Affentheater

Aus einem Strafbefehl wegen Beleidigung:

Sie bezeichneten die Polizeikontrolle als „Affentheater“.

Nachdem ich die Gerichtsakte gelesen habe, möchte ich an sich niemandem zu nahe treten. Aber bei der Geschichte muss ich – wenn auch natürlich halb im Scherz – festhalten: Wir reden hier gar nicht über ein Werturteil. Sondern über eine Tatsachenbehauptung.

Mögen die Zeugen also gehört werden, die Lokalpresse freut sich schon…

Kommen wir irgendwie zusammen?

Man sollte sich nie zu früh aus der Deckung wagen. Das zeigt ein Anruf bei einer Staatsanwältin, den ich vor einigen Tagen machte. Das Gespräch verlief so:

Hallo Frau Staatsanwältin, Sie haben wegen Corona sicher viel zu tun. Deshalb wollte ich mal nachfragen, ob wir die Arbeit in der Sache Müller, Eduard nicht vereinfachen können. Kommen wir da irgendwie zusammen … ?

An dieser Stelle wollte ich vorschlagen, es bei einer kleinen Bewährungsstrafe um die sechs Monate zu belassen. Hätte ich persönlich schon in Ordnung gefunden. Der Mandant übrigens auch. Doch die Staatsanwältin übernahm gleich das Gespräch:

Ach, gut, dass Sie anrufen. Ich hatte die Akte gestern auf dem Tisch. Also, mein Gedanke wäre eine Geldstrafe, von mir aus auch etwas unter 90 Tagessätzen.

Die Grenze von 90 Tagessätzen kennen wir ja schon aus diversen Blogeinträgen. Bis zu dieser Höhe ist man zwar im technischen Sinne vorbestraft, darf sich aber als unvorbestraft bezeichnen. In einem Führungszeugnis für Firmen etc. steht die Vorstrafe auch nicht drin (wenn es die erste ist). Man hat also bei Bewerbungen eine weiße Weste.

Ich war natürlich heilfroh, dass die Staatsanwältin meinen Mitteilungsdrang gebremst hatte. Zwei Minuten später war die Sache in trocken Tüchern. Die etwas voreilige Idee mit der Bewährungsstrafe bleibt somit besser unter uns.

Haftgründe? Aber klar!

Es geht um Warenbetrug. Packstationen spielen eine Rolle. Die Polizei hat meinen Mandanten an so einer Packstation festgenommen, als er – möglicherweise – eine Sendung abholen wollte, die so nicht für ihn gedacht war.

Aber darum geht es nur am Rande. Der Kripobeamte in dem eher beschaulichen hessischen Ort war so angetan von seinem Ermittlungserfolg, dass er meinen Mandanten unbedingt in Haft sehen wollte. Das jedenfalls machte er in seinem Abschlussvermerk sehr deutlich:

Aufgrund des Tatverdachts gemäß § 152b StGB liegt im vorliegenden Fall schon grundsätzlich wegen der Schwere der Tat ein Haftgrund vor.

Polizeibeamte sind keine Juristen. Aber sie haben natürlich Tag für Tag mit Paragrafen zu tun. Vor allem mit denen der Strafprozessordnung. Definiert diese doch weitgehend die „Spielregeln“ für die tägliche Arbeit der Beamten, zumindest im Bereich der Strafverfolgung. Hier scheint der Polizist, vorsichtig gesagt, eher rudimentäre Kenntnisse zu haben.

Das Gesetz (§ 112 StPO) fordert für die Untersuchungshaft zwei Dinge: Dringenden Tatverdacht – und einen Haftgrund. Von wenigen schweren Delikten wie Mord und einigem Dingen aus dem Bereich der Sexualstraftaten begründet „die Tat“ also solche gerade keinen Haftgrund, sondern ist Teil der erstgenannten Voraussetzung. Der Haftgrund ist etwas komplett anderes. Die klassischen Haftgründe sind Flucht oder Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr und die Wiederholungsgefahr.

