Derzeit

Vor einigen Tagen war ich am Landgericht, und die Vorsitzende der Strafkammer wies mich in der Verhandlung auf einen Spleen hin. Oder auf das, was sie für einen solchen hält. Nachdem wir den fünften Zeugen gehört hatten, seufzte sie und sprach in meine Richtung:

Herr Verteidiger, ich weiß nicht, warum Sie das immer sagen.

Was denn?

Immer wenn wir mit dem Zeugen fertig sind, sagen Sie: „Ich habe derzeit keine weiteren Fragen an den Zeugen.“ Wieso sagen Sie immer „derzeit“? Das nervt mich ein bisschen.

Frau Vorsitzende, ich sage derzeit, weil ich derzeit meine. Es kann ja sein, dass ich später doch noch Fragen an den Zeugen habe.

Aber später ist der Zeuge doch nicht mehr da, deswegen spielt das doch bitteschön keine Rolle.

Aber auch wenn der Zeuge nicht mehr da ist, kann es ja sein, dass ich Fragen an ihn habe. Die kann er dann halt nur nicht beantworten. Es sei denn, Sie laden ihn noch mal.

Das machen wir aber nicht. Wenn der Zeuge entlassen ist, ist er entlassen.

Gut, aber es kann ja sein, dass ich die erneute Vernehmung des Zeugen beantrage. Das ist dann ein Beweisantrag, und wenn Sie dem stattgeben, was ja nach der Strafprozessordnung nicht so ganz unmöglich ist, muss der Zeuge halt noch mal kommen.

Ach so, wenn Sie meinen, Herr Verteidiger…

Wir befragten dann den nächsten Zeugen. Bevor dieser verabschiedet wurde, schaute mich die Richterin aufmunternd an und wollte wissen, ob ich noch Fragen habe. Ich sagte:

Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen…

Die Richterin lächelte zufrieden. Bis ich anfügte:

… jedenfalls nicht im Moment.

SCNR.