Mit Gutschein bezahlte Reise ist abgesichert

Wer eine Reise (teilweise) mit einem Gutschein zahlt, ist trotzdem gegen eine Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert. Die gesetzlich vorgeschriebene Versicherung muss nach einer Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt am Main auch zahlen, wenn der Kunde lediglich einen Gutschein „investiert“ hat.

Die Klägerin hatte eine Rom-Reise für 438 Euro gebucht und dafür einen Gutschein eingelöst. Sie erhält die Reisebestätigung und den Sicherungsschein, der gegen die Insolvenz des Veranstalters absichert. Die Versicherung verwies aber darauf, die Frau habe keinen Schaden, weil sie gar kein Geld gezahlt habe.

Nicht überzeugend, urteilt das Gericht: Wenn Veranstalter und Versicherung den Gutschein akzeptieren, stehe dieser einer Zahlung gleich. Das ergebe sich aus § 364 Abs. 1 BGB (Aktenzeichen 30 C 3256/17 (71)).

Münzgeld-Einzahlung darf nicht extra kosten

Eine Bank kann ihren Kunden nicht allgemein eine Gebühr berechnen, wenn diese Münzgeld einzahlen. Vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe wurde über den Fall einer Bank verhandelt, die für jede Bareinzahlung von Münzgeld 7,50 Euro berechnete.

Grundsätzlich könnten Banken Geld für Zahlungsdienste verlangen, sagt das Gericht. Ist ja auch logisch, davon leben Banken ja. Die Grenze sei aber dort überschritten, wo die Bank den Kunden Geld dafür in Rechnung stelle, dass er nur seine eigenen vertraglichen Pflichten erfülle. Als Beispiel nennt das Gericht den Kunden, der Münzgeld auf sein überzogenes Girokonto einzahlt. In diesem Fall tilgt der Kunde nur pflichtgemäß seine Schulden, wird aber extra zur Kasse gebeten.

Schon dieser Punkt führt dazu, dass die Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Auffassung des Gerichts insgesamt unwirksam ist (Aktenzeichen 17 U 147/17).

Frauenüberhang in der Hamburger Justiz

Männliche Bewerber für einen Job bei der Staatsanwaltschaft haben es in Hamburg momentan einen Tick leichter als Frauen. Es gibt nämlich derzeit deutlich mehr Staatsanwältinnen als Staatsanwälte in der Behörde. Nun wirbt die Hamburger Justiz offensiv um männliche Stelleninteressenten.

„Männliche Bewerber werden daher bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorrangig berücksichtigt“, heißt es auf der Homepage der Anklagebehörde unter „Bewerbungs- und Einstellungsverfahren“. Tatsächlich sind von den 195 Strafverfolgern in Hamburg 125 Frauen (64,1 Prozent) und 70 Männer (35,9 Prozent).

Dies hat nun zur Folge, dass das Hamburger Gleichstellungsgesetz nun zu Gunsten von Männern zieht. Bei gleicher Qualifikation werden männliche Bewerber bevorzugt.

Näheres steht in einem Bericht des Hamburger Abendblatts.

Keine großen Diskussionen

Mit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers tun sich Gerichte mitunter schwer. Ist ja auch verständlich. Denn der Pflichtverteidiger kriegt sein Honorar aus der Staatskasse. Am Ende zahlen also wir alle. Deshalb finde ich es auch gar nicht schlimm, wenn ein Richter kritisch hinterfragt, ob die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidiger gegeben sind.

Ärgerlich wird es da, wo die Verweigerungshaltung nur noch als Pingeligkeit ausgelegt werden kann. Hier in NRW gibt es zum Beispiel einen Amtsrichter, der nach meinem Empfinden so gut wie jeden Antrag ablehnt – sofern ihm das Gesetz überhaupt ein Ermessen einräumt. Wenn dann eine Beschwerde erhoben wird, bessert er in 50 % der Fälle selbst nach. Die restlichen 45 % korrigiert dann das Landgericht als Beschwerdeinstanz.

Dass es auch ganz anders geht, erlebte ich jetzt bei einem anderen Amtsrichter. Der hatte die betreffende Abteilung zwar erst vor kurzem übernommen, zeigte sich aber bestens informiert. Er hatte schon selbst recherchiert, dass mein Mandant betreut wird. Und zwar auch aus Gründen, die dafür sprechen, dass der Mandant seine rechtlichen Interessen nicht selbst wahrnehmen kann. Das ist ein plausibler Grund für einen Pflichtverteidiger, auch wenn der Tatvorwurf doch sehr marginal ist.

