In einem Presse-Briefing hat die Landesregierung NRW am gestrigen Tag die weitergehenden Maßnahmen für eine Eindämmung des Corona-Virus vorgestellt. Ausdrücklich genannt wurde die Untersagung von öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel, wie zum Beispiel Demonstrationen.
Da darf man schon mal stutzen. Immerhin ist die Demonstrationsfreiheit ein Grundrecht. Sie ist, wie das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten erklärt, ein Grundpfeiler der Demokratie.
Sicherlich enthält § 17 Abs. 7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) den erforderlichen Gesetzesvorbehalt, um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 Grundgesetz einzuschränken. Das bedeutet aber längst keinen Freibrief für die jeweilige Regierung, unter Berufung auf diese Vorschrift juristischen Kahlschlag zu betreiben.
Ohne näher in verfassungsrechtliche Details gehen zu wollen, ist jedenfalls eines klar: An die Einschränkung eines Grundrechts sind höchste Anforderungen zu stellen. Insbesondere muss die Einschränkung verhältnismäßig sein, was vereinfacht die Frage aufwirft, ob eine Maßnahme geeignet und erforderlich ist und ob eine Güterabwägung ergibt, dass die Versammlungsfreiheit tatsächlich zurücktreten muss.
Geeignet ist ein Demo-Verbot unzweifelhaft, um die Ausbreitung des Corona-Virus abzumildern. Aber ist sie auch erforderlich? Derzeit gibt es noch keine Ausgangssperre. Busse und Bahnen fahren, sie sind keineswegs leer und werden bei ausgedünnten Fahrplänen eher keine einsameren Orte werden. Friseurgeschäfte haben geöffnet, Supermärkte sowieso. Es steht Menschen derzeit noch frei, sich etwa bei uns auf den Rheinwiesen niederzulassen oder rund um Parkbänke hinzustellen und ein Bierchen aufzumachen – was ja auch geschieht.
Angesicht dessen stellt sich schon die Frage, wieso Demonstrationen als elementarer Teil der Demokratie einfach mal so auf der Verbotsliste gelandet sind. Dies umso mehr, als Auflagen bei Demonstrationen ja nicht ungewöhnlich sind, man denke nur an die beliebten Lautsprecher- und Transparentverbote. Was spräche dagegen, den Mindestabstand zwischen den Personen im Demonstrationszug festzulegen?
Demonstrationen sind nach wie vor die wichtigste Möglichkeit, seine Meinung kundzutun. Siehe auch die Geschichte. Das alles mag man in der jetzigen Situation für überflüssig halten; ich tue es nicht. Wir können auch durchaus noch in die Situation kommen, in der sich die „Begeisterung“ über staatliche Maßnahmen in der aktuellen Krise in Unverständnis oder Ablehnung wandelt (abertausende Neu-Arbeitslose lassen schon jetzt mal grüßen). Und dann soll man nicht, im wahrsten Sinne des Wortes, dagegen auf die Straße gehen dürfen? Ganz abgesehen natürlich davon, dass sich andere aktuelle gesellschaftliche und politische Probleme mit dem Virus nicht in Luft aufgelöst haben.
Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis Demonstrationen angemeldet werden. Spannend wird es, wie sich die Gerichte zum Verbot positionieren. Meine Prognose: So lange wir uns in der Bahn noch gegenübersitzen und beliebig unsere Häuser verlassen dürfen, ist die Landesregierung mit der faktischen Abschaffung eines Grundrechts deutlich zu weit gegangen.