Spiegel Online bringt heute einen interessanten Artikel über Cold Cases. Das sind bislang ungeklärte Fälle, die nach Jahren oder sogar Jahrzehnten wieder aufgerollt werden. Anlass ist ein Cold Case aus Hamburg, in dem die (neuen) Ermittler wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen sind.
38 Jahre nach der Tat haben sie offenkundig den Falschen auf die Anklagebank gebracht. Es ging um einen versuchten Mord an einer damals 16-Jährigen. Das Landgericht Hamburg sprach den Angeklagten, auf den Ermittler erst 2018 stießen, jetzt frei, und die Richterin fand deutliche Worte in Richtung der Polizei: „Hätten wir zu Beginn gewusst, was wir heute wissen, hätten wir das Verfahren gar nicht eröffnet.“ Das Opfer, der Angeklagte und auch ein wichtiger Zeuge seien, so zitiert der Bericht die Richterin, „höchst suggestiv“ befragt und „gegebenenfalls sogar getäuscht“ worden.
So seien dem Opfer Bilder vorgelegt worden mit der Aussage, der Täter sei auf jeden Fall auf mindestens einem Foto zu sehen, er müsse nur noch überführt werden. Außerdem sollen dem Opfer Jugendfotos des Angeklagten gezeigt worden sein. Die Vergleichsbilder zeigten dagegen junge Männer in moderner Kleidung. Der Hauptbelastungszeuge soll seine Aussage im Laufe der Vernehmung um 180 Grad geändert haben – unter anderem, nachdem ihm von einer Belohnung berichtet wurde.
Die Aufzählung der Polizeifehler in diesem Fall finde ich sehr aufschlussreich. Denn es handelt sich keineswegs um Probleme, die nur in Cold Cases auftreten. Fehlerhafte Lichtbildvorlagen, einfühlende Zeugenmassagen, aktive Täuschung und andere Tricks sind vielmehr potenzielles Thema in jedem Strafprozess. Um so wichtiger, dass Richter auch die Polizeiarbeit kritisch würdigen, so wie dies nun in Hamburg geschehen ist.