Da ich den Mandanten schon seit langem helfe, rief der Richter kurz an und fragte, ob ich die Verteidigung übernehme und der Mandant damit einverstanden ist. Der Beiordnungsbeschluss kam dann postwendend, ebenso die Gerichtsakte zur Einsicht. Übernächste Woche ist schon der Verhandlungstermin. So was nenne ich Effizienz. Abgesehen davon macht die Arbeit ohne unnötige Reibungsverluste auch gleich viel mehr Spaß.

Postnachwurf

In einem Verfahren wegen Drogenhandels via Internet beobachtete die Polizei den Briefkasten an einer belebten Straße. Es handelte sich um eines dieser geräumigen Standmodelle mit zwei Einwürfen, einer für den Nah- und einer den Fernbereich.

Für den Fall, dass die möglichen Drogenversender zum Briefkasten kamen, und sie kamen, hatte die Polizei vorgesorgt. Stolz erzählte eine Beamtin vor Gericht, man habe einen „Postnachwurf“ vorbereitet. Also einen Umschlag (ans Polizeipräsidium adressiert), der in den Briefkasten geworfen werden sollte, nachdem die Verdächtigen ihre Sendungen eingeworfen hatten.

Das klang alles sehr wichtig. Bis sich dann die Frage stellte, wozu der „Postnachwurf“ denn gut sein sollte. So richtig konnte die Beamtin das nicht erklären, die Idee hatte ja auch ihr Chef. Jedenfalls schien man der Meinung zu sein, dass Briefe so in diese Art Briefkästen fallen, dass sie fein säuberlich übereinander gestapelt sind. Wobei der amtliche „Postnachwurf“ dann sozusagen eine Art Trennstreifen gewesen wäre, falls nach den Verdächtigen noch jemand was in den Briefkasten schmeißt.

Wer allerdings schon mal zugeschaut hat, wie einer dieser großen Briefkästen geleert wird, weiß natürlich: Drinnen hängt ein recht geräumiger Sack, in den die Briefe plumpsen. Und das jedenfalls nicht im Schichtsystem, sondern je nach Einwurfwinkel ziemlich kunterbunt.

Immerhin scheinen das auch die Richter schon mal gesehen zu haben. Die Strafkammer machte jedenfalls nicht den Eindruck, dass dem ominösen „Postnachwurf“ irgendeine juristische Bedeutung zukommen könnte. Man darf also die Prognose wagen, dass dieses Instrument es auch eher nicht ins Lehrbuch der Kriminalistik schaffen wird.

Bei Wind und Regen

Anzeigenblätter werden ja gern auch mal in Stapeln vor die Haustüren gelegt. Zum Beispiel, wenn die Briefkästen nicht von außen zugänglich sind. Der Eigentümer eines Mietshauses muss das aber nicht hinnehmen, entschied das Amtsgericht Magdeburg.

Der Eigentümer hatte gegen den Verlag eines Anzeigenblattes geklagt, das zwei Mal in der Woche erscheint. Die liegengebliebenen Anzeigenblätter musste er nach seinen Angaben immer mühsam entsorgen, was gerade bei Wind und Regen sicher nicht sehr angenehm ist. Für das Gericht liegt darin ein Eingriff in das Eigentum des Klägers, der zu einem Unterlassungsanspruch führt.

Der Verlag hatte eingewandt, es würden ja auch schon mal Handzettel verteilt. Das ließ das Gericht mit dem Hinweis nicht gelten, ein Anzeigenblatt sei viel dicker, die Verschmutzung durch umherfliegende Blätter deshalb deutlich höher (Aktenzeichen 150 C 518/17).

Wie die Polizei in ihren Formularen blufft

Aus einer Vorladung für eine Vernehmung bei der Polizei:

In der Ermittlungssache Besitz von Marihuana am … in Düsseldorf ist Ihre Vernehmung / Anhörung als Beschuldigter erforderlich.

Dieser Vorladung für Sie liegt ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde.

Ich will nicht verhehlen: Der Satz mit der Staatsanwaltschaft hat bei meinem Mandanten seinen Eindruck nicht verfehlt. Genau das sollte er wohl auch bezwecken. Auftrag der Staatsanwaltschaft. Das klingt ja gleich ganz anders, als wenn nur der Herr Kommissar ein paar Fragen hat.

