Fehleinweisung

Mir ist gerade ein bisschen schwindelig. Mein Mandant ist jetzt seit mehr als zehn Jahren in einer forensischen Klinik untergebracht. Es geht um Sexualstraftaten, und bisher waren sich die regelmäßig eingesetzten Gutachter einig. Ich kann jetzt natürlich keine Details sagen, aber es lief im Ergebnis darauf hinaus, dass mein Mandant von seiner sexuellen Orientierung her eine tiefgreifende psychische Störung hat, die seine Unterbringung rechtfertigt.

Nun hat mal ein anderer Sachverständiger die Sache überprüft, um für das Gericht eine Grundlage für die turnusgemäße Entscheidung über den weiteren Unterbringungsbedarf zu liefern. Der Gutachter sagt nun: alles Quatsch, die tiefgreifende Störung liegt nicht vor. Mein Mandant leide nur an einem ausgeprägten Narzissmus. Der sei aber nicht pathologisch und somit keine Rechtfertigung für eine Unterbringung. Die Klinik hat in weiteren Stellungnahmen mittlerweile eingeräumt, dass die bisherige Diagnose so wohl nicht richtig ist.

In Fachkreisen nennt man so was Fehleinweisung.

In Kürze wird mein Mandant angehört. Das Gericht hat auch den neuen Sachverständigen geladen. Ich bin mir sicher, es ist eine lebhafte Diskussion zu erwarten. Das alles hört sich auch erst mal sehr positiv für den Mandanten an. Doch bei näherem Hinsehen fürchte ich, dass sich die Diskussion womöglich sehr schnell auf eine ganz kritische Frage verlagert. Ich rede von der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB), eine der aus Sicht von Betroffenen eher unerfreulichen Regelungen, die im Wege der „Reform“ der Sicherungsverwahrung Gesetz geworden sind.

Man kann da leicht mit Zitronen handeln…

Flugentschädigung auch bei Verspätung außerhalb der EU

Flugreisenden, die Opfer von Verspätungen werden, stärkt der Europäische Gerichtshof regelmäßig den Rücken. Nun gibt es eine weitere Entscheidung zu einer ganz wichtigen Fallkonstellation: wenn der Flug in der EU startet, aber der Anschlussflug von einem Nicht-EU-Land aus erheblich verspätet ist. Im nun entschiedenen Fall ging es um einen Flug von Prag mit Zwischenstopp in Abu Dhabi, das Endziel war Bangkok.

Der Flug von Prag nach Abu Dhabi war pünktlich, der gebuchte Flug von Abu Dhabi nach Bangkok hatte aber eine Verspätung von rund sieben Stunden. Die tschechische Airline, bei der die Reisenden gebucht hatten, verwies darauf, den Weiterflug habe die Fluggesellschaft Etihad organisiert. Die erste Etappe sei nicht verspätet gewesen, so dass es sich bei dem verzögerten Start in Abu Dhabi um eine Verspätung handele, die nicht in der EU ihren Ausgang habe. Somit müsse sie keine Entschädigung zahlen.

Das sieht der Europäische Gerichtshof anders. Maßgeblich sei nur, dass es sich bei dem Vertragspartner der Kunden um eine Airline (und zum Beispiel nicht nur um ein Reisebüro) handelt, die selbst einen der Flüge organisiere. Die Entscheidung hat sehr große praktische Bedeutung, da ja immer mehr Fernflüge über Drehkreuze abgewickelt werden, dazu gehören gerade auch Abu Dhabi (Etihad) und Dubai (Emirates). Künftig können Reisende also auch problemlos Geld in Deutschland verlangen, selbst wenn erst ihr Anschlussflug außerhalb der EU mit mehr als dreistündiger Verspätung das Endziel erreicht. Das Aktenzeichen der Entscheidung lautet C-502/18.

Machtwort vom saarländischen Verfassungsgericht

Wer sich mal zu Unrecht geblitzt fühlte, hat es schon erlebt: Tempomessungen behandeln die meisten Gerichte quasi als sakrosankt, sofern die Messgeräte eine Genehmigung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) haben. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, hat nun der Verfassungsgerichtshof Saarbrücken entschieden.