Es handelt sich beim Tatverdacht und den Haftgründen also um komplett unterschiedliche Dinge. Diese darf man nicht in einen Topf werfen. Vielmehr müssen die betreffenden Voraussetzungen a) dringender Tatverdacht und b) Haftgrund in aller Regel gemeinsam vorliegen. Die Straftat kommt allerdings beim Haftgrund der Fluchtgefahr allerdings ein klein wenig indirekt ins Spiel. Denn nach Auffassung vieler Gerichte begründet eine hohe Straferwartung (so ab 3 Jahre 6 Monate) auch einen hohen Fluchtanreiz.

Von so einer exorbitanten Straferwartung konnte man im vorliegenden Fall aber nun wirklich nicht ausgehen – es ging wie gesagt nur um eine fragwürdige Sendung mit zwei Cargoshorts von Zalando.

Langer Rede, kurzer Sinn. Nicht mal der Staatsanwalt hat beantragt, dass mein Mandant zum Haftrichter muss. Das Verfahren ist übrigens mittlerweile auch beendet – mit einem Freispruch. Und wenn es nach den Wünschen des Polizeibeamten gegangen wäre? Das hätte meinem Mandanten zumindest den Job gekostet, wenn nicht die komplette Existenz.

Er will einen Anwalt? Schuldig!

Das Landgericht Berlin hat einen Mann wegen Mordes verurteilt. Die Tat liegt lange zurück, außer einer unklaren DNA-Mischspur gibt es kaum Beweise gegen den Angeklagten. Deshalb ließ es sich das Landgericht nicht nehmen, seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten unter anderem darauf zu stützen, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme keinen „Unmut“ geäußert habe.

Nun ja, jeder Jeck ist anders. Darauf weist – in geschliffeneren Worten – der Bundesgerichtshof hin, der das Urteil nun aufgehoben hat. Es gebe schlicht keinen „Satz der Lebenserfahrung“, dass jemand aufgebracht reagieren muss, wenn er mit einem Mordvorwurf konfrontiert wird.

Fast noch schlimmer ist allerdings, dass das Landgericht Berlin dem Angeklagten sogar den (offenbar frühen) Zeitpunkt ankreidete, zu dem er nach einem Anwalt verlangte. Daraus wird eine Art Schuldbewusstsein konstruiert, was in einem Rechtsstaat natürlich nicht geht. Der Bundesgerichtshof:

Nach § 136 Abs. 1 S. 2 und § 163a Abs. 4 StPO darf der Angeklagte unbefangen darüber entscheiden, ob und wann er die Hilfe eines Verteidigers in Anspruch nimmt. Diese zwar nicht im nemo-temetur-Grundsatz, jedoch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Verhaltensmöglichkeit des Angeklagten im Ermittlungsverfahren würde durch beweiswürdigende Zugriffe entwertet.

Auch ich höre immer mal wieder die Fragen: Soll ich es nicht zuerst ohne Anwalt probieren? Wird es mir nicht negativ ausgelegt, wenn ich Sie einschalte? Vom Tisch wischen darf man diese Bedenken jedenfalls nicht, wie das Urteil des Landgerichts Berlin leider zeigt (Aktenzeichen 5 StR 109/20).

Gelöscht ist gelöscht

Wer mit einem übervollen Punktekonto in Flensburg zu kämpfen hat oder einmal haben wird, sollte eine aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kennen. Danach dürfen Punkte auf keinen Fall mehr berücksichtigt werden, wenn sie gelöscht sind. Bislang haben Bußgeldstellen und Gerichte das in gewissen Konstellationen anders gesehen.

Dabei wurden den Betroffenen Punkte zum Beispiel bei Anordnung einer Nachschulungsauflage oder gar einer Entziehung der Fahrerlaubnis noch angerechnet, obwohl die Löschfrist zum Zeitpunkt der Anordnung bereits abgelaufen war. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass es auf den Zeitpunkt des letzten Verstoßes ankomme, nicht auf den (logischerweise späteren) Zeitpunkt der behördlichen Maßnahme.