Allerdings ist das Ganze doch leicht irreführend. Denn die Sache mit dem „Auftrag der Staatsanwaltschaft“ ist nur an ganz anderer Stelle relevant. Zwar auch bei Vernehmungen, aber der von Zeugen. Hier gibt es seit kurzem eine Pflicht von Zeugen, auch bei der Polizei zu erscheinen. Aber eben nur, „wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt“ (§ 163 Abs. 3 StPO). Zu dieser Gesetzesänderung habe ich schon mal Näheres in meiner ARAG-Kolumne geschrieben, auch über die zahlreichen Fragen, die in der Praxis noch nicht einmal ansatzweise geklärt sind.

Bei der Vernehmung eines Beschuldigten hat sich dagegen folgendes geändert: gar nichts. Beschuldigte haben nach wie vor keinerlei Pflicht, auf Vorladungen der Polizei zu reagieren. Vielmehr ist es nach wie vor nur so, dass Beschuldigte verpflichtet sind, auf Ladung zu erscheinen – aber eben nur „vor der Staatsanwaltschaft“ (§ 163a Abs. 3 StPO). Der Staatsanwalt kann sein Recht, den Beschuldigten antanzen zu lassen, nicht auf die Polizei übertragen. Wobei die Erscheinenspflicht für einen Beschuldigten übrigens nicht bedeutet, dass er was beim Staatsanwalt sagen muss. Der Beschuldigte hat nach wie vor ein umfassendes Schweigerecht.

Ein wenig witzig ist es also schon, wenn der tolle Satz mit dem Auftrag der Staatsanwaltschaft jetzt in Vorladungen für Beschuldigte schwappt. Und auch ein wenig abgeschmackt, wenn man sieht, dass sich manche Polizeibeamte halt für keinen billigen Trick zu schade sind.

Außer Kontrolle

Beim Wühlen im Aktenschrank bin ich vorhin auf einen Vorgang gestoßen, der mir vom Namen des Mandanten her rein gar nichts sagte. Ein Indiz, dass in der Sache was nicht stimmt – normalerweise erinnere ich mich nämlich ganz gut an einzelne Mandate.

Nachdem ich in die Akte geschaut habe, bin ich schlauer. Es geht um ein Verkehrsdelikt, das sich angeblich Mitte 2013 ereignet haben soll. Nach einem knappen Jahr erging ein Strafbefehl gegen meinen Mandanten. Gegen diesen Strafbefehl legte ich Einspruch ein, das war im Juli 2014. Seitdem, also nun fast schon vier Jahre, ist nichts mehr passiert. Gar nichts.

Mit bloßer Überlastung des Gerichts dürfte das kaum zu erklären sein. Mein Tipp: Die Akte ist verschollen. „Außer Kontrolle geraten“, wie es auf Justizsprech heißt. Ich werde meine Akte erst mal wieder in den Schrank hängen. Bald wird ja auch das Thema Verjährung interessant. Ich als Verteidiger bin der Letzte, der das Gericht jetzt anstoßen müsste. Das wäre sogar eine Verletzung meiner Berufspflicht, denn es würde dem Mandanten schaden.

Wie auch immer es weiter geht, eins ist jetzt schon klar. Das Fahrverbot von einem Monat wird man meinem Mandanten nach so langer Zeit nicht mehr aufs Auge drücken können. Das Fahrverbot soll eine Warn- und Denkzettelfunktion haben, wie es so schön heißt. Von der kann nach so langer Zeit nun wirklich nicht mehr die Rede sein.

Ansonsten bin ich mit dem Mandanten im Reinen. Die Rechnung hat nämlich schon gezahlt.

Etwaige Folgen der Außerachtlassung dieser Bedingung

Es begab sich vor vielen, vielen Jahren, dass bei den Duisburger Verkehrsbetrieben ein Direktor an die Tür des Hausjuristen klopfte. „Wir hatten doch neulich diesen Fall, wo ein Fahrgast Schmerzensgeld wollte, weil er in einer Bahn gestürzt ist.“ Der Herr Assessor erinnerte sich. „Der ältere Herr, der sich nicht festgehalten hat?“ „Genau. Wir bräuchten mal ein vernünftiges Schild, damit wir künftig abgesichert sind. So rein rechtlich.“

