Zwei Taten, zwei Urteile

Richter haben bei ihren Urteilen in der Regel einen weiten Beurteilungsspielraum. Das ergibt sich aus dem Gesetz. Das Gesetz sieht bei einem Allerweltselikt wie Diebstahl etwa folgenden Strafrahmen vor: Wer was klaut, wird „mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bezahlt“.

Wie krass unterschiedlich die Strafzumessung durch Richter ausfallen kann, möchte ich beispielhaft an zwei Urteilen darstellen. Nachfolgend der wesentliche Inhalt der Urteile, wobei beide Entscheidungen nicht rechtskräftig sind und deshalb die Unschuldsvermutung gilt:

1. Die Mandantin hat sich einen einen Kredit erschwindelt. Der Kredit wurde bewilligt, weil die Mandantin die Gehaltsbescheinigung eines Hotels (knapp 2.600 Euro netto monatlich) vorlegte. Dort ist sie aber gar nicht beschäftigt. Die Bescheinigung ist gefälscht. Tatsächlich hat die Mandantin kein Einkommen. Der Kredit über 30.500,00 Euro wurde aus- und nicht zurückgezahlt. Das Geld hat die Mandantin ausgegeben für Anschaffungen, mit einem Teil hat sie ihre studierende Tochter finanziell unterstützt. Die Mandantin ist nicht vorbestraft.

2. Der Mandant arbeitete als Softwareexperte für ein Unternehmen. Mittels einiger EDV-Tricks hat er er es geschafft, insgesamt zehn unberechtigte Überweisungen auszuführen. Potenzieller Schaden: 11.000,00 Euro. Tatsächlich gingen aber nur Überweisungen in Höhe von 3.000,00 Euro raus; der Rest wurde rechtzeitig gestoppt. Er hat einige kleinere Vorstrafen.

Jetzt zum Strafmaß:

Die Mandantin, die sich den Kredit über 30.500,00 Euro erschlichen haben soll, erhält eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30,00 Euro.

Der Mandant, der die zehn Überweisungen gemacht haben soll, wobei 3.000,00 Euro tatsächlich abhanden gekommen sind, erhält eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, die wegen der Zwei-Jahres-Grenze nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Er müsste also für einen Schaden von 3.000,00 Euro ins Gefängnis, sollte das Urteil auch in der Berufung Bestand haben.

Man kann jetzt lange diskutieren, ob das Urteil gegen die Mandantin eher lasch ist. Oder ob das Urteil gegen den Mandanten übertrieben hart. Das will ich gar nicht machen. Sondern anhand der Beispiele wie eingangs erwähnt nur zeigen, welche Rolle für das Ergebnis eines Strafverfahrens der schlichte Umstand spielen kann, ob man sich nun vor Richter A oder Richter B verantworten muss.

Der Dorfsheriff von Tübingen

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer macht aktuell Schlagzeilen, weil er sich nicht nur als Stadtoberhaupt sieht, sondern auf den Straßen auch als Dorfsheriff unterwegs ist. Jedenfalls „stellte“ Palmer einen jungen Mann, den er des lauten Rufens und damit der Ruhestörung bezichtigt. Die ganze Geschichte kann man beim OB selbst auf Facebook nachlesen, diverse Presseberichte und Einschätzungen gibt es mittlerweile auch.

Im Blog „Richtersicht“ habe ich eine lesenswerte Betrachtung darüber gefunden, wie weit eigentlich die Befugnisse reichen, die Boris Palmer aus seinem Dienstausweis herleitet, mit dem er vor dem Betroffenen wedelte. Nach der Gemeindeordnung Baden-Württemberg soll der OB tatsächlich einiges dürfen, lautet das Fazit. An der Verhältnismäßigkeit von Palmers Maßnahmen hat der Autor allerdings große Zweifel und empfiehlt ihm, den Job doch lieber Fachkräften zu überlassen.

Autor des Blogs, das ich bisher noch gar nicht kannte, ist übrigens Christian Häntschel, ein Richter am Verwaltungsgericht. Es lohnt sich sicher, dort ab und zu vorbei zu schauen.