Dem erteilt das Bundesverwaltungsgericht nun eine Absage: Gelöscht sei gelöscht, maßgeblich sei dabei der Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung. Im entschiedenen Fall hatte das zur Folge, dass dem Autofahrer vier Punkte nicht mehr angerechnet werden konnten. Somit war sein Führerschein gar nicht weg. Je länger sich ein Bußgeldverfahren also nach dem Tattag hinzieht, desto genauer sollte man künftig hinschauen, ob die die Löschungsfrist richtig beachtet wurde (Aktenzeichen 3 C 14.19).

Kirchenasyl ist kein Rechtsmissbrauch

Wenn sich ein Asylbewerber im offenen Kirchenasyl aufhält, hat er nach 18 Monaten dennoch Anspruch auf erhöhte Sozialleistungen. Dies hat das Landessozialgericht Darmstadt in einem Eilverfahren entschieden.

Ein Mann aus Äthiopien war 2015 nach Deutschland gekommen, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Im Februar 2017 schützte ihn eine Frankfurter Gemeinde vor der Abschiebung, indem sie dem Mann Kirchenasyl gewährte. Das wurde der Stadt Frankfurt auch mitgeteilt. Diese unternahm im weiteren Verlauf nichts weiter. Sie wollte dem Mann aber nach 18 Monaten nicht die erhöhten Leistungen gewähren, weil er seinen Aufenthalt rechtsmissbräuchlich sichere.

Das Gericht verweist dagegen darauf, dass die Behörden normalerweise Kirchenasyl respektieren, obwohl sie weiter in der Lage seien, den Aufenthalt zu beenden. Wenn es sich wie hier um offenes Kirchenasyl handele, also der Aufenthaltsort des Betroffenen stets bekannt sei, sei das Kirchenasyl nicht mit einem Untertauchen gleichzusetzen. Verzichte der Staat auf eine Abschiebung und toleriere den Aufenthalt, könne er dem Asylbewerber nicht gleichzeitig Rechtsmissbrauch vorwerfen (Aktenzeichen L 4 AY 5/20 B ER)

„Günstiger und schneller als der Anwalt“

Ein Vertragsgenerator ist keine unzulässige Konkurrenz für Anwälte, sondern ein zulässiges Verlagsprodukt. Hierüber belehrt das Oberlandesgericht Köln die Hanseatische Anwaltskammer. Die Kammer hatte gegen den Vertragsgenerator geklagt, weil dieser verbotene Rechtsberatung leiste.

Beanstandet wurden auch die Werbeaussagen „Günstiger und schneller als der Anwalt“ sowie „Rechtsdokumente in Anwaltsqualität“. Die Kölner Richter schauten sich das Produkt an und stellten wenig überraschend fest, dass es sich dabei lediglich um ein Formularbuch 2.0 handelt. Das Programm fragt die juristische Ausgangssituation Schritt für Schritt ab und setzt diese dann in Klauseln um. So kennt man es ja auch von den üblichen Einkommenssteuerprogrammen.

Jedem Nutzer sei klar, dass das Ergebnis von der Qualität der Textbausteine, ihren logischen Verknüpfungen und der richtigen Eingabe durch den Nutzer abhänge. Also genau die gleiche Konstellation, wie wenn sich jemand aus einem Formularbuch, wie es seit Urzeiten angeboten wird, die richtigen Klauseln heraussucht. Das sei schon keine Rechtsberatung im Sinne des Gesetzes, so das Gericht.

Kein Thema in dem Rechtsstreit waren Programme, die tatsächlich mit Künstlicher Intelligenz arbeiten und nicht nur nach einem schematischen Ja-Nein-Code. Wenn so was auf den Markt kommt, kann die Hamburger Anwaltskammer ihr Glück ja vielleicht noch mal versuchen (Aktenzeichen 6 U 263/19).

Missglückte Blondierung

Missglückte Friseurbesuche gibt es täglich in großer Zahl. Was die Kundin eines Friseursalons ins Köln allerdings erlebte, geht weit über einen unbefriedigenden Haarschnitt hinaus. Bei der Blondierung ihres Haares erlitt die Frau in einem handtellergroßen Bereich des Hinterkopfes durch die Blondiercreme Verbrennungen und Verätzungen 1. bis 2. Grades.