Autofahrer hatten sich gegen Messungen mit dem Gerät TraffiStar S 350 gewehrt, und zwar mit einer Begründung, über die an anderen Gerichten nur der Kopf geschüttelt worden wäre. Der Einwand: TraffiStar S 350 speichere gar nicht alle sogenannten Rohdaten, die in die Messung einfließen. Deshalb sei es einem Betroffenen unmöglich, die Messung im Detail zu überprüfen, weil ihm eben nicht der komplette „Entscheidungsprozess“ des Geräts zugänglich gemacht werde.

Genau darin sehen die Verfassungsrichter im Saarland einen rechtsstaatlichen Mangel. Es gehöre zu einem fairen Verfahren, dass jeder Betroffene nachforschen könne, ob es Zweifel an der Tragfähigkeit des Vorwurfs gibt. Dass nicht alle Daten festgehalten bzw. offengelegt würden, führe zu einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf wirksame Verteidigung.

Das Gericht weist allerdings schon mal vorsorglich darauf hin, dass seine Kompetenz an den Grenzen des Saarlandes endet. Im Saarland werde ab sofort allerdings nun darauf geachtet, ob Bußgeldstellen und Instanzgerichte Autofahrer nur zur Rechenschaft ziehen, wenn tatsächlich alle Rohdaten der Messung im Streitfall überprüft werden können (Aktenzeichen Lv 7/17).

Amazon & Co. müssen keine Hotline bieten

Telefon und Fax sind nicht alles, zumindest was die Erreichbarkeit von Unternehmen angeht. Entgegen dem bisher geltenden Regeln in Deutschland sind Onlinehändler insbesondere nicht verpflichtet, für ihre Kunden telefonisch oder per Fax erreichbar zu sein. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Die deutschen Verbraucherzentralen hatten Amazon verklagt, weil die Firma nicht direkt telefonisch Kontakt mit ihren Kunden pflegt, sondern nur einen (nicht gerade leicht aufzufindenden) Rückrufservice bietet. Eine Faxnummer nennt Amazon gar nicht. Doch eine Verpflichtung für eine Telefonhotline oder einen Faxanschluss gibt es nach Europarecht gerade nicht, heißt es in dem heute veröffentlichten Gerichtsentscheid.

Vielmehr genügen auch „andere Kommunikationsmittel“, also insbesondere Chats. Voraussetzung sei aber, dass hierdurch eine direkte und effiziente Kommunikation möglich sei. Außerdem müssten die Kanäle „in klarer und verständlicher Weise zugänglich gemacht“ werden. Ob der Amazon-Rückrufservice insoweit ausreichend ist, müssten die nationalen Gerichte entscheiden.

Festhalten kann man aber schon jetzt, dass sich ein Unternehmen nicht schon deshalb rechtswidrig verhält, wenn es keine Telefonnummer angibt (Aktenzeichen C – 649/17).

Männlichkeit als Mangel

Auch wenn es die Überschrift vielleicht erwarten lässt, folgt nun keine Stellungnahme zum derzeit beliebten Thema alte weiße Männer. Vielmehr geht es um junge Hühner. Genauer gesagt um Federvieh im Allgemeinen und die gemeine Zwergseidenhenne im Besonderen. Drei von diesen schönen Tieren hatte eine Züchterin online angeboten – das Geschäft ging aber auf etwas kuriose Art und Weise daneben.

Obwohl im Angebot ausdrücklich von Hennen die Rede war, stellte sich eines der verkauften Jungtiere später als Hahn heraus. Der Käufer wollte vom Vertrag zurücktreten, die Verkäuferin bestand aber offensichtlich darauf, dass ein Hahn gleichwertig ist.

