Bei Beleidigungsdelikten wird häufig übersehen, dass nicht jede Beleidigung strafbar sein muss. Es gibt nämlich – auch Juristen mitunter unbekannt – einen ehrschutzfreien Raum. Dieser erstreckt sich zumindest auf den engsten Familienkreis, kann aber auch bis in den Freundeskreis bzw. eng verbundene Gruppen hineinreichen.
Diese „beleidigungsfreie Sphäre“ gibt es deshalb, weil man sich innnerhalb des engsten persönlichen Kreises frei aussprechen können muss, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat dies jetzt in einem Zivilverfahren festgestellt. Eine Frau hatte ihren Schwiegersohn via WhatsApp gegenüber ihrer Schwester des Kindesmissbrauchs bezichtigt, was der Schwiegersohn nicht auf sich beruhen lassen wollte.
Das Gericht lehnt einen Unterlassungsanspruch jedoch ab, weil die Kommunikation zwischen Geschwistern voraussetze, dass diese sich frei aussprechen können. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Betroffenen persönlich miteinander sprechen oder über einen Messenger.
Den beleidigungsfreien Raum gibt es auch im Strafrecht. Ich habe zum Beispiel vor einiger Zeit die mutmaßlichen Mitglieder einer Motorradclique vertreten, die für ihre Youtube-Stunts öfter mal andere Verkehrsteilnehmer gefährdet haben sollen. Im Rahmen der Ermittlungen waren auch ein Kommissar Dick und ein Kommissar Doof tätig. Jedenfalls erhielten die Beamten diese Namen in der WhatsApp-Gruppe, in der die Motorradfreunde sich über die aktuellen Entwicklungen austauschten.
Dick und Doof stellten natürlich Strafantrag, und mein Mandant, der die Nicknames erfunden und oft verwendet haben soll, erhielt eine Anklage. Diese konnte ich mit dem Hinweis entkräften, dass ja schon die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag auf einen Durchsuchungsbeschluss unter anderem geschrieben hatte, bei der Gruppe handele es sich um eine „verschworene Gemeinschaft“. Tja, da waren wir ganz schnell im beleidigungsfreien Raum, weswegen am Ende ein Freispruch stand (Aktenzeichen 16 W 54/18).