Es folgte eine monatelange Schmerz- und Infektionsbehandlung, dann ein aufwendiger dermatologisch-operativer Eingriff. Dennoch blieben der Frau nicht nur dauerhafte Schmerzen, die sie mit Medikamenten bekämpfen musste. Auf dem Hinterkopf behält sie außerdem eine haarlose Stelle. Sein Verschulden mochte der Friseur bis zuletzt nicht einsehen. Er bot der Kundin lediglich einen Friseurgutschein.

So landete der Fall vor Gericht. Das Landgericht Köln sprach der Klägerin 4.000 Euro Schmerzensgeld zu, sie selbst hatte 10.000 Euro verlangt. Das Oberlandesgericht Köln erhöhte die Summe jetzt auf 5.000 Euro. Die gravierenden Folgen rechtfertigten diesen Betrag. Keine Rolle spielt nach Auffassung des Gerichts der Umstand, dass der Friseur eine Haftpflichtversicherung hat. Aus diesem Grund hatte die Klägerin einen Aufschlag gefordert (Aktenzeichen 20 U 287/19).

Unter einer Gangbang-Party versteht man …

Jeder Verstoß gegen die Coronaschutzverordnung muss natürlich gerichtsfest begründet sein. Deshalb lässt es sich das Ordnungsamt auch nicht nehmen, in seinem Bußgeldbescheid einleitend erst mal zu erklären, was eine Gangbang-Party ist:

Unter einer Gangbang-Party versteht man eine besondere Form des Gruppensex, für den eine extreme Überzahl dominanter bzw. aktiv-penetrierender Teilnehmer und die abwechselnde Penetration weniger submissiver bzw. passiv-rezeptiver Teilnehmer charakteristisch ist.

Die juristischen Probleme des Falles liegen allerdings nicht in dieser grandiosen Definition. Aber davon erzähle ich besser erst nach dem Gerichtstermin.

Verlobt und schweigsam

Strafverteidiger mögen Verlöbnisse. Nicht unbedingt wegen der Romantik. Sondern wegen der sofort greifbaren Auswirkungen, die ein sogenanntes „Eheversprechen“ juristisch hat. War ein – mögliches – Opfer gerade noch als Zeuge aussagepflichtig, besitzt es ab Verlobung mit dem mutmaßlichen Täter, also möglicherweise sofort, ein umfassendes Schweigerecht. Wie das Ganze funktioniert, zeigt ein aktueller Fall aus Bonn.

Vor dem Landgericht muss sich eine 33-Jährige verantworten, weil sie ihrem Freund mit einem Messer nach dem Leben getrachtet haben soll. War der Mann bislang sogar als Nebenkläger aufgetreten, berief er sich nun am zweiten Verhandlungstag im Zeugenstand auf seine tiefe Liebe zur Angeklagten, berichtet der Express. Die Zuneigung wird wohl auch erwidert, denn nach Angaben des Zeugen bestand das in Rede stehende Verhältnis schon vor dem Gerichtstermin.

Der Verteidiger soll nichts gewusst haben, der Vorsitzende war wohl einigermaßen baff. Aber immerhin überwog laut dem Bericht die Rührung über das unvermittelte Happy End. Vielleicht mit Ausnahme des Anwalts des Frischverlobten. Der verlor nämlich sein Mandat, weil sein Auftraggeber natürlich auch noch gleich die Nebenklage cancelte.

Jetzt muss das Landgericht Bonn sehen, wie es mit der Situation umgeht. Ein Opfer, das nicht aussagt und gar keine Strafe mehr will, das wird sicher zu einem erheblichen Rabatt führen. Trotzdem bin ich mir sicher, die Beteiligten hätten den Verteidiger einweihen sollen. Der hätte der Sache mit einem kleinen Trick noch etwas mehr Drive verleihen können. Mehr sage ich an dieser Stelle aber nicht, wir Anwälte wollen uns ja nicht überflüssig machen.

