Das mit der Wahrheitspflicht sowie den Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten im Strafverfahren ist eine komplizierte Sache. Schon bei Erwachsenen. Bei Kindern als Zeugen ist es natürlich noch wichtiger, diesen nicht nur Paragrafen um die Ohren zu hauen, sondern ihnen altersgerecht zu erklären, ob sie überhaupt was bei der Polizei sagen müssen und wenn ja, in welchen Grenzen und wie sehr sie sich bei einer Aussage anstrengen müssen, die Wahrheit zu sagen.
Das klappt nicht oft, aber manchmal scheitert es auf grandiose Weise.
Hier mal als Beispiel eine Vernehmung bei der Kripo. Es geht um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, zu dem eine 12-Jährige als mutmaßliches Opfer aussagen soll. Die Polizeibeamtin belehrt das Mädchen über seine Rechte und Pflichten. Oder sagen wir lieber, sie versucht es. Ich zitiere die gesamte Belehrung:
Schauen wir mal, weil du jetzt noch zwölf bist, ist das quasi nur eine Anhörung, keine Zeugenvernehmung, weil ich dir eben schon erklärt habe, erst ab 14 ist man strafmündig. Ich wiederhole das jetzt nochmal, was ich dir eben gesagt habe, dass du hier bei der Polizei die Wahrheit sagen musst, sonst könntest du dich gegebenenfalls strafbar machen, aber natürlich nicht, weil du erst 12 bist.
Das Dilemma der Belehrung liegt schon darin, dass die Polizeibeamtin die Stellung der Zeugin mit ihrer Strafmündigkeit verknüpft. Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Der Rest der Belehrung kann man – wenn überhaupt – als Kind wohl nur so verstehen: An sich müsstest du die Wahrheit sagen. Aber du bist ja noch keine 14. Deshalb kannst du sowieso wegen gar nichts bestraft werden. Natürlich wäre es schön, wenn du die Warheit sagst. Aber wenn du lügst, ist es auch ok und bleibt für dich auf jeden Fall folgenlos.
Das neben der Wahrheitspflicht weitere wichtige Thema so einer Belehrung, nämlich § 52 StPO (Zeugnisverweigerungsrecht) und § 55 StPO (Auskunftsverweigerungsrecht) findet sich überhaupt nicht. Überdies wird dem Kind aber noch gesagt, es handele sich „quasi nur um eine Anhörung, keine Zeugenvernehmung“. Was soll das bitte vermitteln? Dass es heute erst mal um eine harmlose Plauderei geht – obwohl die Videokamera läuft und sich jedenfalls aus Sicht der Polizei die Frage stellt, ob der Staatsanwalt einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten beantragen wird.
Die folgenden 46 Seiten der Vernehmung machen die Sache übrigens nicht besser. Aber das ist ja keine Überraschung, nach so einem verkorksten Einstieg.