Gericht sagt zu spät, wer die Richter sind

Heute sollte in Berlin der Prozess im Fall Georgine K. beginnen (Bericht). Die 14-Jährige ist seit September 2006 verschwunden. Nun ist ein heute 44 Jahre alter Mann angeklagt, den die Strafverfolger für den Mörder des Mädchens halten.

Allerdings dauerte der erste Verhandlungstag nur wenige Minuten. Die Verteidiger rügten erfolgreich einen Verfahrensfehler der Art, der für ein Schwurgericht doch etwas peinlich sein sollte. Das Gericht hatte den Angeklagten und seine Anwälte nämlich erst am Vortag darüber informiert, wie das Gericht besetzt ist, insbesondere wer die ehrenamtlichen Richter (Schöffen) sind.

Erfolgt die Information über die Gerichtsbesetzung nicht mindestens eine Woche vor der Verhandlung, können die Verteidiger, aber auch die Staatsanwaltschaft eine Unterbrechung verlangen (§ 222a StPO). Was in diesem Fall auch prompt passierte, und zwar durch die Verteidiger.

Was erst mal nach Verzögerungstaktik klingt, hat einen nachvollziehbaren Hintergrund. Denn für einen Angeklagten ist es „lebensnotwendig“ zu wissen, wer da über ihn zu Gericht sitzt. Zum Beispiel muss der Angeklagte prüfen können, ob einer der Richter möglicherweise befangen ist. Facebook ist in bei dieser Recherche mittlerweile der beste Freund des Anwalts. Und ich kann euch sagen, man erlebt da wirklich mitunter handfeste Überraschungen. Letztes Jahr habe ich etwa einen Schöffen erfolgreich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, der sich schon jahrelang ausländerfeindlich in sozialen Medien geäußert hat. Er war sicher nicht der berufene Mann, um über meinen Mandanten mit Migrationshintergrund „im Namen des Volkes“ zu urteilen.

Etwas komplizierter ist die Prüfung, ob die betreffenden Richter korrekt ausgewählt worden sind. Das kann für den Anwalt bedeuten, dass er sich durch die gesamten Unterlagen der Schöffenwahlen wühlt und überdies schaut, ob ein möglicherweise wirksam gewählter Schöffe tatsächlich auch derjenige ist, der als „gesetzlicher“ Richter für dieses Verfahren einzuteilen war.

Am häufigsten ist die Konstellation, dass ursprünglich zuständige Schöffen ihren Dienst abgesagt haben. Etwa wegen eines längeren Urlaubs, Krankheit oder zu starker Belastung im Beruf. Die Gründe kann man oft sehr gut hinterfragen und so bezweifeln, dass die an ihre Stelle getretenen Richter korrekt ausgewählt sind.

Sogar bei den hauptamtlichen Richtern finden sich mitunter Ansatzpunkte. Wenn die Strafkammer zum Beispiel aus mehr als drei Richtern besteht, was häufig vorkommt, muss es einen kammerinternen Verteilungsplan geben, welche zwei bzw. drei Richter wann für welchen Fall zuständig sind. Auch da kann man dann mitunter Überraschungen erleben, nämlich wenn sich der Vorsitzende entgegen dem eigenen Plan seine Wunschbesetzung für diesen Fall dann doch zusammengewürfelt hat.

All diese Prüfungen kosten natürlich Zeit, so dass nach der Rechtsprechung die Hauptverhandlung mindestens für eine Woche pausieren muss. Dementsprechend hat das Gericht heute auch reagiert; erst nächste Woche wird weiterverhandelt.

Mulmiges Gefühl?

Urlaubszeit ist Reisezeit. Der eine oder andere mag vielleicht mit einem mulmigen Gefühl in den Urlaub starten, weil möglicherweise gegen ihn Ermittlungen laufen, er vielleicht zur Aufenthaltsermittlung oder sogar Festnahme ausgeschrieben sein könnte.

Die wichtigste Datenbank zu diesem Thema ist im Bereich der EU das Schengener Informationssystem (SIS). Dort ist praktisch alles gespeichert, was Grenzbeamte, Zoll und Polizisten so interessieren könnte. Interessanterweise sind die im SIS gespeicherten Informationen aber gar keine großen Geheimnisse.

Vielmehr hat jeder das Recht zu erfahren, was über seine Person im SIS gespeichert ist.

