässt – „im Wald oder im Polizeiwagen“, so jedenfalls der Vorschlag des Beamten. Tatsächlich ist nichts passiert.

Für die Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit ist das aber irrelevant. Ein Amtsträger ist bereits nach § 332 StGB strafbar, wenn er einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde. Dass es nicht zu den Handlungen kam, wird dann aber bei der konkreten Strafhöhe berücksichtigt.

Das Urteil soll nächste Woche fallen. Die Staatsanwältin beantragte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Damit wäre die Beamtenstellung des Angeklagten futsch. Ein ausführlicherer Bericht findet sich hier.

RA Dr. André Bohn

Ministerpräsident büsst für Stinkefinger

Nicht ganz billig kommt dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ein Stinkefinger, den er während einer Landtagsdebatte einem AfD-Abgeordneten gezeigt hat. Darüber hinaus soll Ramelow den Abgeordneten auch noch als „widerlichen Drecksack“ tituliert haben, berichtet ntv.

5.000 Euro lässt Ramelow sich die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage nach § 153a StPO kosten. Das Geld soll an gemeinnützige Einrichtungen fließen. Diese strafrechtliche Lösung der Angelegenheit ist so etwas wie ein Mittelweg. Die Staatsanwaltschaft hätte auch Anklage gegen Ramelow erheben können, was dann möglicherweise zu einer öffentlichen Hauptverhandlung und einer Geldstrafe (inklusive Eintragung im Vorstrafenregister) geführt hätte.

Ebenso wäre es aber möglich gewesen, den Anzeigenerstatter auf den Privatklageweg (§ 374 StPO) zu verweisen und das Ermittlungsverfahren wegen mangelnden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung einzustellen. Auch wenn es sich unzweifelhaft um eine Entgleisung handelte, spielte sich das Ganze im Parlament ab, wo ja auch mal starke Worte zugelassen sein müssen. Außerdem hat der Ministerpräsident sich wohl entschuldigt.

Arbeit nur für Geimpfte?

Für viele Berufstätige wird sich eher früher als später die Frage stellen, ob sie nur noch mit einer Corona-Schutzimpfung an ihren Arbeitsplatz dürfen. Und ob der Arbeitgeber die Impfung möglicherweise verlangen und vielleicht sogar mit Abmahnung / Kündigung drohen kann, selbst wenn es eine allgemeine Impfpflicht bis dahin (noch) nicht gibt.

Ein Artikel auf tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen für Arbeitnehmer und zeigt auf, worüber wohl demnächst auch die Arbeitsgerichte entscheiden müssen. Hier geht es zum Beitrag.

Nackter Karnevalsprinz unterliegt vor Gericht

Der Wuppertaler Karnevalsprinz ist seines Amtes enthoben worden, weil er sich im Ornat unten rum nackig fotografierte, die Bilder einem Freund schickte und die Aufnahmen dann auf nicht geklärtem Weg zu den örtlichen Jeckenfunktionären gelangten (früherer Bericht).

Das Amtsgericht Wuppertal hat nun geurteilt, der Karnevalsprinz habe mit seinem Selfies Schuld auf sich geladen, deshalb sei er zu Recht fristlos gefeuert worden. Einzelheiten kann man auf Spiegel Online lesen, allerdings liegt die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vor.

Eine Strafbarkeitslücke – mal wieder

Nach beispiellosen Verschärfungen des Sexualstrafrechts in den letzten Jahren bahnt sich womöglich schon das nächste „Nachchärfen“ an. In einer Petition, die fast 70.000 Personen unterschrieben haben, wird gefordert, das sogenannte Catcalling unter Strafe zu stellen Die Grünen sind dafür. Linke und die SPD verschließen sich nicht. FDP, CDU und AfD sind wohl eher ablehnend.

Um was geht es?

Catcalling ist laut Wikipedia „eine Art der Belästigung durch Fremde im öffentlichen Raum in Form von unerwünschten Äußerungen gegenüber Personen, die als Objekt der Begierde wahrgenommen und auserkoren werden.“ Ursprünglich wurde in New York öffentlichkeitswirksam auf die Problematik aufmerksam gemacht. Mittlerweile erreicht der Protest gegen ein solches Verhalten auch andere Großstädte auf der Welt, unter anderem Berlin. Ein Bericht aus Sicht der Betroffenen findet sich hier.

Strafbar ist Catcalling, anders als Belgien, Portugal und den Niederlanden, bei uns wie gesagt momentan nicht als eigener Tatbestand. In Frankreich können Geldbußen verhängt werden.