Kein Problem, sagte der Hausjurist. Er vergab den Auftrag an einen Rechtsreferendar, der gerade seinen Vorbereitungsdienst im Unternehmen absolvierte. Möglicherweise war es auch ein Praktikant, so genau weiß das keiner mehr. Genau so wenig, wie ich weiß, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat. Aber gut denkbar ist es, denn seitdem es in Düsseldorf die U-Bahn-Linie 79 zwischen Düsseldorf und Duisburg gibt – also schon mehrere Jahrzehnte – , hängt in allen Wagen der Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) dieses schöne Schild:

Ebenso lange fahre ich U-Bahn. Jedes Mal, wenn ich das Schild sehe, nehme ich meine gesamten juristischen Kenntnisse zusammen und versuche, die Aussage, inhaltlich wirklich zu durchdringen. Bislang erfolglos. Wenn man die Botschaft des Schildes in einer Anfängerübung zum Zivilrecht analysieren ließe, kämen die Studenten wahrscheinlich fluchend aus dem Klausursaal – obwohl sie wochenlang alles zur Haftung bei Vorsatz, (grober) Fahrlässigkeit und höherer Gewalt gepaukt haben.

Ich will jetzt gar nicht werten, was juristisch nicht angehauchte Fahrgäste wohl mit dem Aushang anfangen können. Zum Beispiel die zahlreichen Freunde des gedruckten Wortes unter den Pendlern, die vielleicht mal von ihrem Kindle aufschauen und sich fragen: Wo bleibt hier eigentlich die Sprachpolizei?

Könnten sich die Duisburger Verkehrsbetriebe auch mal fragen. Der Rechtsreferendar vom Dienst hätte sicher Spaß an der Aufgabe.

Neuer beA-Ärger: Anwälte klagen wegen Pseudo-Verschlüsselung

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat eine Klage für ein sicheres „besonderes elektronisches Anwaltspostfach” (beA) koordiniert. Die Klage gegen die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) wurde am 15. Juni 2018 beim Berliner Anwaltsgerichtshof eingereicht und hat zum Ziel, das beA mit Ende-zuEnde-Verschlüsselung so nachrüsten zu lassen, dass allein die vorgesehenen Empfänger einer Nachricht diese entschlüsseln können.

Die von der BRAK verwendete Verschlüsselungstechnik gewährleistet das nicht, weil sie mit dem so genannten HSM eine „Sollbruchstelle“ aufweist. Die derzeitige Konzeption des beA ist laut GFF eine Gefahr für das Mandatsgeheimnis, weil die Nachrichten unterwegs auf einem Server der BRAK mit einem so genannten HSM „umgeschlüsselt“ werden. Nicht der Absender, sondern dieser zentrale Server steuere damit, wer die Nachrichten lesen kann.

Aufgrund dieser „Schlüsselrolle“ der BRAK sei das beA ein besonders attraktives Ziel für Angriffe durch Kriminelle oder staatliche Stellen des In- und Auslands – ein wesentlicher Unterschied zu Brief oder Fax. Vor dem Hintergrund, dass einfache technische Lösungen für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung längst verfügbar sind, hält die GFF das Anwaltspostfache in der jetzigen Form nicht für hinnehmbar.

„Es ist nicht nachvollziehbar, warum Rechtssuchende schlechter stehen sollen als jeder normale Nutzer von Messengerdiensten wie Signal, Telegram oder WhatsApp, bei denen die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung längst Standard ist“, sagt der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer. Mit Unterstützung der GFF klagen nun mehrere Rechtsanwälte.

Ungezählte Druckverschlusstüten

Die Anklageschrift in einem Betäubungsmittelverfahren zählt unter anderem folgende Beweismittel auf:

1 Grow-Zelt nebst Gestänge
ungezählte Druckverschlusstüten
1 Dünger-Anleitung
ungezählte Gelbtafeln
1 Mülleimer

Ich überlege noch, wie ich die ungezählten – vielleicht sind ja auch unzählige gemeint – Gegenstände juristisch instrumentalisieren kann. Wenn ich reichlich formalistisch mit Zwangs-Zählerei drohe, gibt’s nach späterem Verzicht am Ende ja vielleicht einen kleinen Strafrabatt.