So landete der Streit vor dem Amtsgericht Coburg. Der dortige Richter hatte mit der Bewertung der Rechtslage erkennbar wenig Mühe. Zutreffend weist er in seinem Urteil darauf hin, wenn von Hennen die Rede sei, müssten auch Hennen geliefert werden (sogenannte Beschaffenheitsvereinbarung). Dieser Beschaffenheit habe der Hahn nicht entsprochen, weil er eben keine Henne war. Der Hahn sei „wegen seiner Männlichkeit“ im konkreten Fall als Kaufobjekt untauglich gewesen, was wiederum den Käufer berechtigte, sich vom Vertrag zu lösen (Aktenzeichen 11 C 265/19).

Rip off vehicle

Eins lässt sich festhalten: Einen coolen Namen haben sie den halbmobilen Blitzkisten gegeben, die nun verstärkt auf Deutschlands Straßen eingesetzt werden. „Enforcement Trailer“ werden die Geräte genannt, siehe zum Beispiel diese stolze Polizeimeldung über eine ganz aktuelle Inbetriebnahme in Münster.

Mich erinnerte der Name spontan an das „Wohnmobil der Liebe“ aus dem Uralt-Song der Housemartins, wobei es damals Wochen dauerte, bis uns noch einigermaßen jungen Leuten bei näherem Zuhören auffiel, dass mit „Caravan of Love“ eigentlich was anderes gemeint war. Wer die Zeit nicht miterlebt hat, auf ähnliche Weise hadern heute unzählige Menschen mit dem Parfümerie-Slogan „Come in and find out“.

Aber zurück zum Thema. Ein zur Kasse gebetener Autofahrer empfand den Enforcement Trailer eher als Rip off Vehicle. Deshalb wehrte er sich gegen einen Bußgeldbescheid mit einer lesenswerten Begründung. Er oder sein Anwalt hatten nämlich herausgefunden, dass das im Enforcement Trailer verbaute Messgerät laut Bedienungsanleitung nur „aus einem Kfz, auf einem Stativ oder in einer Messkabine“ Verwendung finden darf.

Die Bedienungsanleitung bei Tempomessgeräten ist an sich heilig. Normalerweise führt, kurz gesagt, jede Zuwiderhandlungzum Erlöschen der Betriebserlaubnis. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Jedenfalls hat das Oberlandesgericht Bamberg überhaupt keine Probleme damit, der Betriebsanleitung auch mal keine Bedeutung beizumessen. Nach Auffassung der Richter komme es nur darauf an, ob Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die Messung aus einem kleinen Anhänger in irgendeiner Form fehlerhaft sein könnte. Dies sei aber nicht der Fall, heißt es. Das Bußgeld gegen den Autofahrer wird also durchgesetzt. Oder sollte man korrekter sagen: enforced?

Link zum Beschluss

„Section Control“ kann starten

Auf der B 6 zwischen Gleidingen und Laatzen wird die Geschwindigkeit demnächst mittels „Section Control“ überwacht. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gab nun grünes Licht für den Testbetrieb. „Section Control“ erfasst am Anfang einer Messstrecke die Kennzeichen und die Einfahrtszeit aller Autos, am Ausgang des Korridors (Länge 2,2 Kilometer) wird die gefahrene Geschwindigkeit der Wagen ermittelt. Temposünder sollen dann zahlen.

Das Verwaltungsgericht hatte den Testbetrieb zunächst gestoppt. Es bemängelte insbesondere, für die Eingangsspeicherung der Nummernschilder gebe es keine gesetzliche Grundlage. Diese hat der Landtag in Niedersachsen dann aber kurzfristig geschaffen, indem er eine Regelung ins Niedersächsische Polizeigesetz aufnahm.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit der neuen Vorschrift hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg keine durchgreifenden Bedenken. Die Anlage wird dann nun wohl in den Testbetrieb gehen (Aktenzeichen 12 MC 93/19).