Ich teile die Ansicht, dass Catcalling inakzeptabel ist, ein Problem darstellt und dem Ganzen ein sexistisches Weltbild zugrunde liegt. Dennoch muss nicht alles, was unerwünscht ist, auch als strafbar eingestuft werden. Das Grundproblem liegt doch in Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Jemand, der von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ausgeht und Frauen als Mitmenschen und nicht als bloße Objekte sexueller Begierde sieht, würde solche Sprüche nicht äußern. Es bedarf der Aufklärung und Kommunikation, wieso ein solches Verhalten nicht in Ordnung ist.

Es ist zwar populär, gesellschaftliche Probleme mit dem Strafrecht lösen zu wollen. Die Erfahrung spricht aber gerade bei Verhalten in gesellschaftlichen Grauzonen dagegen, dass es etwas hilft. Ganz im Gegenteil: Je mehr das Strafrecht zur Nanny der Nation gemacht wird, desto mehr sinkt am Ende die Bereitschaft insgesamt, essentielle Normen zu akzeptieren.

Und noch etwas: Die „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ ist etwas, das die Gerichte schon seit Jahren zwanglos in den § 185 StGB hineinpassen lassen. Sehr viele der in den verlinkten Berichten Äußerungen würden deshalb auch schon jetzt verfolgt – wenn die Betroffenen einen Strafantrag stellen.

RA Dr. André Bohn

Stückelung mit Fragezeichen

Oft sind es eher unscheinbare Details, die den Schlüssel zur (Un-)Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage liefern. So auch in einem Fall, in dem es um den angeblichen Diebstahl einer stattlichen Summe Geld geht.

Da wirft ein (ehemals) guter Freund meinem Mandanten vor, dieser habe bei einem Besuch 40.000 Euro aus seiner Wohnung mitgehen lassen. Das Geld will der Mann im Juni 2020 von seinem Tagesgeldkonto bei der Sparkasse abgehoben haben. Er habe bei der Bank 80 Scheine gekriegt, alles 500-Euro-Banknoten. Das Geld habe er „ganz normal“ am Schalter bekommen.

Der Verlust fiel ihm angeblich erst im Herbst 2020 auf, als er sich ein Auto holen wollte. Und nachdem er sich, wie das halt so passiert, heillos mit meinem Mandanten zerstritten hatte. Natürlich zeigt sich der Mann überzeugt, Täter kann nur mein Mandant gewesen sein.

Nun ja, es ist immer schwer, sich gegen so einen Vorwurf zu verteidigen. Da suchst du als Anwalt natürlich (auch) nach Kleinigkeiten, die den Anzeigenerstatter nicht gut da stehen lassen.

In diesem Fall ist es eher ein Detail der Geschichte, die ja erst mal überzeugend klingt. Die europäischen Notenbanken geben nämlich schon seit dem 26. April 2019 keine 500-Euro-Scheine mehr aus. Es erscheint doch sehr unwahrscheinlich, dass eine Sparkasse ausgerechnet einem Privatmann mehr als ein Jahr später noch so viele 500-er auszahlt – zumal er gar nicht nach dieser Stückelung gefragt hat. Tatsächlich werden 500-Euro-Scheine ja schon länger sogar auf ebay verkauft. Natürlich mit einem stattlichen Aufschlag.

Schauen wir mal, ob diese Kleinigkeit nicht vielleicht schon den Ausschlag gibt – in Richtung einer Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts.

Vom Hausfriedensbruch zur Geiselnahme

Dem „Waldläufer“ Yves R., der mehrere Polizisten entwaffnet haben soll, wird nun der Prozess gemacht. Angeklagt ist unter anderem Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung. Gerade der Vorwurf der Geiselnahme wiegt schwer. Der Paragraf (§ 239b StGB) hat eine Strafandrohung von nicht unter fünf Jahren Gefängnis.

Yves R. räumte im Verfahren ein, dass er vier Polizisten entwaffnete und anschließend mit den Waffen floh. Er sei ein Outdoorfreak, habe sich in einer Lebenskrise befunden und deshalb beschlossen, durch Deutschland zu wandern. Zur Probe habe er zunächst im Oppenauer draußen und in einer fremden Gartenhütte übernachtet.

In dieser Hütte wollte die Polizei ihn dann kontrollieren. Auch weil einer der Beamten herablassend und provozierend aufgetreten sei, sei die Situation eskaliert. Als der Beamte ihn habe abtasten wollen habe er gedacht, er würde verhaftet. Aus Reflex habe er daraufhin seine Schreckschusswaffe gezogen und auf den Beamten gerichtet. Er selbst sei überrascht gewesen, dass alle Beamten ihre Waffen ablegten.