Über den Mülleimer denke ich dann morgen nach…

Kein Pflichtverteidiger für Ali B.? So simpel ist das alles nicht

Der Fall um den mutmaßlichen Mörder Ali B. hat ja schon einige interessante juristische Facetten hervorgebracht. Die denkwürdige „Rückführung“ aus dem Irak, die eindeutig ohne Zustimmung der zuständigen Regierung in Bagdad erfolgte, scheint nur der Auftakt gewesen zu sein. Jetzt wird bekannt, dass Ali B. weder bei seiner Vernehmung bei der Polizei noch bei seiner Vorführung vor der Haftrichterin einen Verteidiger hatte.

Die Behörden sagen dazu: Wir haben Ali B. über seine Rechte belehrt. Aber er wollte ja keinen Anwalt (Bericht auf Spiegel Online). Das kann man natürlich glauben. Man kann aber auch mal fragen, in was für einer Situation sich Ali B. befunden haben mag. Er wurde auf dubiose Art und Weise im Irak abgeholt, nach Deutschland geflogen, vom SEK vollversorgt – martialische Bilder gibt es hierzu ja einige.

Sicher war Ali B. in der Situation ausgeschlafen, entspannt und in jedem Augenblick in der Lage, die Tragweite der Belehrungen zu verstehen und sich wirklich frei zu entscheiden. Das kann man natürlich glauben. Wer dies tut, braucht eigentlich nicht weiter zu lesen, denn es ist ja alles ganz klar.

Ist es keineswegs. Zunächst mal scheint bei der Erklärung, wieso Ali B. keinen Anwalt beigeordnet erhielt, den Behörden ein kleiner Fehler unterlaufen zu sein. Sie sagen, einen Pflichverteidiger sehe das Gesetz erst ab „Vollzug der Untersuchungshaft“ vor, das heißt nach der Entscheidung der Haftrichterin (seine Aussagen bei der Polizei und der Richterin hat Ali B. natürlich vorher gemacht).

Ja, so war das auch mal, sogar viele Jahrzehnte. Richtig ist aber auch: Das Verfahrensrecht wird quasi im Jahrestakt im Interesse der Verfahrensoptimierung verschärft. Aber zu sehr sollte man sich nicht darauf verlassen, dass alles nur heftiger wird, denn mitunter finden auch sinnvolle Regelungen Eingang ins Gesetz, welche – man glaubt es kaum – die Rechtslage des Beschuldigten verbessern. Die Vorschrift, die uns hier interessiert, ist seit letztem Sommer in Kraft. § 141 Abs. 3 S. 4 StPO lautet nun:

Das Gericht, bei dem eine richterliche Vernehmung durchzuführen ist, bestellt dem Beschuldigten einen Verteidiger, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt oder wenn die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint.

Das ist ganz neu – und anscheinend noch nicht so richtig bekannt. Früher lag die Beiordnung eines Pflichtverteidigers weitgehend im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Stellte diese keinen Antrag (wozu sie natürlich in der Regel keine Lust hat), gab es frühestens mit Beginn der Untersuchungshaft einen Pflichtverteidiger. Nun muss das Gericht aber selbst eine Prüfung vornehmen, wenn die richterliche Vernehmung ansteht. Das heißt, der Ermittlungsrichter muss prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Beiordnung gegeben sind – bevor er mit dem Beschuldigten spricht.

Die einzige Frage, die sich gemäß dem Gesetzeswortlaut bei der Vorführung Ali B.s stellte, war folgende: Ist die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten?

Der Tatvorwurf lautete auf Mord. Mehr geht ja kaum. Dazu die Art und Weise, wie die deutschen Behörden Ali B.s habhaft geworden sind. Der mediale Druck. Seine offensichtliche Isolation in Deutschland (die Familie soll ja nach wie vor im Irak sein). Wie will man ernsthaft sagen, hier bedurfte es keines Verteidigers?

Aber angeblich hat Ali B. ja total freiwillig auf einen Anwalt verzichtet. Die Frage ist nicht nur, ob das so stimmt, sondern auch, ob das überhaupt eine Rolle spielt. Laut der neuen Vorschrift muss der Richter eigenständig objektiv bewerten, ob die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist. Er muss dem Beschuldigten dann im Zweifel einen Anwalt beiordnen – möglicherweise sogar gegen dessen Willen.

Ganz so simpel, wie sie in der Presse dargestellt wird, ist die Sache also nicht. Richtig aussagekräftige Entscheidungen zu der neuen Rechtslage gibt es allerdings auch noch nicht. Mein Kollege Detlef Burhoff meint in seinem Blog, der Fall Ali B. werde die Gerichte noch lange beschäftigen. Mit dem Risiko, dass die Sache am Ende „hoch geht“.