Die Auskunft kann man sich relativ leicht selbst besorgen. Man kann aber auch einen Anwalt beauftragen, an den die Auskunft dann zugestellt wird. Wie die SIS-Auskunft funktioniert, ist sehr gut auf einer Informationsseite des Bundesverwaltungsamts beschrieben.

Die Auskunft ist außerdem kostenlos. Man muss auch nicht erklären, warum man die über die eigene Person gespeicherten Daten haben möchte.

Fristablauf: heute

Für die private Steuererklärung gelten seit diesem Jahr neue Fristen. Warum ich das erwähne? Weil für viele Steuerzahler heute der Stichtag ist, um (mindestens) noch 25 Euro zu sparen.

Diese 25 Euro sind nämlich der Mindestbetrag, den das Finanzamt künftig für eine verspätete Steuererklärung in Rechnung stellt. Und zwar monatlich, mit Ablauf der normalen Abgabefrist. Diese Abgabefrist endet nun jeweils am 31. Juli jeden Jahres. Das Neue ist: Der Verspätungszuschlag von 25 Euro monatlich fällt auch dann an, selbst wenn der Steuerzahler am Ende eine Erstattung bekommt – was gerade bei vielen erklärungspflichtigen Gehaltsempfängern ja die Regel ist. 6 Monate Verspätung kosten also zum Beispiel auf jeden Fall 150 Euro, um die sich eine eventuelle Erstattung dann schmälert.

Außerdem sind die 25 Euro ein Mindestbetrag. Grundsätzlich gilt nämlich, dass der Verspätungszuschlag 0,25 % der festgestellten Steuerschuld beträgt – ebenfalls pro Monat. Wenn man einen Steuerberater beauftragt und das Finanzamt informiert, kann man sich übrigens erst mal zurücklehnen. In diesem Fall verlängert sich die Abgabefrist für die Steuerklärung 2018 auf den 28.02.2020.

Wer nichts sagt, macht jedenfalls nichts falsch

„Wie sicher kann man davon ausgehen, dass derjenige, der allein auf weiter Flur neben einem motorwarmen Auto steht, auch selbst gefahren ist?“

Diese Frage stellt, nicht ganz zu Unrecht, das Offenbacher Informationsportal op-online.de in einem Gerichtsbericht. Es ging um einen Mann, der angeblich verkehrsgefährdend Auto gefahren ist, dabei mehr als zwei Promille hatte und – keinen Führerschein. Die Polizei hielt den Mann nach dem Hinweis eines Zeugen an, als er allein neben dem Auto am Grünstreifen stand und pinkelte.

Der Zeuge, der die Polizei gerufen hatte, konnte den Autofahrer bloß beschreiben. Eher unglücklich waren sowohl Polizei als auch später der Richter, dass sich der Angeklagte mit einem sehr gewandten Trick verteidigte. Er sagte einfach gar nichts zur Sache. Am Ende hatte er mit seiner – absolut legitimen – Berufung auf das Schweigerecht Erfolg. Dem Richter blieb nichts anderes übrig, als die eingangs zitierte Frage mit einem Freispruch zu beantworten.

Unabhängig vom Einzelfall deshalb gerne zum x-ten Male der Hinweis: Wer im Falle eines Falles gar nichts sagt und dabei auch standhaft bleibt, macht jedenfalls nichts falsch. Und im Zweifel sogar sehr vieles richtig.

Gericht rügt Regensburger Staatsanwälte

Gerade in öffentlich interessanten Verfahren hat man als Verteidiger schon mal den Eindruck, der Staatsanwaltschaft ist die Pressearbeit fast ebenso wichtig wie die Aufklärung der Vorwürfe. Einen konkreten Missstand rügt nun das Verwaltungsgericht Regensburg im Korruptionsprozess gegen einen Regensburger Bauunternehmer.

Die Staatsanwaltschaft hatte im Juli 2017 zu ihrer druckfrischen Anklage eine Presseinformation herausgegeben und auch Presseanfragen beantwortet. Die Verteidigung hatte die voluminöse Anklageschrift erst zwei (!) Stunden vorher erhalten – und diese auch nur unvollständig.

Innerhalb dieser knappen Zeit, so das Gericht, sei es den Verteidigern gar nicht möglich gewesen, die Anklageschrift aufzuarbeiten, so dass sie ihrerseits nicht sachgerecht auf Presseanfragen reagieren konnten. Die Verteidigung könne rechtzeitige Information verlangen, ansonsten sei ein faires Verfahren nicht gewährleistet. Außerdem müsse die Anklageschrift auch vollständig vorliegen. Im konkreten Fall fehlte der Anklagesatz. Ohne den Anklagesatz weiß der Angeklagte gar nicht, auf welche Beweismittel die Vorwürfe gestützt werden (Aktenzeichen RO 4 K 17.1570).