Geflohen sei er danach, weil er Angst hatte, dass die Polizei wiederkommen und auf ihn schießen würde. Letztlich überwältigte den Mann nach mehreren Tagen das SEK. Aufgeben sei für ihn nicht in Betracht gekommen. Er habe gehofft, erschossen zu werden, weil er nicht inhaftiert werden wollte. Die Beamten setzten einen Taser gegen ihn ein, woraufhin er mit einem Beil um sich schlug und einen Beamten am Fuß traf. Dann konnte er festgenommen werden.

Das Schlagen mit dem Beil ist eine gefährliche Körperverletzung, so weit eindeutig. Weniger klar scheint für mich die Geiselnahme, weil der Tatbestand relativ hohe Voraussetzungen mit sich bringt. Wenn es richtig ist, was Yves R. sagt, wurde durch ein herablassendes und provozierendes Verhalten seitens der Polizei aus dem ja eher schlichten Vorwurf des Hausfriedensbruchs eine für alle Beteiligten sehr gefährliche Situation, die Yves R. möglicherweise für Jahre hinter Gitter bringt.

Bericht auf Spiegel Online

RA Dr. André Bohn

Schlechter Alias

Dumm gelaufen: In Bochum gab sich gestern ein 32-Jähriger bei einer Polizeikontrolle als sein Bruder aus. Seine eigenen Personalien anzugeben, wäre auch nicht ratsam gewesen – der Mann wurde per Haftbefehl gesucht.

Allerdings war dem Betreffenden entweder nicht bekannt oder entfallen, dass auch sein Bruder juristischen Ärger hat. Dieser wird von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gesucht. Deswegen, aber auch weil sich die Person auf dem Bild im georgischen Pass und der Kontrollierte nicht übermäßig ähnlich sahen, musste der Mann mit auf die Wache.

Dort überprüften die Bundespolizisten seine Fingerabdrücke und stellten so seine wahre Identität fest. Er selbst hatte sogar zwei Haftbefehle offen, weil er in Düsseldorf und Aachen rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde.

Die Bundespolizei hofft nun wahrscheinlich auf eine Glückssträhne. Könnte ja sein, dass der Bruder seinen Ausweis auf der Wache abholen kommt.

Kurzer Prozess

Ich kritisiere berufsbedingt gerne die Zustände im deutschen Justizsystem, aber wenn man ab und zu mal über den Tellerrand hinausblickt, kann man sich auch mal glücklich schätzen, dass man in Deutschland lebt – und, wenn es sich schon nicht vermeiden lässt, hier vor Gericht steht.

Und nicht zum Beispiel in Russland. Es geht um den Oppositionellen Alexei Nawalny. Dieser wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er wegen des Gifgasanschlags auf ihn behandelt wurde, noch am Flughafen verhaftet.

So etwas könnte zwar auch in Deutschland passieren, wenn gegen die einreisende Person ein Haftbefehl vorliegt oder sie zur Fahndung ausgeschrieben ist. Was dann aber passierte, übersteigt dann allerdings unser Verständnis vom Rechtstaat.

Noch auf der Polizeistation wurde Nawalny ein Eilprozess gemacht. Hintergrund ist, dass er durch seinen Aufenthalt in Deutschland gegen Meldepflichten im Rahmen von Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Immerhin haben seine Anwälte wohl noch eine Mitteilung erhalten, dass der Prozess stattfindet. Vorbereiten konnte sich in der kurzen Zeit aber natürlich niemand. Nawalny wurde dann wegen des Verstoßes zu 30 Tagen Haft verurteilt.

Ausnahmegerichte sind nach Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG in Deutschland verboten. Unabhängig davon verstößt so ein Schnellprozess aber gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Außerdem hätte hierzulande zumindest ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund in Betracht gezogen werden müssen, da Nawalny sich ja aus guten Gründen in Deutschland aufhielt. Allerdings wissen wir nicht, ob das russische Gericht sich nicht auch mit diesen Fragen beschäftigt hat.

Russland ist der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten. Nawalny hat deshalb die Möglichkeit, seinen Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen – wenn der Rechtsweg in seinem Heimatland ausgeschöpft ist.

Bericht in der Legal Tribune Online

RA Dr. André Bohn

Gericht liest das Gesetz

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Könnte man angesichts einer heute bekanntgegebenen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sagen. Das Gericht setzt das landesweite Alkoholverbot im öffentlichen Raum mit sofortiger Wirkung aus, das in Bayern angeordnet worden ist.