„Kinderwunsch-Tee“ verschwindet aus den Regalen

Mir ist er noch nicht aufgefallen, aber es scheint ihn tatsächlich zu geben: den „Kinderwunsch-Tee“. Allerdings wird das Produkt – oder jedenfalls sein Name – nun aus den Regalen verschwinden. Das Oberlandesgericht Köln untersagt dem Hersteller nämlich, dem aus Kräutern gebrauten Kinderwunsch-Tee eine fruchtbarkeitssteigernde Wirkung anzudichten.

Der Kinderwunsch-Tee soll den weiblichen Zyklus harmonisieren und so den Eisprung fördern. In der Beschreibung des Produkts liest sich das so:

Lemongras wirkt entspannend auf den Körper und baut Stress ab, so dass man sich ganz auf die Schwangerschaft einlassen kann. Zitronenverbene und Basilikum werden eine luststeigernde Wirkung nachgesagt.

Als Belege führt der Produzent eine „volksmedizinische Verwendung“ der Wirkstoffe an, ansonsten blieb er konkrete Nachweise schuldig. Das führte nun in die juristische Falle. Einem Lebensmittel darf eine gesundheitsfördernde Wirkung nur zugeschrieben werden, wenn die Wirkung auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise gestützt werden kann. So regelt es die EU-weit gültige „Health Claim Verordnung“ (HCVO). Die erforderlichen Nachweise blieb der Hersteller aber schuldig (Aktenzeichen 6 U 181/18).

Auch gläubiger Sikh muss auf dem Motorrad einen Helm tragen

Die in § 21 Straßenverkehrsordnung geregelte Helmpflicht gilt auch für Motorradfahrer, die einen Turban tragen wollen bzw. müssen. Dies stellt das Bundesverwaltungsgericht in einer aktuellen Entscheidung klar. Damit endet der Rechtsstreit eines Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Sikhs. Dieser hatte geltend gemacht, er müsse aus religiösen Gründen auch beim Motorradfahren einen Turban tragen.

Das Gericht konzediert dem Betroffenen zwar, dass die Helmpflicht ihn in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt. Allerdings schütze die Helmpflicht auch verfassungsrechtliche Rechtsgüter Dritter. So bestehe die Gefahr, dass Dritte oder Rettungskräfte traumatisiert werden, wenn sie ein Unfallopfer sehen oder bergen müssen, das keinen Helm getragen hat. Ein durch einen Helm geschützter Motorradfahrer werde selbst auch nach einem Unfall eher in der Lage sein, zur Rettung anderer beizutragen, zum Beispiel durch Absicherung der Unfallstelle oder Erste Hilfe.

Eine Befreiung von der Helmpflicht komme deshalb nur in Betracht, wenn dem Betroffenen das Fahren mit Helm absolut nicht zumutbar sei. Das sei hier nicht der Fall, denn der Kläger habe einen Autoführerschein und besitze einen Lieferwagen (Aktenzeichen 3 C 24.17).

Sterbewillige müssen nicht „gerettet“ werden

Sterbehilfe ist ein großes Thema, nun bezieht der Bundesgerichtshof in zentralen Punkten Stellung. Weder Sterbehelfer noch Ärzte machen sich strafbar, wenn sie auch dann nicht eingreifen, wenn Sterbewillige nach selbstbestimmter Einnahme von starken Medikamenten schon bewusstlos geworden sind.

Als zentral sehen die Richter die Frage, ob ein eigenverantwortlicher Entschluss des Sterbewilligen vorliegt. In den entschiedenen Fällen sei von den Gerichten eine im Laufe der Zeit entwickelte, bilanzierende „Lebensmüdigkeit“ festgestellt worden. Die Sterbewilligen waren psychisch nicht beeinträchtigt, so dass ihr Wunsch auf einen würdigen Tod eigenverantwortlich war.

Dritte, auch kein Arzt, müssten in so einem Fall lebenserhaltende Maßnahmen einleiten, sobald die Sterbewilligen bewusstlos geworden sind. Das ergebe sich auch nicht aus dem Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB). Eine zulässige Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Tod stehe höher als eine (allgemeine) Hilfspflicht.

Das erst kürzlich eingeführte Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) spielte in dem Fall keine Rolle. Das Gesetz galt zum Todeszeitpunkt der Betreffenden noch nicht (Aktenzeichen 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).