Verbotene Liebe im Knast

In Rheinland-Pfalz muss die Mitarbeiterin einer Justizvollzugsanstalt den Dienst quittieren. Sie soll eine mehrmonatige Liebesbeziehung zu einem Gefangenen eingegangen sein.

Bei einer Postkontrolle wurden zahlreiche Briefe aufgefunden, welche die Beamtin dem Gefangenen unter falschem Namen geschickt hatte. Darin soll sie von einem gemeinsamen Leben nach der Haft gesprochen haben. Außerdem hatte die Beamtin Nacktfotos von sich beigelegt. Im Gegenzug gab ihr der Inhaftierte ein T-Shirt von sich, das die Frau mit nach Hause nahm.

Das Oberverwaltungsgericht Koblenz betrachtet die Beamtin als untragbar. Die Frau habe gegen das Distanzgebot im Strafvollzug verstoßen. Die Briefe belegten unzweifelhaft eine Liebesbeziehung. Hierdurch, aber insbesondere durch die Nacktaufnahmen, habe sie sich erpressbar gemacht. Besonders kreidet das Gericht, wie schon die Vorinstanz, der Mitarbeiterin auch an, dass sie sogar nach der Verlegung des Gefangenen versucht habe, mit ihm über Dritte Kontakt zu halten. Dass es keine intime Beziehung gab, sei nicht glaubhaft (Aktenzeichen 3 A 11024/19.OVG).

Dresdner klagt gegen Regenbogenfahne

Zum Christoper Street Day hisste das Sächsische Gleichstellungsministerium in Dresden die Regenbogenflagge. Dagegen zog ein Bürger vor Gericht. Er verlangte, dass die Flagge sofort wieder abgehängt wird.

Der Antragsteller sieht in der Schwulen- und Lesbenbewegung eine Weltanschauung, für diese dürfe der Staat nicht werben, ohne seine Neutralitätspflicht zu verletzen. Das Verwaltungsgericht Dresden vermochte dagegen keine unzulässige Bedrohung des herkömmlichen Familienbildes durch eine Flagge zu erkennen. Die Regenbogenfahne drücke nach aktuellem Verständnis Toleranz und Akzeptanz aus und betone die Vielfalt der Lebensformen. Es handele sich um ein überparteiliches Symbol, das keiner politischen Richtung exklusiv zuzurechnen sei. Auch habe der Antragsteller keinen Anspruch darauf, nicht mit Meinungen konfrontiert zu werden, die er nicht teilt.

Etwas hakeliger war wohl ein formales Argument des Antragstellers. Die Verwaltungsvorschrift zur Beflaggung von Dienstgebäuden lasse die Regenbogenfahne gar nicht zu. Ob das der Fall ist, wollte das Gericht allerdings nicht entscheiden. Es handele sich lediglich um eine interne Verwaltungsvorschrift. Diese gebe dem Antragsteller keine eigenen Rechte (Aktenzeichen 6 L 402/20).

Bußgeld: Rabatt für Schnellzahler

Das Saarland möchte die Justiz in Bußgeldsachen entlasten. Die Idee: Wer eine Geldbuße künftig schnell zahlt, kriegt einen Rabatt.

Betroffene in Bußgeldverfahren hätten derzeit praktisch keinen Anreiz, ihr Knöllchen schnell zu zahlen. Die Verfahrenskosten übernehme oft eine Rechtsschutzversicherung, so dass es auch einen Anreiz für „wenig aussichtsreiche“ Rechtsmittel gebe. Das blockiere jedoch Behörden und Gerichte.

Wer zu seinem Fehlverhalten stehe und schnell zahle, solle künftig nicht der „Dumme“ sein. Sondern mit einem spürbaren Abschlag honoriert werden. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt bereits die Initiative.

Gericht macht Idioten zum Volksverhetzer

Kann jemand, der auf seiner Homepage Frauen als „Menschen zweiter Klasse“ verunglimpft, sie als „minderwertige Menschen“ bezeichnet und meint, Frauen seien „den Tieren näherstehend“, als Idiot durchgehen? Zweifellos. Aber betreibt er auch strafbare Volksverhetzung? Ja, befindet das Oberlandesgericht Köln. Volksverhetzung sei auch an einer wesentlichen bzw. sogar der größten Gruppe der Bevölkerung möglich.