Die Freundin ruft an

Wenn jemand verhaftet wird, ist das keine einfache Situation. Für den Betroffenen. Aber auch für die Familie, Lebenspartner, Freunde, eventuell auch den Arbeitgeber. In solchen Situationen steht dann beim Strafverteidiger oft das Telefon nicht mehr still. Weil halt jeder wissen will, was nun Sache ist.

Das ist alles kein Problem mehr, sobald der Anwalt selbst mit dem Inhaftierten sprechen konnte. Ich frage dann regelmäßig ab, mit welchen Angehörigen und sonstigen Personen ich sprechen darf. Und gegenüber wem ich mich lieber gar nicht äußern soll.

Bis zum ersten Gespräch mit dem Beschuldigten ist das Ganze aber ein Spagat zwischen dem mutmaßlichen Interesse des Beschuldigten, der ja sicher auch Unterstützung erhofft, und der anwaltlichen Schweigepflicht. Das durfte ich gerade nach der Verhaftung eines Mandanten erleben, der nicht immer nur in besten Kreisen verkehrt. Binnen drei Stunden hatte ich schon vier Rückrufbitten von besorgten Angehörigen und einer angeblichen Freundin. Am nächsten Tag waren es schon 14. Ein Dutzend alleine von der Freundin.

Die Freundin war also besonders hartnäckig. Ich versuchte ihr zu vermitteln, dass ich in der Sache derzeit jedenfalls nicht mit Personen reden möchte, von denen ich bisher rein gar nichts gehört hatte. Dazu gehörte nun mal die Freundin / Partnerin. Ich erinnere daran auch deshalb sehr gut, weil mir die Dame sogar noch eine Mail schickte, in der sie mir mit der Anwaltskammer drohte – sollte ich nicht sofort mitteilen, ob ihr Freund verhaftet ist, wo er inhaftiert wurde und was ich für ihn zu tun gedenke.

Ich stellte mich aber stur. Keine dumme Idee, wie sich später zeigte. Der Staatsanwalt in einem ganz anderen Ermittlungsverfahren hat mich nämlich darüber informiert, dass im Rahmen einer Telefonüberwachung auch das Gespräch aufgezeichnet wurde, das die Frau mit mir geführt hat. Außerdem ergibt sich aus den Informationen, dass die Freundin zwar eine Freundin ist. Aber die des besten Kumpels eines Mannes, den ich hoffentlich ungestraft als den größten „Konkurrenten“ meines Mandanten bezeichnen kann.

Wie gut, dass ich zugeknöpft geblieben bin. Meint auch mein Mandant.

Das Drumherum

Ein Strafverfahren endete mit einer Lösung, die sich oft anbietet. Die Angeklagte zahlt eine (im Verhältnis zum Vorwurf sehr) kleine Auflage, im Gegenzug wird der Prozess eingestellt. Keine Strafe, kein Eintrag im Führungszeugnis. § 153a StPO, der das Prozedere regelt, ist in der Tat eine der meistbemühten Vorschriften in der Strafprozessordnung.

In dem erwähnten Fall war eigentlich alles im grünen Bereich. Die Mandantin zahlte die ersten drei von vier Raten. Doch bei der vierten Rate hapert es nun schon geraume Zeit. Das Gericht hat mehrmals nachgefragt, ich habe die Hinweise stets weitergeleitet. Dann wurde der Ton der Richterin etwas rauer. Sie drohte mit dem, was das Gesetz für die Nichterfüllung halt vorsieht: die Fortsetzung des Verfahrens, wobei bereits gezahlte Raten verfallen.

Dummerweise kriege ich von der Mandantin nun über knapp drei Monate hinweg auch kein anderes Feedback, als dass sie die offene Schlussrate

(x) schon lange überwiesen hat;
(x) alles überwiesen hat, aber die Bank hat einen Fehler gemacht;
(x) ihr Mann wohl vergessen hat, die Überweisung zu machen, sie sich aber noch heute selbst drum kümmert;
(x) das Geld spätestens morgen überwiesen wird;
(x) die offene Summe nun gestern bei der Gerichtskasse bar eingezahlt wurde.