Das Gericht verweist schlicht auf den – neugefassten – § 28a IfSG (Infektionsschutzgesetz). Danach kann zur Bekämpfung der Corona-Pandemie der Alkoholkunsum zwar eingeschränkt werden – aber nur „auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen“. Jedoch nicht flächendeckend in einem ganzen Bundesland. Mit dem Rundumschlag überschreite die Landesregierung ihre vom Gesetz gewährten Möglichkeiten, befindet das Gericht.

Geklagt hatte eine Privatperson aus Regensburg. Die Entscheidung gilt allerdings für alle Menschen, die sich in Bayern aufhalten.

Der Antragsteller wehrte sich auch gegen weitergehende Kontaktbeschränkungen, die Schließung von Bibliotheken und Archiven sowie die 15-km-Regelung für tagestouristische Ausflüge. Damit war er im Eilverfahren zunächst erfolglos, mit der 15-km-Regelung wollten sich die Richter aber inhaltlich nicht beschäftigen. Sie weisen darauf hin, dass der Inzidenzwert in Regensburg momentan deutlich unter der Anordnungsgrenze liegt, deshalb sei der Antragsteller noch gar nicht betroffen (Aktenzeichen 20 NE 21.76).

Gnade gegen Geld

Vor einigen Tagen hatten wir hier schon über die fragwürdigen Entscheidungen des noch amtierenden Präsidenten Donald Trump berichtet, insbesondere über seinen Eifer bei Hinrichtungen in letzter Minute.

Nun veröffentlicht die New York Times einen großen Artikel darüber (Paywall), dass Vertraute Trumps mehrere zehntausend Dollar von Personen entgegennehmen, die – zulässige – Anträge auf Begnadigungen eingereicht haben oder dies in letzter Minute noch tun wollen. Mutmaßlich ist der Wunsch Vater des Gedankens, das Geld sei bei Trumps (echten oder mutmaßlichen) Einflüsterern gut angelegt, wenn der Chef dann die letzten Begnadigungen unterschreibt.

Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen scheint das alles sehr wenig zu tun zu haben. Wird sicher interessant, wer da letztlich wegen solcher Aktionen noch alles ins Fadenkreuz der amerikanischen Justiz gerät.

RA Dr. André Bohn

Fck, aber wen?

Es gibt immer mal wieder Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Beleidigung. Ein fast schon klassisches Problem ist, ob das Opfer „beleidigungsfähig“ ist. Dafür muss der Beleidigte individualisierbar sein und darf nicht nur einer eher unbestimmten und damit „anonymen“ Personengruppe – etwa der Polizei – angehören.

So sind die Bezeichnungen ACAB, was für „all cops are bastards“ stehen soll, oder das fast selbsterklärende „fck cps“ meist nicht strafbar, weil die Gruppe aller „cops“ nicht hinreichend individualisiert ist, so die Rechtsprechung.

Eine neue Facette beleuchtet eine aktuelle Entscheidung. Es ging um ein Mitglied der Göttinger linken Szene. Der Betroffene war schon öfter mit der örtlichen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Polizei aneinandergeraten. Bei einer Demonstration tat er dann seinen Unmut über die BFE mit einem Pulli kund, auf dem „FCK BFE“ stand.

Als dies einer der Beamten bemerkte, forderte er den Beschwerdeführer mehrmals auf, den Schriftzug zu bedecken. Der Beschwerdeführer reagierte darauf nicht, sodass der Beamte den Pulli beschlagnahmte. Unter dem Pulli trug der Mann aber noch ein T-Shirt, wenig überraschend mit dem Audruck „FCK BFE“. Das Amtsgericht verurteilte ihn wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Dem Mann sei sei bewusst gewesen, dass Mitglieder der BFE bei der Demonstration vor Ort waren.

Dabei ging das Gericht aufgrund der vorangegangen Konflikte davon aus, das Statement habe sich nur auf die BFE in Göttingen bezogen. So habe der der Beschwerdeführer den Schriftzug trotz Aufforderung nicht verdeckt. Die Gruppe der Polizisten sei somit hinreichend individualisierbar. Die Benutzung des Wortes „fuck“ gehe über reine Kritikäußerung hinaus und habe eine abwertende Bedeutung.