Das Landgericht Bonn hatte das noch anders gesehen. Nach Auffassung der Richter schützt § 130 StGB nur hinreichend abgrenzbare Gruppen, die u.a. nach politischer oder weltanschaulicher Überzeugung, sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnissen, Beruf oder sozialen Funktionen abgrenzbar sein müssten. Einen abstrakten Schutz der Geschlechtszugehörigkeit biete die Norm dagegen nicht.

Dagegen betrachtet das Oberlandesgericht Köln auch Frauen als „Teile der Bevölkerung“ im Sinne des Gesetzes. Ausdrücklich betonen die Richter unter anderem, der Volksverhetzungsparagraf habe sich zu einem umfassenden Anti-Diskriminierungstatbestand entwickelt. Deshalb müsse auch nicht davon ausgegangen werden, dass nur Minderheiten geschützt sind. Sondern eben auch die Mehrheit.

Das klingt schon sehr weitgehend, zumal wenn man an die „Soldaten-sind-Mörder“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts denkt. Das hatte seinerzeit Pazifisten für diese Aussage freigesprochen, weil eine Ehrverletzung nur in Frage kommt, wenn sich der Spruch gegen einzelne, individualisierte Soldaten richtet. Ähnlich lauten ja auch Urteile in den „ACAB“-Fällen. Es ist also keineswegs ausgemacht, dass Karlsruhe ein so weitgehendes Verständnis des Volksverhetzungs-Paragrafen billigt – gerade mit Blick auf die Meinungsfreiheit. Jetzt muss erst einmal eine andere Kammer des Landgerichts Bonn über den Fall entscheiden (Aktenzeichen III-1 RVs 77/20).

Der „unerreichbare“ Zeuge

An einem Umstand beisst die Maus keinen Faden ab: Der Zeuge, um den es hier geht, ist wichtig für das laufende Strafverfahren. Ohne seine Aussage wird sich die Sache nicht aufklären lassen. Dumm nur, dass sich kurz vor der Hauptverhandlung herausgestellt hat, dass der Zeuge in einem sehr abgelegenen Teil Russlands an seinem derzeitigen Arbeitsplatz festsitzt. Coronabedingt.

Die Staatsanwaltschaft ist not amused und vertritt die Meinung, der Zeuge sei „unerreichbar“ im Sinne des § 244 StPO (genau steht das in Absatz 3 Satz 3 Ziffer 5). Deshalb könne man auf ihn verzichten, Pech für die Verteidigung. Und insbesondere für den Angeklagten, für den der Knast damit etwas näher rückte.

Allerdings ist das natürlich eine sehr gewagte Interpretation der Unerreichbarkeit. Immerhin ist der Zeuge ja nicht von der Bildfläche verschwunden. Ganz im Gegenteil. Er hat hat dem Gericht mit Unterlagen belegt, dass er sich derzeit im Auftrag eines großen deutschen Baukonzerns auf Montage in Sibirien befindet und es wegen der Corona-Maßnahmen in Russland momentan keinen Weg nach Deutschland für ihn gibt. Obwohl er, zumindest nach eigenen Angaben, kommen würde.

Unerreichbarkeit kann nach gängiger Definition auch gegeben sein, wenn auch für die Zukunft nicht zu erwarten ist, dass der Zeuge überhaupt erscheint. Die Staatsanwaltschaft hat offensichtlich einen sehr engen Zukunftshorizont, wenn sie meint, mit „Zukunft“ seien die nächsten 14 Tage gemeint. Auch der Vorsitzende Richter mochte sich dieser Sicht lieber nicht anschließen. Sicherlich aus gutem Grund, weil das Ganze wäre eine Einladung für eine erfolgreiche Revision.

So ist der Prozess erst mal geplatzt. Wir sehen uns wegen der angespannten Terminslage des Gerichts erst in einiger Zeit wieder. Vermutlich im Januar oder Februar. Da könnte man schon eher von Zukunft sprechen…