Im Süden was Neues

Vorurteile wollen ja gepflegt werden. Aber vielleicht sollte man es als Anwalt besser nicht tun – gerade was Gerichte angeht. Da gibt es ja die wildesten Vorurteile. Im Westen salopp, im Norden mal so oder auch anders, und im Süden knallhart. Ist im Kern schon etwas dran, aber halt nur von der Tendenz. Letztlich kommt es aber in keinem Fall auf die Region an, sondern darauf, wie sich die konkret zuständigen Richter im Einzelfall positionieren.

Das habe ich jetzt wieder aktuell in einem Fall erlebt, der in Bayern spielt. Der Mandant war wegen einer Sexualstraftat verurteilt worden, jetzt stand die Prüfung der Frage an, ob eine Bewährung nach Verbüßung von 2/3 der Strafe möglich ist. Die Justizvollzugsanstalt gab eine negative Stellungnahme ab. Die Staatsanwaltschaft argumentierte vehement gegen eine vorzeitige Entlassung.

Davon ließ sich die Vollstreckungskammer jedoch nicht beeindrucken. Sie prüfte sehr genau den Einzelfall und kam zu einem positiven Ergebnis. Der Mandant soll jetzt kurzfristig entlassen werden. Natürlich war hierfür einiges an Vorarbeit erforderlich, um alle Argumente sauber rüberzubringen. Auch der Mandant musste sich natürlich im besten Licht präsentieren (was ihm sehr gut gelang).

In der JVA haben sie dem Mandanten gesagt, in Bayern kriegt jemand wie er grundsätzlich keine Bewährung. Aber vielleicht gilt das auch nur so oft wirklich, weil zu viele einfach den Kopf in den Sand stecken und denken, sie haben ja sowieso keine Chance. Wer diese Chance nicht mal einfordert, kriegt sie natürlich tendenziell auch eher nicht.

Wessen Augen ?

Große deutsche Anwaltskanzleien nehmen ja gerne für sich in Anspruch, es besonders gut zu machen. Zum Beispiel durch das Vier-Augen-Prinzip. Was zwar auf der einen Seite die Kosten für die Rechtsvertretung in die Höhe treibt, auf der anderen Seite aber auch für erhöhte Qualität der juristischen Argumentation sorgen soll.

In einem Rechtsstreit, den auf der anderen Seite so ein größerer Laden führte, haben wir jetzt aber – wie ich finde – auf ziemlich kuriose Art und Weise einen glatten Durchmarsch hingelegt. Das Gericht bewertete nicht nur die Forderung unseres Mandanten als begründet, sondern konnte sich auch nicht mit einer Aufrechnung anfreunden.

Zur Begründung der Aufrechnung hat die Gegenseite einiges an Papier bedruckt. Der Richter ergreift dazu recht kompakt und trocken Position:

Eine Aufrechnung, wie sie die Beklagte erklärt, scheitert bereits daran, dass die Beklagte nicht geeigneten Beweis angeboten hat, dass der Kläger tatsächlich den früheren Unfall verschuldet hat. Soweit der Beklagtenvertreter der Auffassung ist, dass „durch die auf dem polizeilichen Unfallmitteilungsbogen vorhandene Unfallskizze der Polizei bewiesen“ sei, dass der „Kläger das andere Fahrzeug im hinteren Bereich gestriffen“ hat, war dem nicht nachzugehen.

Eine polizeiliche Unfallskizze ist kein geeignetes Beweismittel. Es wird auf den Numerus clausus der nach der ZPO zulässigen Beweismittel verwiesen. Eine Unfallskizze auf einem polizeilichen Unfallmitteilungsbogen fällt nicht darunter. Eine öffentliche Urkunde ist sie jedenfalls nicht.

Anders ausgedrückt: Die Anwälte der Beklagten haben schlicht und einfach nicht beachtet, dass man im Zivilprozess jede relevante Tatsache unter Beweis stellen muss, zum Beispiel durch die Aussage eines Zeugen. Kann mal passieren, ist schon klar. Vielleicht war der Fall ja auch einfach nur zu klein, so dass das erste und zweite Auge womöglich nur einem Referendar und das dritte und vierte einem Praktikanten gehörten.