Diese Argumentation akzeptiert das Bundesverfassungsgericht. Der Begriff „BFE“ sei nicht so allgemein gefasst wie „cops“. Bei letzterem sei noch nicht einmal klar, ob „cops“ nur auf die deutsche Polizei bezogen ist. In dem konkreten Fall ist die Argumentation der Gerichte nachvollziehbar. Sofern man aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ableiten will, dass die Bezeichnung „FCK BFE“ generell strafbar ist, geht das meines Erachtens zu weit. Ohne die Vorgeschichte und das konkrete Verhalten des Beschwerdeführers in diesem Verfahren, erfasst die Bezeichnung wahrscheinlich mehrere tausend Beamte in Deutschland. Davon ausgehend eine hinreichende Individualisierung anzunehmen, scheint – ohne weitere Indizien – lebensfremd. Aber die Entscheidung zeigt immerhin, wo mögliche Grenzlinien bei Unmutsäußerungen gegen Vertreter des Staates laufen (Link zur Entscheidung).

RA Dr. André Bohn

„Aussortieren eines kranken Kindes“

Im ersten Semester Jura lernt man in der Vorlesung zum Strafrecht Allgemeiner Teil unter anderem, ab wann ein Mensch ein Mensch ist – im Sinne des Strafrechts. Thematischer Aufhänger ist § 212 Abs. 1 StGB, der die Tötung eines (anderen) Menschen voraussetzt. Man ist sich weitgehend einig, dass jedenfalls ab Beginn der Eröffnungswehen beim Geburtsvorgang von einem Menschen auszugehen ist.

Der Bundesgerichtshof hat dazu in einem nun veröffentlichten Beschluss (Aktenzeichen 5 StR 256/20) Stellung bezogen. Im entschiedenen Fall war eine Frau mit Zwillingen schwanger. Das war im Jahr 2010. In Folge von Komplikationen bei der Schwangerschaft kam es bei einem der Embryos zu schweren Hirnschäden. Bei der medizinischen Beratung kam ein (straffreier) Schwangerschaftsabbruch beim geschädigten Embryo zur Sprache. Mit Eingriff wäre aber ein erhebliches Risiko für den anderen – gesunden – Embryo verbunden gewesen.

Nur wenige spezialisierte Kliniken boten seinerzeit diesen komplizierten Eingriff an. Die werdende Mutter entschied sich trotzdem dafür, fühlte sich aber in der Spezialklinik nicht gut betreut. Daher wandte sie sich an die Oberärztin einer anderen Klinik für Geburtsmedizin. Diese wollte zwar helfen, aber ihr Krankenhaus war zu dem Schwangerschaftsabbruch bei einem Embryo nicht in der Lage.

Daher fassten die Mutter, die Oberärztin und der Leiter der Klinik den Plan, das gesunde Kind per Kaiserschnitt zu entbinden und den geschädigten Zwilling zu töten. Nachdem der gesunde Embryo auf der Welt war, spritzten die Mediziner dem kranken, aber lebensfähigen Embryo eine tödliche Dosis Kaliumchloridlösung.

Durch eine anonyme Anzeige ist die Staatsanwaltschaft Jahre später auf den Vorfall aufmerksam geworden. Sie klagte den Sachverhalt vor dem Landgericht Berlin an. Das Gericht verurteilte die Ärztin und den Arzt wegen gemeinschaftlichen Totschlags (Urt. v. 19.11.2019, Az. (532 Ks) 234 Js 87/14 (7/16)) zu einem Jahr und sechs Monaten und einem Jahr und 9 Monaten auf Bewährung.

Diese Urteile bestätigte der Bundesgerichtshof nun. Im Kern stellt das Gericht fest, die Regeln für Schwangerschaftsabbrüche gelten nur bis zum Beginn der Geburt. Bei einer Entbindung mittels Kaiserschnitt sei dies die Eröffnung der Gebärmutter. Dies sei unabhängig davon, wie viele Kinder geboren werden. Damit liegt strafrechtlich ein Totschlag vor, weil schon ein „anderer“ existierte. Der Vorsitzende des Strafsenats sprach überdies von einem nicht hinnehmbaren „Aussortieren eines kranken Kindes“.

Neu verhandelt werden muss trotzdem hinsichtlich der Rechtsfolgen, weil das Landgericht nach Meinung des BGH nicht strafschärfend hätte berücksichtigen dürfen, dass die Tat geplant war in nicht aus einer Notsituation heraus geschah. Dies sei bei einer medizinisch indizierten Operation nicht zulässig.

Sowohl materiell-rechtlich als auch im Hinblick auf die klare Feststellung, dass jede Form von Euthanasie strafbar ist, ist das Urteil nachvollziehbar. Da gerade geborene zur Welt gekommene Babys keinen Argwohn empfinden können und die Mutter als potenziell schutzbereite Dritte ebenfalls nicht arglos war, kommt aber immerhin kein heimtückischer Mord in Betracht.

Hintergrundbericht

RA Dr. André Bohn