„Gestern“, das ist jetzt wieder eine Woche her. Bei der Gerichtskasse ist leider nichts eingegangen. Eine Quittung habe ich auch nicht erhalten. Ich fürchte, ich kann die Richterin nicht länger hinhalten. Diese setzt das Verfahren nun wieder auf null, das heißt es gibt demnächst eine neue Hauptverhandlung.

Das Drumherum war mittlerweile insgesamt anstrengender als die Verteidigung an sich. Aber so ist es halt manchmal…

Inaktivitäten

Bei der Lektüre dieses Beitrags im Blog vom Kollegen Detlef Burhoff musste ich erst mal auf den Kalender schauen. Aber nein, es ist nicht der 1. April – was die Sache nicht unbedingt besser macht. Kurz gesagt, es geht um einen Angeklagten, der unentschuldigt nicht zu seinem Gerichtstermin erschien und
dafür eine heftige Quittung bekam. Er wurde ziemlich genau sechs Monate inhaftiert. Oder, um es genauer zu formulieren, offenbar schlicht von der Justiz „vergessen“.

Zwar ist es juristisch durchaus zulässig, wenn das Gericht auf einen unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten mit einem Haftbefehl reagiert. Dieser Haftbefehl ersetzt jedoch nicht die Strafe. Er dient nur dazu, die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung sicherzustellen. Da Haft immer nur das letzte Mittel sein darf und über allem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht, muss die zunächst ausgefallene Hauptverhandlung schnellstmöglich nachgeholt werden.

Doch genau das geschah nach der Festnahme des Angeklagten nicht. Der Richter kümmerte sich um gar nichts. Einen Termin, den offenbar die Geschäfsstelle des Gerichts mit der Verteidigerin abgesprochen hatte, ließ der Richter wegen eines privaten Urlaubs absagen. Da waren aber ohnehin schon gut fünf Monate vergangen. Weder vorher noch nachher kam es dem Richter offenbar in den Sinn, dass er diese Sache nicht auf die lange Bank schieben kann.

Eine ebenso unrühmliche Rolle scheint die Pflichtverteidigerin des Angeklagten gespielt zu haben. Offenbar hat sie rein gar nichts unternommen, insbesondere hat sie nicht auf einen zügigen Hauptverhandlungstermin gedrängt. Erst ein Wahlverteidiger, den der Angeklagte wahrscheinlich in seiner Not beauftragte hatte, schaffte es dann binnen weniger Tage, dass ein anderer Richter den Angeklagten auf freien Fuß setzte – nach ziemlich genau sechs Monaten.

Das Landgericht Görlitz stellt in seinem Beschluss zutreffend fest, dass in so einer einfachen Sache bei einem Sicherungshaftbefehl die Hauptverhandlung spätestens innerhalb von drei Wochen stattfinden muss. Somit saß der Betroffene mehr als fünf Monate grundlos im Gefängnis. Wobei nur am Rande erwähnt werden sollte, dass er in der Sache später sogar freigesprochen wurde.

Eine Lehre aus dem Fall kann sicher auch sein, dass man als Angeklagter auch mal die Aktivitäten des eigenen Anwalts hinterfragen sollte. Und natürlich ganz besonders seine Inaktivitäten.

Nichts tun ist auch eine Option

Vorhin schaute ich die aktuellen Wiedervorlagen durch. Dabei war auch eine altbekannte Akte. Meinem Mandanten wird vorgeworfen, am 18.09.2016 eine Straftat im Straßenverkehr begangen zu haben.

Das ergibt sich jedenfalls aus dem Anhörungsbogen der Polizei. Ich habe mich seinerzeit für den Auftraggeber gemeldet und Akteneinsicht beantragt. Seitdem ist genau folgendes passiert: nichts.

Der Mandant fragte auch öfters mal bei mir nach. So lautete dann meine Empfehlung:

Ich möchte Ihnen raten, dass weder Sie noch ich sich derzeit bei der Polizei melden. Oft werden Akten dort verbummelt, Nachfragen sind dann natürlich kontraproduktiv.