Slackline über dem Fahrradweg – darauf muss man erst mal kommen

Ich will ja niemandem zu nahe treten. Außer vielleicht den drei Rübennasen, die im Freiburger Stadtteil Rieselfeld fürs Training ihre 15 Meter lange und 3 – 5 Zentimeter breite Slackline über einen Rad- und Fußweg spannten, der durch den dortigen Park führt. Was zur Folge hatte, dass eine Radfahrerin nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und schwere Verletzungen erlitt.

Die Verantwortlichen bzw. ihre Haftpflichtversicherungen versuchten, die Radfahrerin in die Mithaftung zu nehmen. Sie sollte einen Teil des eigenen Schadens tragen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe erteilt dem eine klare Absage. Wer in einem öffentlichen Park ohne weitere Sicherungsmaßnahmen seine Slackline über einen Rad- und Fußweg spanne, dürfe nicht damit rechnen, dass Radfahrer das Hindernis schon rechtzeitig sehen und bremsen.

Selbst wenn ein Radfahrer aufmerksam sei, so das Gericht, könne er bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h die Slackline erst so spät sehen, dass er nicht mehr rechtzeitig anhalten könne. Schon die Vorinstanz hatte den Sporthelden die volle Schuld gegeben, den Schadensersatz und das Schmerzensgeld der Klägerin aber eher knauserig bemessen und nur 10.000 Euro zugesprochen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe erhöht diese Summe auf 25.000 Euro.

Dennoch meine ich, dass die Slackliner womöglich noch Glück hatten. An sich wäre das ja auch ein Fall für den Staatsanwalt gewesen (z.B. § 315b StGB).

Auch bei der Polizei müssen HIV-Positive eine Chance haben

In keinem Beruf gibt es, zumindest nach meiner Kenntnis, unüberwindbare Hürden für HIV-positive Menschen. Mit einer Ausnehme: Bei den meisten Polizeibehörden gelten HIV-Infizierte als untaugliche Bewerber. Das wird sich möglicherweise nun ändern, denn das Verwaltungsgericht Hannover schreibt der niedersächsischen Polizei mit einem aktuellen Beschluss ins Stammbuch, dass ein totales Zugangsverbot nicht gelten darf.

Der gescheiterte Bewerber ist HIV-positiv, aufgrund einer mehrjährigen Therapie liegt seine Virenlast aber unter der Nachweisgrenze. Was praktisch bedeutet, dass er auch kein Infektionsrisiko darstellt. Gleichwohl meinte die Polizei das Gegenteil. Das Gericht hat sogar einen Sachverständigen befragt. Dieser bestätigte, dass weder Kollegen noch Bürger einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt wären.

Deshalb muss die Polizeiakademie nun erneut über die Bewerbung des Mannes entscheiden. Eine verbindliche Einstellung kam momentan nicht in Betracht, weil der Mann das übliche Bewerbungsverfahren gar nicht durchlaufen durfte (Aktenzeichen 13 A 2059/17).

Gerichtstermin für einen Verstorbenen

In einem Strafverfahren war es heute nötig, den Strafregisterauszug einer dritten Person vor Gericht zu verlesen. Also nicht den des Angeklagten. Die Liste der Verurteilungen war beeindruckend lang. Erzählen will ich aber nur von einem Eintrag, dem chronologisch letzten.

Der Vorsitzende der Strafkammer nannte diesen Eintrag „meinen Favoriten“. Mit gutem Grund. Denn laut Register war der Betreffende mit Urteil vom 28. November 2018 vom Amtsgericht – mittlerweile rechtskräftig – wegen einer kleinen Straftat verurteilt worden.

Klingt eher erstaunlich, wenn man weiß, dass der im November 2018 Verurteilte zu diesem Zeitpunkt schon knapp zwei Monate tot war. Woran kein Zweifel besteht, denn sonst würde es den Prozess, in dem das Strafregister nun verlesen wurde, nicht geben.

Klingt erst mal schräg, ist es bei näherer Betrachtung aber gar nicht. Zum Hauptverhandlungstermin am 28. November 2018 ist der Verstorbene natürlich nicht erschienen. Statt säumige Angeklagte gleich zur Fahndung auszuschreiben, nutzen viele Richter die Möglichkeit, während der Hauptverhandlung einen Strafbefehl zu erlassen. Was natürlich auch hier möglich war, denn der Strafrichter dürfte kaum gewusst haben, warum der Angeklagte nun nicht gekommen ist. Dieser Strafbefehl, den der arglose Richter dann erlässt, wird wirksam, wenn der Betroffene keinen Einspruch einlegt. Womit hier ja nun wirklich nicht zu rechnen war.