Ich stimme zu und ergänze: Das juristische Risiko hätte man sich sparen können, wenn Ali B. sofort einen Verteidiger bekommen hätte. Und aus rechtsstaatlicher Sicht hätte es auch deutlich besser gewirkt.

Sie müssen Angaben machen – wirklich?

Wenn es um einen kleineren Tatvorwurf geht, versenden Polizei und Staatsanwaltschaften gern Anhörungsbögen. Als Beschuldigter hat man natürlich ebenso ein Schweigerecht wie in einer persönlichen Vernehmung. Aber in der Regel liegt den Unterlagen auch ein Bogen bei, auf dem der Adressat Fragen zur Person beantworten soll.

Nehmen wir das Formular, welches die Staatsanwaltschaft Düsseldorf aktuell verwendet:

Die Belehrung erweckt den Eindruck, als müssten „Fragen zur Person“ so beantwortet werden, wie sie im Fragebogen formuliert sind – auch wenn man die Aussage verweigern will. Dabei ist das Formular selbst schon mal in einigen Punkten unzutreffend:

– Bei der Frage nach den Vornamen sind zwar alle Vornamen anzugeben. Es gibt aber keine Pflicht, den Rufnamen zu unterstreichen;

– beim Familienstand muss man nur angeben, ob man ledig, veheiratet, geschieden oder verwitwet ist. Die Angabe „getrennt lebend“ ist gesetzlich nicht vorgesehen;

– bei der Frage nach dem Beruf kommt es regelmäßig nur auf die momentan ausgeübte Tätigkeit an, mit der man seinen Lebensunterhalt verdient. Wenn man arbeitslos ist, muss man dies übrigens nicht angeben. Arbeitslosigkeit ist nämlich kein Beruf;

– bei der Frage nach dem Wohnort muss man die Postleitzahl nicht angeben. Gefragt werden kann auch nur nach dem aktuellen regelmäßigen Aufenthaltsort. Den „letzten Aufenthalt“, der nicht mehr aktuell ist, muss man aber nicht angeben. Wenn man keinen regelmäßigen Aufenthaltsort hat, ist man höchstens verpflichtet, den Ort zu nennen, an dem man das Formular ausfüllt.

Abseits von diesen Punkten erweckt das Formular auch den Eindruck, die Angaben müssten stets gemacht werden, und zwar unabhängig von dem konkreten Verfahren. Auch das ist falsch. Der im Formular erwähnte § 111 OWiG begründet nämlich gar keine Auskunftspflicht. Der Paragraf setzt vielmehr eine Auskunftspflicht voraus. Diese muss sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben. Außerdem gilt der Grundsatz, dass eine Weigerung nur ordnungswidrig sein kann, wenn die verweigerte Information tatsächlich im Verfahren benötigt wird.

Beispiele:

– Zeugen müssen normalerweise den Geburtsort oder ihr Geburtsdatum nicht angeben, wenn ihre Identität ohne vernünftigen Zweifel nicht zweifelhaft ist;

– nach dem Familienstand darf nur gefragt werden, wenn der Familienstand eine Bedeutung für die Prüfung des Falles hat. Bei einem Verkehrsunfall, einem angeblichen Ladendiebstahl etc. spielen solche Informationen aber keine Rolle.

– Angaben zum Beruf haben sehr häufig etwas mit dem Tatvorwurf zu tun. Man darf also zum Beruf schweigen, wenn das für den Fall von Bedeutung sein kann. Insoweit geht das allgemeine Schweigerecht vor.

– Die Angabe der Staatsangehörigkeit ist nur ausnahmsweise erforderlich. Denn zur Identifikation einer Person reichen normalerweise Name, Geburtsdatum, Geburtsort und aktuelle Adresse. Es bleiben also im Regelfall Verfahren mit Bezug zum Asyl- und Aufenthaltsrecht.

Wie sich an diesen Beispielen zeigt, ist es also gerade nicht so, dass der Empfänger immer alle Angaben machen muss. Leider ergibt sich gerade das aus den Formularen nicht, siehe unser Beispiel. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, alle Fragen müssten komplett beantwortet werden. An sich eine juristische Irreführung. Was sich meiner Meinung nach gerade bei Behörden nicht gut macht, die den lieben langen Tag nur die Einhaltung der Gesetze überwachen.

Aber vielleicht bin ich in solchen Dingen auch nur zu empfindlich.