Nun ja, wir sind nun im Jahr drei nach der angeblichen Tat. Bald kann man dann mal über Verjährung nachdenken. Ein Fahrverbot dürfte schon jetzt nicht mehr im Raum stehen, selbst wenn es doch noch zu einer Verhandlung kommt. Eine solche Sanktion soll nämlich an sich „auf dem Fuße“ folgen. Davon kann man ja nun echt nicht mehr sprechen, so dass sich der Mandant, der auf den Führerschein angewiesen ist, mittlerweile doch deutlich weniger Sorgen macht.

Abzocker-Nostalgie

„Ihr Eintrag im Branchenbuch – bitte prüfen Sie Ihre Angaben“: Faxe mit dieser oder einer ähnlichen Überschrift gingen vor Jahren fast täglich bei uns ein. Tatsächlich geht es in den Angeboten gar nicht um das gute, alte Branchenbuch (gibt es das überhaupt noch?), sondern um reine Abzocke, die im Form eines sündhaft teuren Abos für einen Eintrag auf irgendeiner Webseite daherkommt.

So einen Brief habe ich wie gesagt schon lange nicht mehr gesehen. Was vielleicht auch daran liegt, dass so was bei uns kurz angelesen sofort in die Ablage P wandert. Vorhin kam allerdings das die Offerte einer Firma „FS24“ aus dem Faxgerät, als ich gerade selbst ein Fax schickte. Das Fax war doch recht professionell aufgemacht und weckte so fast nostalgische Erinnerungen an die große Zeit der Adressbuch-Abzocker.

Ich habe zum Spaß gegoogelt, was es mit dieser Firma „FS 24“ auf sich hat. Und dabei festgestellt, dass die Kollegen von der Anwaltskanzlei Radziwill, Blidohn und Kleinspehn aus Berlin eigentlich schon alles Wissenswerte zu dem Thema recherchiert haben und einen lesenswerten Beitrag veröffentlicht haben..

Vielleicht ein nützlicher Reminder, dass selbst diese Art der Abzocke anscheinend immer noch als Geschäftsmodell zu taugen scheint.

Kalenderverlosung – die Gewinner

Ich hatte in der Hektik der letzten Woche ganz vergessen, die Gewinner der Kalenderverlosung 2019 bekanntzugeben (siehe hier und auch hier). Die Anwaltskalender des Karikaturisten wulkan gehen an folgende Leser (und sollten dort auch schon eingetroffen sein):

Christina W., Ulrich S., Hauke W., Florian D., Thomas H., Norbert C., Frank T., Stefan B., Irina M., Sonja T.

Herzlichen Glückwunsch. Alle, die leider kein Glück hatten, möchte ich noch mal auf die Möglichkeit hinweisen, den Anwaltskalender 2019 zu kaufen und den Juristen in Familie und Bekanntenkreis eine große (Weihnachts-)Freude zu machen. Die zwölf großformatigen Juristenmotive kommen im klassischen Schwarz-Weiß-Design. Der Kalender kostet 20,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale. Es handelt sich um den Subskriptionspreis; ab dem 1. Dezember kostet der Kalender 25,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale.

Der Kalender wird frei Haus geliefert, gerne aber auch an eine Wunschadresse. Wie immer ist der Kalender nur im Direktvertrieb beim Zeichner selbst erhältlich. Bestellung via E-Mail: wulkan@arcor.de. Per Telefon: 0172 200 35 70.

Kommt Zeit, kommt Rat

Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen einen Beschuldigten mangels Tatverdachts ein. Doch die Polizei besteht darauf, dass der Betroffene sich erkennungsdienstlich behandeln lässt (Fotos, Fingerabdrücke etc.) und die Daten in den Fahndungscomputern gespeichert werden. Das klingt erst mal paradox. Aber im Verwaltungsrecht ist vieles möglich – unter anderem genau das.

So stellt das Oberverwaltungsgericht Koblenz jetzt erneut fest, dass ein hinreichender Tatverdacht, der für eine Anklageerhebung erforderlich ist, nicht mit dem sogenannten „Restverdacht“ verwechselt werden darf. Ein hinreichender Tatverdacht liegt nur vor, wenn die Verurteilungswahrscheinlichkeit bei Berücksichtigung aller Umstände 51 % beträgt. Eine sicher schwammige, aber jedenfalls nicht besonders niedrige Grenze.