Abtreibungs“werbung“: Gericht ordnet Neuverhandlung an

Die Urteile gegen eine Gießener Ärztin, die angeblich verbotenerweise für Schwangerschaftsabbrüche geworben hat, machte viele Schlagzeilen. Nun hebt das Oberlandesgericht Frankfurt die Strafurteile auf und ordnet eine Neuverhandlung an.

Der Grund hierfür ist nachvollziehbar. Denn zum 29.03.2019 ist der geänderte Paragraf § 219a StGB in Kraft getreten. Dieser regelt das „Werbeverbot“ zumindest neu, auch wenn viele Einzelfragen sicher noch zu klären sind.

Auch in dem noch offenen Fall sei das neue Recht anzuwenden, so das Oberlandesgericht Frankfurt. Die Richter verweisen auf § 2 StGB. Danach gilt bei einer Gesetzesänderung das neue Strafgesetz, sofern dieses „milder“ ist. Das sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, so das Gericht. Es sei möglich, dass die von der Ärztin veröffentlichten Informationen nach dem neuen Recht straflos waren (Aktenzeichen 1 Ss 15/19).

„Ich habe mir eine neue Matratze gekauft…“

Verbraucher können eine online gekaufte Matratze auch denn zurückgeben, wenn sie die Schutzfolie entfernt haben. Das gesetzliche Widerrufsrecht entfällt dadurch nicht, entschied jetzt der Bundesgerichtshof.

Ein Online-Händler hatte sich geweigert, die ausgepackte Matratze zurückzunehmen. Der Bundesgerichtshof legte die Sache erst dem Europäischen Gerichtshof vor. Es stellte sich juristisch nämlich die Frage, ob eine Matratze zu den Gegenständen gehört, für die das Widerrufsrecht aus hygienischen Gründen oder aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht gilt (§ 312g BGB).

Der Europäische Gerichtshof stellte dazu im Frühjahr fest, dass Matratzen durch das Auspacken und oder ein Probeliegen nicht völlig wertlos werden. Vielmehr sei es bei Matratzen nicht anders als bei Kleidung – diese werde ja auch mitunter auf der Haut Probe getragen, von Verbrauchern zurückgeschickt. Kleidung werde dadurch nicht völlig wertlos, insbesondere gebe es einen Markt für Retouren. Für Matratzen gelte das auch.

Dieser Auffassung schließt sich der Bundesgerichtshof nun an. Damit werden die Rechte von Online-Bestellern deutlich gestärkt. Und der Versandmarkt für Matratzen ist ja nicht gerade klein, wie schon das Werbe-Trommelfeuer der einschlägigen Anbieter auf allen Kanälen zeigt (Aktenzeichen VIII ZR 194/16).

Urlaub verfällt nur unter strengen Voraussetzungen

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln sollte jeden Arbeitnehmer interessieren. Urlaub, so das Gericht, verfällt nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, den Urlaub auch zu nehmen. Zusätzlich müsse der Arbeitgeber unmissverständlich darauf hinweisen, dass der Urlaub ansonsten verfällt.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sehen die Richter den Arbeitgeber also in einer umfassenden Pflicht. Unterlässt er die Aufforderung und/oder den Hinweis, bestehen die Urlaubsansprüche fort – und zwar in den Grenzen der Verjährungsfristen auch für Vorjahre. Im entschiedenen Fall hatte dies zur Folge, dass der Kläger für die Jahre 2014 bis 2016 noch Urlaubsabgeltung verlangen konnte (Aktenzeichen 4 Sa 241/18).

Post darf keine Auskunft über zugestellte Sendungen geben

Postunternehmen müssen Ermittlern keine Auskunft über Briefe und sonstige Sendungen geben, die sie schon zugestellt haben. Genau dazu wollte der Generalbundesanwalt in einem Verfahren wegen Kriegsverbrechen einige Anbieter von Postdienstleistungen zwingen.

Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof verweigerte jedoch einen entsprechenden Beschluss. Auf die Beschwerde hin bestätigte nun der zuständige Strafsenat die Entscheidung. Nach Auffassung der Richter erstreckt sich die Möglichkeit des behördlichen Zugriffs auf Sendungen, solange sie sich „im Gewahrsam“ der Postunternehmen befinden (§ 99 StPO). Für bereits weiter geleitete Sendungen fehle es aber an einer Regelung.

Insoweit, so der Bundesgerichtshof, existiere also keine gesetzliche Ermächtigung. Wegen des als Grundrecht abgesicherten Post- und Fernmeldegheimnisses erfordere jeder Eingriff aber eine ausdrückliche Befugnis. Diese sei jedoch in der Strafprozessordnung oder auch sonstwo derzeit nirgends zu finden. Wobei die Betonung sicherlich auf „derzeit“ liegen dürfte (Aktenzeichen StB 51/18).

Regel Nr. 1: Besser nichts sagen

Der Verdächtige im Mordfall Walter Lübcke hat sein Geständnis widerrufen. Davor gab es schon ein gewisses Hin und Her, das wohl mittlerweile in einem Verteidigerwechsel kulminiert ist. Allgemein zeigt der Gang der Ereignisse mal wieder, wie wichtig es ist, als Beschuldigter in einem frühen Stadium des Verfahrens doch eher zu schweigen.

Der Beschuldigte hatte zu keinem Zeitpunkt ernsthaft die Option, von der Untersuchungshaft verschont zu werden. Zu dicht war schon im Zeitpunkt seiner Festnahme die Beweislage. In so einer Situation sollte man eine Kosten-Nutzen-Relation aufmachen und sich dem durchaus menschlichen inneren Drang entziehen, nun „reinen Tisch“ zu machen. Zu gewinnen ist juristisch im Augenblick kaum etwas. Die gefühlte Befreiung von der emotionalen Last hält maximal bis zur Rückkehr in die Zelle. Bleibt als Argument für ein Geständnis vielleicht noch die vage Aussicht, dass ein Gericht mal anerkennt, das Geständnis sei sehr frühzeitig gewesen.

Allerdings lehrt meine Erfahrung, dass gerade spät abgelegte Geständnisse spürbarere Rabatte bringen. Das liegt einfach daran, dass auf dem Gericht ohne Geständnis zunächst der Druck einer aufwendigen Beweisaufnahme lastet. Diesen Druck kann der Angeklagte kurz vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung natürlich lindern, indem er jetzt die Karten auf den Tisch legt. Das Gericht wird in der Regel dankbar sein, wenn es das ansonsten anstehende Programm um einen Großteil einschmelzen kann. Ein in grauer Vorzeit abgelegtes Geständnis ist dagegen längst in die Verfahrensplanung eingepreist.

Jedenfalls sollte man – ganz unabhängig vom konkreten Fall – nach meiner Erfahrung unbedingt so lange schweigen, bis sich der erste Nebel etwas gelichtet hat. Auch ein Verteidiger kann bei einem komplexen Fall in den ersten hektischen Tagen kaum absehen, welche Taktik am Ende zu bevorzugen ist.

Der Beschuldigte im Mordfall Lübcke steht jetzt doppelt schlecht da. Er hat nicht nur gestanden, sondern er hat dieses Geständnis auch noch vor einem Richter gemacht oder dort zumindest ausdrücklich bestätigt. Davon kommt man ohnehin kaum noch runter, wenn nicht krasse Fehler passiert sind. Aber formale Fehler von solchem Ausmaß sind beim Bundesgerichtshof und auch bei anderen Ermittlungsrichtern doch eher krasse Ausnahmen.

Mit anfänglichem Schweigen, das natürlich auch das gute Recht von weniger sympathischen Menschen ist, hätte es der Beschuldigte auch seinem neuen Anwalt etwas leichter gemacht. Der darf jetzt erst mal einen sehr, sehr hohen Scherbenhaufen aufkehren.