Strenggenommen wurde allerdings ein Toter verurteilt, so was gibt es also in echt. Die Angehörigen könnten das Urteil sogar noch nachträglich anfechten, aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte.

Eigenwillig

Genial von der Idee her, mangelhaft in der Ausführung. So würde ich die Schmuggel-Idee einstufen, mit der ein älterer Herr ein halbes Kilo Kokain transportieren wollte. Und zwar von Bogotá nach Barcelona.

Jedenfalls wundert es mich nicht, dass den Zollbeamten am Zielflughafen seine etwas eigenwillige Haartracht ins Auge fiel. Zumal der Mann auch noch ziemlich nervös gewirkt haben soll. Aber schaut euch das von der Policia Nacional veröffentlichte Bild selbst an:

Mehr fällt mir dazu auch nicht ein. Im Gegensatz zu seinem Anwalt, hoffe ich.

Falsche Belehrung, vielen Dank

Man kann schon auf merkwürdige Art und Weise, vor allem aber völlig überraschend von der eigenen Vergangenheit eingeholt werden. So ging es einem Mandanten, der vor rund 45 Jahren mit knapp sieben Jahren in eine Pflegefamilie kam und dort rund vier Jahre untergebracht war.

Der damalige Pflegevater, heute hochbetagt, geriet vor Kurzem in den Verdacht von Sexualstraftaten. Was die Kriminalpolizei veranlasste, sehr eingehend in dessen Vergangenheit zu forschen. Wobei dann auch der Name meines Mandanten bekannt wurde. Logischerweise wollten die Ermittler von meinem Mandanten wissen, ob der Pflegevater sich seinerzeit etwas zuschulden kommen ließ.

Juristisch interessant war die Frage, ob und inwieweit mein Mandant überhaupt aussagen muss. Zu meiner Überraschung belehrten die Beamten meinen Mandanten zu Beginn der Vernehmung, er habe als Pflegekind ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO. Er sei insoweit gleichgestellt mit leiblichen Kindern. Was bedeute, dass der Mandant rein gar nichts sagen müsse. Außerdem hätte er auch jederzeit die Möglichkeit, auf weitere Fragen nicht mehr zu antworten, selbst wenn er die Vernehmung freiwillig begonnen hat.

Das war eine schöne Sache, denn diese Kenntnis gab meinem Mandanten die nötige Sicherheit. Auf der einen Seite wollte er natürlich schon etwas sagen, nämlich, dass er keine negativen Erinnerungen an seine Zeit in der Pflegefamilie hat. Auf der anderen Seite wollte sich der Mandant aber auch nicht „unter Druck“ setzen lassen, etwa, wenn er alte Familienbilder hätte ansehen und kommentieren müssen.

Die durchaus einfühlende Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht kam uns also entgegen. Was allerdings nichts daran ändert, dass sie falsch war. Pflegekinder haben kein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber ihren Pflegeeltern, selbst wenn sie ganz offiziell vom Jugendamt untergebracht sind und teilweise viele Jahre in der Familie leben. Eine Gleichstellung ist zwar immer mal wieder gefordert worden, das Gesetz wurde aber bis heute nicht ergänzt.

Für mich war es eine der seltenen Situationen, in der ich einer inhaltlich falschen Zeugenbelehrung nicht entgegentreten musste. Vielmehr habe ich schön den Mund gehalten…

Müdigkeitsattacke im Gerichtssaal

Wenn der Sachverständige in der Hauptverhandlung wegdöst – ist das keine besonders gute Sache. Denn ein teilweise schlafender Sachverständiger berechtigt den Angeklagten, den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Das hat das Landgericht Aurich entschieden.

Der Sachverständige hatte sich damit gerechtfertigt, er sei Opfer einer „Müdigkeitsphase“ gewesen und habe überdies an einer Atemwegserkrankung gelitten. Deshalb sei er eingeschlafen, als das Gericht gerade einen Zeugen vernahm. Interessant wird die Entscheidung in dem Punkt, als das Landgericht die Befangenheit auch bejaht hat, nachdem der Sachverständige sich audrücklich beim Angeklagten entschuldigt hat. Aus Sicht des Angeklagten ändere auch die Entschuldigung nichts daran, dass dieser den Eindruck haben könne, der Sachverständige nehme die Veranstaltung nicht hinreichend ernst.