Der Restverdacht, bei dem eine erkennungsdienstliche Behandlung erfolgen darf, fällt nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts deutlich niedriger aus. Es genügt nach dem aktuellen Urteil, wenn der festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden Straftat einbezogen werden könnte. Außerdem muss zu erwarten sein, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen bei der Aufklärung helfen können.

Anders sei es nur, wenn die Ermittlungen zweifelsfrei jedes Verdachtsmoment ausgeräumt haben. Oder wenn sich herausstellt, dass das angebliche Fehlverhalten gar nicht strafbar ist. Immerhin gibt es also durchaus die Möglichkeit, dass die Polizei trotz Verfahrenseinstellung zu Unrecht auf eine ED-Behandlung besteht.

Jeder Betroffene kann ohnehin gegen so eine Anordnung klagen. Übrigens hat so eine Klage zumindest aufschiebende Wirkung. Das heißt, bis zur Entscheidung des Gerichts muss die ED-Behandlung dann warten. Da die meisten Verwaltungsgerichte selbst für kleinste Verfahren ein bis zwei Jahre benötigen, ist das also selbst dann eine Option, wenn die Erfolgsaussichten gar nicht so gut sind (Aktenzeichen 7 A 10084/18 OVG und 7 A 10256/18 OVG).

Hitzestau

Gleich zwei Durchsuchungen in zwei Wochen – das schafft auch nicht jeder. Meinem Mandanten gelang genau dies im Spätsommer. Da war es heiß. Unerträglich heiß. Und offensichtlich schlug dieses widrige Wetter der zuständigen Staatsanwältin und einer Richterin etwas auf die Urteilsfähigkeit…

Zunächst wurde die Wohnung meines Mandanten durchsucht. Da war er sogar nur Zeuge. Weshalb die Polizei auch das Handy meines Mandanten nicht einsackte, Stichwort Verhältnismäßigkeit. Vielmehr schaute ein Beamter das Handy sorgfältig durch. Da er weder verdächtige Mails noch Chats entdeckte, kriegte mein Mandant an Ort und Stelle sein Telefon wieder.

Zwei Wochen später wurde mein Mandant dann zum Beschuldigten. Und zwar in einer Vernehmung als Zeuge, in der er nicht so bereitwillig gegen andere Beschuldigte aussagte, wie es die Staatsanwältin gerne gehabt hätte. Die Staatsanwältin machte meinen Mandanten nach kurzer Bedenkpause nicht nur zum Beschuldigten. Sie erwirkte bei der Ermittlungsrichterin auch einen Durchsuchungsbeschluss. Inhalt: sofortige Sicherstellung des Handys meines Mandanten, weil sich auf diesem verdächtige Mails und Chats befinden könnten, die aus der Zeit vor der ersten Durchsuchung stammen.

Grund genug nun für das Landgericht als Beschwerdeinstanz, die Staatsanwältin und die Richterin an juristische Prinzipien zu erinnern. Zuvörderst natürlich jene des logischen Denkens. Wenn das Handy schon mal polizeilich überprüft worden ist, spricht erst mal wenig dafür, dass sich nun Daten aus der Zeit vor dieser Überprüfung darauf befinden, die zum Zeitpunkt der ersten Durchsuchung nicht auch schon drauf waren. Jedenfalls, so das Landgericht, bräuchte man dann zumindest belastbare Anhaltspunkte für einen Fehler des eingesetzten Polizeibeamten. Oder Indizien, dass eben ältere Daten nachträglich auf das Handy gelangt sind, aus welchem Grund auch immer.

Ich hoffe mal, man geht die Ermittlungen jetzt mit etwas kühlerem Kopf an. Die meteorologischen Voraussetzungen liegen ja mittlerweile vor.

