Das Landgericht Berlin hat einen Mann wegen Mordes verurteilt. Die Tat liegt lange zurück, außer einer unklaren DNA-Mischspur gibt es kaum Beweise gegen den Angeklagten. Deshalb ließ es sich das Landgericht nicht nehmen, seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten unter anderem darauf zu stützen, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme keinen „Unmut“ geäußert habe.
Nun ja, jeder Jeck ist anders. Darauf weist – in geschliffeneren Worten – der Bundesgerichtshof hin, der das Urteil nun aufgehoben hat. Es gebe schlicht keinen „Satz der Lebenserfahrung“, dass jemand aufgebracht reagieren muss, wenn er mit einem Mordvorwurf konfrontiert wird.
Fast noch schlimmer ist allerdings, dass das Landgericht Berlin dem Angeklagten sogar den (offenbar frühen) Zeitpunkt ankreidete, zu dem er nach einem Anwalt verlangte. Daraus wird eine Art Schuldbewusstsein konstruiert, was in einem Rechtsstaat natürlich nicht geht. Der Bundesgerichtshof:
Nach § 136 Abs. 1 S. 2 und § 163a Abs. 4 StPO darf der Angeklagte unbefangen darüber entscheiden, ob und wann er die Hilfe eines Verteidigers in Anspruch nimmt. Diese zwar nicht im nemo-temetur-Grundsatz, jedoch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Verhaltensmöglichkeit des Angeklagten im Ermittlungsverfahren würde durch beweiswürdigende Zugriffe entwertet.
Auch ich höre immer mal wieder die Fragen: Soll ich es nicht zuerst ohne Anwalt probieren? Wird es mir nicht negativ ausgelegt, wenn ich Sie einschalte? Vom Tisch wischen darf man diese Bedenken jedenfalls nicht, wie das Urteil des Landgerichts Berlin leider zeigt (Aktenzeichen 5 StR 109/20).