Die Reifen sind eingeschlagen

Heute mal eine Geschichte, die auf einem Park & Ride Parkplatz an einem Haltepunkt der S-Bahn spielt.

Herr N. fährt einen weißen Golf. Diesen stellt er nach eigenen Angaben am 25.04.2018 um 5.45 Uhr auf dem Parkplatz ab. Er fährt mit der S-Bahn weg. Er kommt am 26.04. um ca. 14.55 Uhr zurück. Bei seiner Rückkehr stellt er an der linken Seite seines Autos einen Kratzer und silberfarbene Lackspuren fest. In der Parkbucht daneben parkt ein silberner BMW.

Herr N. ruft die Polizei. Diese stellt tatsächlich silberfarbene Lackspuren am Golf fest. Am silbernen BMW lässt sich allerdings offensichtlich nichts entdecken, was zum Schadensbild passt. Die Beamten dokumentieren lediglich einen Wischschaden, der deutlich tiefer liegt und den sie als „Altschaden“ einstufen.

Aber jetzt entdecken die Polizisten einen schlagenden Beweis. Ich zitiere:

Der BMW ist vorwärts eingeparkt und steht innerhalb der Parkboxmarkierung nach links versetzt und leicht schräg. Die Vorderreifen sind nach links eingeschlagen. …

Da die Reifen des BMW nach links eingeschlagen waren, ist zu vermuten, dass der Einparkvorgang mehrere Züge benötigt hat und der Golf bei einem der vorangegangen Züge beschädigt wurde.

Aus dem Umstand, dass bei einem geparkten Auto die Reifen nach links eingeschlagen sind, lässt sich also der Einparkvorgang dahingehend rekonstruieren, dass der Einparkvorgang „mehrere Züge“ benötigte, bei denen das daneben geparkte Auto beschädigt worden ist. Dabei spielt es dann auch gar keine Rolle mehr, dass an dem Pkw des vermeintlichen Schädigers gar kein korrespondierender Lackschaden vorhanden ist.

Die Möglichkeit, dass in den anderthalb Tagen, in denen der Golf auf dem Park & Ride Parkplatz stand, vielleicht ein anderes silberfarbenes Auto den Schaden verursacht haben könnte, kommt den Polizisten anscheinend nicht in den Sinn. Jedenfalls findet sich darüber kein Wort. Dabei ist silber nun bekanntermaßen keine seltene Autofarbe. Ich habe mal ein paar Statistiken gegoogelt. Rund 15 Prozent aller neu zugelassenen Wagen sind silber. Wenn man ähnliche Grautöne dazu rechnet, reden wir über fast jedes dritte Auto.

Ich nehme an, die fehlenden Erwägungen der Polizei sind reine Freundlichkeit, um dem Staatsanwalt den Vortritt zu lassen und ihm ein Erfolgsgefühl zu vermitteln – wenn er 15 Sekunden nachdenkt und dann das Verfahren gegen die mutmaßliche Fahrerin des BMW mangels Tatverdachts einstellt.

Angeklagter und Zeuge – im selben Verfahren

Von guter deutscher Qualitätsarbeit möchte ich nicht sprechen bei einer Anklageschrift, die ich heute lesen durfte / musste.

Angeklagt werden insgesamt vier Personen – wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung. Interessant ist vor allem, wie der Staatsanwalt mit dem vierten Angeklagten umgeht. Nennen wir ihn Martin.

Martin soll sich laut Anklage an Schlägen und Tritten gegenüber dem Opfer beteiligt haben. In der Konkretisierung der Tat heißt es dann allerdings: „wobei sich der Zeuge Martin nicht am Geschehen beteiligte“. Ansonsten kommt der Angeklagte Martin nicht mehr vor.

Außer in der Rubrik „Beweismittel“ der Anklageschrift. Dort ist er als Zeuge angeführt.

Ein Angeklagter, der laut Anklage nichts gemacht hat, und der gleichzeitig Zeuge ist. Das Ganze wäre ja fast lustig, wenn die Anklage nicht sogar an das Schöffengericht gerichtet wäre. Das passiert nur, wenn mit einer Freiheitsstrafe deutlich über einem Jahr zu rechnen ist. Also keine Bagatelle.

Das Amtsgericht hat die Anklage übrigens ohne Änderung zugelassen.

Leider bin ich nicht der Verteidiger von Martin. Der hat in dem Gerichtstermin voraussichtlich den einfachsten Job.