Die AfD hat eine gute Idee

Wer als Anwalt zumindest ab und zu Verfassungsbeschwerden für seine Mandanten formuliert, kennt das Gefühl einer gewissen Leere im Bauch, wenn die sorgfältig ausgearbeitete Verfassungsbeschwerde nicht mal zur Entscheidung angenommen wird. Richtig schlimm ist es allerdings gerade für den Mandanten, wie dies geschieht. Die Richter in Karlsruhe verlieren nämlich in aller Regel kein Wort zur Sache. Der Antragsteller bleibt völlig im Unklaren, warum ausgerechnet seine Beschwerde nicht mal für eine nähere juristische Prüfung taugt.

Mit einem Einzeiler ohne jeden Sachbezug abgebürstet zu werden, das ist weiß Gott nicht jedermanns Sache. Auch wenn ich es jetzt nicht sonderlich gerne mache, muss ich in diesem Zusammenhang die AfD loben. Deren Bundestagsfraktion weist in einem aktuellen Gesetzentwurf nämlich drauf hin, dass die Begründungspflicht für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die Jahrzehnte immer mehr ausgehöhlt wurde und mittlerweile bei null angekommen ist.

Völlig zu Recht sieht die AfD hierin ein Defizit, denn es ist eines Rechtsstaats in der Tat unwürdig, wenn gerichtliche Entscheidungen zwar ergehen, aber nicht mal ein Wort zu ihrer Begründung gesagt werden muss. Dies gilt umso mehr, als der Wegfall jedweder Begründungspflichten offiziell ja nur einen einzigen Grund hat und hatte: Arbeitsersparnis für das angeblich so stark belastete Verfassungsgericht.

Insofern ist es wirklich keine schlechte Idee, mal wieder über eine Begründungspflicht für die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden nachzudenken. Ein paar einzelfallbezogene Sätze, warum es halt nicht gereicht hat, wären durchaus Balsam auf die Seelen unzähliger Beschwerdeführer (und natürlich auch auf die ihrer Anwälte). Natürlich lässt sich dem AfD-Antrag deutlich entnehmen, dass es der Fraktion selbst um etwas anderes geht, nämlich das vermeintlich ungerechtfertigte Abbügeln politisch „unbequemer“ Verfassungsbeschwerden durch eine stillschweigende Koalition von Politik und Verfassungsgericht.

Das ändert aber nichts daran, dass die Begründungspflicht natürlich insgesamt kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt wäre. Die paar Euro Mehrkosten wären wahrscheinlich gut angelegtes Geld, wenn man was gegen Staatsverdrossenheit unternehmen will, von der ja interessanterweise wiederum die AfD profitiert.

„Länger kann …. nicht zugewartet werden“

In einer Strafsache machte der Staatsanwalt mächtig Druck. Am 21.03. übersandte er mir die Ermittlungsakte zur Einsicht. Im Begleitschreiben hieß es:

Einer eventuellen Stellungnahme wird bis zum 02.04. entgegengesehen.

Ich wies freundlich darauf hin, dass ich so schnell keine Verteidigungsschrift vorlegen kann. Ich habe ja noch zwei weitere Mandanten, für die ich auch mal was machen muss. Aber bis zum 17.04. würde ich die Stellungnahme schon hinbekommen. Deshalb bat ich höflich darum, mir doch diese Zeit zu geben.

Antwort:

Frist wird gewährt bis zum 10.04. Länger kann mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz nicht zugewartet werden.

Eine weitere Kommunikation war mir dann zu blöd. In der Sache sitzt niemand in Haft. Die angebliche Tat liegt schon anderthalb Jahre zurück. Ich schrieb die „Frist“, die ja ohnehin keine echte ist, also in den Wind. Mein Schreiben ging am 14.04. (Samstagsarbeit!) raus.

Und was soll ich sagen? Mitte Oktober stand nun eine Wiedervorlage im Kalender. Deswegen sah ich die Unterlagen erstmals wieder. Ich forderte sicherheitshalber die Akte an, um zu sehen, was sich seitdem Dramatisches getan hat. Ihr werdet es fast erraten, was in der Zwischenzeit passiert ist:

Nichts.

Ich notiere jetzt eine großzügige Wiedervorlage auf März 2019. Der Beschleunigungsgrundsatz für Strafverfahren lacht sich in der Zwischenzeit voraussichtlich weiter kaputt. Und Samstagsarbeit tue ich mir bei dem Staatsanwalt sicher nicht mehr an.