Link zum Beschluss

Warum ich Facebook nicht kostenlos berate

Aus einer „Anfrage“:

Sehr geehrter Herr Vetter,

ich bin Faktenprüfer bei CORRECTIV und überprüfe gerade diesen Facebook-Post, in dem unter anderem die Behauptung aufgestellt wird, das Aussageverweigerungsrecht sei „quasi abgeschafft“ und die Polizei könne „Bürger zur Aussage zwingen“. …

Bei meinen Recherchen bin ich einerseits auf einen Text der Kriminalpolitischen Zeitung und auf Ihren Artikel dazu gestoßen, in beiden heißt es, die Polizei könnte nun unter bestimmten Vorraussetzungen Zeugen laden.

Ich habe dazu Verständnisfragen und hoffe, Sie können mir weiterhelfen. …

Wenn Zeugen schon vorher auf richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung zur Aussage geladen werden konnten, was hat sich denn nun konkret geändert? Gehe ich Recht in der Annahme, Zeugen mussten vorher lediglich vor Gericht aussagen, jetzt aber könnten sie unter bestimmten Bedingungen auch vor Polizeibeamten aussagen? Hat ein Zeuge in so einem Szenario irgendeine eine Möglichkeit, die Aussage zu verweigern? Zudem: Ist Ihnen beispielhaft schon mal ein solcher Fall untergekommen? Über eine baldige Antwort würde ich mich sehr freuen. Ich bin gerne auch telefonisch für Sie erreichbar!

Herzliche Grüße,

Was Correctiv macht, kann man auf deren Seite nachlesen:

Wir sind Teil des Faktencheck-Projekts von Facebook.

Ich beantworte Presseanfragen jederzeit gerne und – bei vertretbarem Aufwand – auch kostenlos. Allerdings bin ich nach nach meiner eigenen kleinen Recherche zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dieser Anfrage doch um etwas anderes handeln dürfte als die übliche Bitte einer Redaktion oder eines freiberuflichen Journalisten um ein Interview oder Hintergrundinformationen. Aus meiner Antwort:

Sehr geehrter Herr E.,

ich sehe keinen Grund, warum ich für das Unternehmen Facebook kostenlose Rechtsberatung leisten sollte. Wenn Sie bzw. Ihr Auftraggeber für den Faktencheck, der nach meinem Verständnis in erster Linie zur Erfüllung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes dient und somit vorrangig im eigenen Interesse von Facebook erfolgt, Auskünfte bzw. Unterstützung benötigen, stehe ich für eine Beratung natürlich gerne zur Verfügung. Diese würde ich aber nach meinem normalen Stundensatz abrechnen. Falls Sie bzw. Facebook hieran Interesse haben, melden Sie sich gerne noch einmal.

Mit freundlichen Grüßen
Udo Vetter

Auslandseinsatz

Über die tschechisch-deutsche Grenze bewegen sich ja zahlreiche Warenströme. Einen davon wollten deutsche Kriminalbeamte vor einiger Zeit unterbinden, als sie meinen Mandanten just abfingen, als dieser gerade über eine kleine Holzbrücke radeln wollte. Auf der Brücke hatten die Beamten schon wohlweislich einen Ast platziert, so dass durchkommende Fahrzeuge erst mal anhalten mussten.

Auf der einen Seite des Brückchens liegt Tschechien, auf der anderen Seite die Bundesrepublik Deutschland. Ihr ahnt sicher, was passiert ist. Die Festnahme erfolgte nämlich auf tschechischer Seite, dort wurde mein Mandant überwältigt und durchsucht. Die kristallinen Substanzen, von denen mein Mandant eine überschaubare Menge dabei hatten, trugen dann später die Beamten über die Grenze.

Schon mutig vom Staatsanwalt, wenn er nun eine „Einfuhr“ von Betäubungsmitteln anklagt. Einfuhr, das sagt an sich schon der Begriff, liegt nur dann vor, wenn die Betäubungsmittel die deutsche Grenze passiert haben. Strenggenommen haben die Polizisten die Drogen eingeführt, mein Mandant aber jedenfalls nicht.

Die Hauptverhandlung wird sicher spannend. Ich bringe natürlich selbsterklärende Ausdrucke von Google Maps mit.