Reminder: Kalenderverlosung 2019 läuft noch

Update: Die Gewinner wurden am 13.11. per Mail benachrichtigt. Wer keine Mail bekommen hat, den kann ich nur nochmals auf die Bestellmöglichkeit für den Anwaltskalender 2019 verweisen (siehe unten).

Ich bedanke mich bei allen Lesern für die Teilnahme am Gewinnspiel.

Ich möchte noch einmal an die aktuelle Verlosung erinnern, die hier im Blog läuft. Es gibt zehn schöne Anwaltskalender für das Jahr 2019 des Karikaturisten wulkan zu gewinnen.

Hier noch mal die Möglichkeiten zur Teilnahme:

1. Einen Kommentar zu diesem Beitrag schreiben. Bitte auf jeden Fall die E-Mail-Adresse gesondert reinschreiben. Das Kommentarsystem zeigt mir die hinterlegten E-Mail-Adressen leider nicht mehr komplett an, vermutlich aus Gründen des Datenschutzes. Ich kann also ohne Nennung der Mail-Adresse im Kommentartext Gewinner nicht benachrichtigen.

2. Wer aus verständlichen Gründen keine E-Mail-Adresse in den Klartext des Kommentars schreiben möchte, sendet einfach eine E-Mail an folgende Adresse: anwaltskalender@web.de.

Die Gewinnchancen sind auf beiden Wegen gleich. Die Gewinner werden ausschließlich über die hinterlegte E-Mail-Adresse benachrichtigt. Die Teilnahme am Gewinnspiel ist bis zum 13. November 2018 möglich.

Natürlich an dieser Stelle auch noch mal der Hinweis, dass dass es sich bei dem Kalender auch um ein tolles Weihnachtsgeschenk handelt. Die zwölf großformatigen Juristenmotive kommen im klassischen Schwarz-Weiß-Design. Der Kalender kostet 20,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale. Es handelt sich um den Subskriptionspreis; ab dem 1. Dezember kostet der Kalender 25,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale.

Der Kalender wird frei Haus geliefert, gerne aber auch an eine Wunschadresse. Wie immer ist der Kalender nur im Direktvertrieb beim Zeichner selbst erhältlich. Bestellung via E-Mail: wulkan@arcor.de. Per Telefon: 0172 200 35 70.

Allen Teilnehmern viel Glück.

Fachkundig geprüft

Heute ein kleines Fundstück aus dem Landgericht Aachen. Dort sind die Steckdosenleisten, die freundlicherweise in den Sitzungssälen auch für Anwälte vorgehalten werden, von geschultem Personal fachkundig auf ihre Sicherheit geprüft:

Vermute ich mal.

Daumentechnik

Bei den Ermittlungen wegen einer Verkehrsunfallflucht hat die Polizei ein Foto vom – angeblich – beschädigten Fahrzeug gemacht. Es geht um einen kleinen Kratzer, den der Fahrzeughalter am rechten Außenspiegel bemerkt haben will. Bei der Unfallaufnahme erzählte der Autobesitzer den Beamten von sich aus, dass es noch einen weiteren Kratzer bzw. eine Delle am Außenspiegel gibt. Das sei ein „Vorschaden“.

Doch zurück zum Foto. Die Bildunterschrift entspricht genau dem, was zu sehen ist:

Kratzer rechter Außenspiegel, Beschädigung, die mit dem Daumen abgedeckt wird, ist Altschaden.

Jetzt sitzen wir also da, die Staatsanwältin und ich. Denn in der Tat ist fraglich geworden, ob der angebliche Neuschaden nicht doch eher Teil eines Altschadens ist. Was wiederum für meinen Mandanten gut wäre. Dieser hätte dann nämlich keine Fahrerflucht begangen, sondern ihm soll vielleicht ein Parkrempler nur angehängt werden.

Wie auch immer, die Daumentechnik ist ein echtes Meisterstück sauberer Spurendokumentation. Aber im Zweifel geht es ja zu Gunsten des Angeklagten aus, so dass ich mich gar nicht beschweren will.