Darf ein Anwalt eine Strafe für seinen Mandanten fordern?

Mein Berliner Kollege Carsten R. Hoenig schaut in seinem Blog auf den NSU-Prozess in München. Konkret geht es den „Antrag“, welchen die Wahlverteidiger von Beate Zschäpe ans Schluss ihrer Plädoyers gestellt haben. Zehn Jahre Freiheitsstrafe halten die Anwälte bei ihrer eigenen Mandantin für angemessen, eine Verurteilung wegen Mordes ( = lebenslänglich) aber nicht.

Darf ein Anwalt eine Freiheitsstrafe für seinen Mandanten „fordern“? Das eher nicht, aber im Sinne eines dringenden Wunsches haben es Zschäpes Verteidiger sicher auch nicht formuliert. Anders als Carsten meine ich aber schon, dass auch ein Verteidiger sich zu einem Strafmaß äußern kann und sogar soll – zumindest wenn eine Verurteilung aus sachlichen Gründen zu erwarten ist.

Vornehme Zurückhaltung in dem Bestreben, dem Mandanten nicht zu schaden, zahlt sich nach meiner Erfahrung nämlich am Ende gar nicht positiv aus. Die Situation ist ähnlich, wie wenn man als Verteidiger mit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht vor oder während der Verhandlung (informell) über einen Deal spricht. Auch hier ist es fast immer sinnvoll, wenn der Anwalt als erster eine konkrete, im Idealfalls natürlich nicht ganz zu absurde Vorstellung äußert.

Das ergibt sich aus dem sogenannten Ankereffekt. Wer als erster eine konkrete Zahl oder einen akzeptablen Rahmen nennt, beeinflusst sein Gegenüber damit regelmäßig in seine Richtung. Er manipuliert die Verhandlungsgrundlage sogar dann, wenn die Gegenseite widerspricht. So ganz kann sich nämlich auf der unterbewussten Ebene niemand dem Sog entziehen, den ein solches Commitment mit sich bringt. Das gilt gerade auch gegenüber ehrenamtlichen Richtern, die ja zu 99 % ihrer Lebenszeit nicht über das richtige Strafmaß für einen Angeklagten grübeln.

Der Ankertrick funktioniert natürlich nicht nur im juristischen Bereich, sondern in so gut wie allen Lebenssituationen. Man muss halt möglicherweise etwas über den eigenen Schatten springen, wenn man eher zurückhaltend ist. Wobei das jetzt nicht auf den Kollegen Hoenig gemünzt ist, denn den kenne ich alles andere als schüchtern.

Der Krieg nach dem Kampf

Als Anwalt sollte man sich eigentlich freuen, wenn der Mandant freigesprochen wird. Oder wenn das Gericht das Verfahren einstellt, wobei die Staatskasse die gesamten Kosten trägt. Auf der anderen Seite beginnt danach oft genug etwas, was ich einen Krieg nach dem Kampf nennen möchte. Es geht um die beharrliche Neigung vieler sogenannter Bezirksrevisoren, das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz extrem kleinlich auszulegen.

Dabei setzen die zuständigen Damen und Herren natürlich auch auf den Effekt, dass sie als Beamte alimentiert werden, wogegen der Anwalt den Streit um gestrichene oder reduzierte Kostenpauschalen, Fahrtkosten, die richtige Höhe der Verfahrensgebühren etc. erst mal mit Arbeitszeit unterfüttern muss, die er ansonsten womöglich besser bezahlt bekäme.

Ich habe vor langer Zeit beschlossen, zumindest echten Kriegserklärungen ( = wirklich hanebüchene Auslegungen des Vergütungsgesetzes) nicht deshalb aus dem Weg zu gehen, weil es vielleicht „nur“ um 94,30 Euro geht. Oder auch mal nur um 12 Euro. Wobei wir beim aktuellen Fall wären.

Thema war die sogenannte Aktenversendungspauschale. Diesen Betrag muss der Verteidiger an die Staatskasse zahlen, wenn er sich die Ermittlungsakte für die Akteneinsicht zusenden lassen will. Es gibt hunderte Gerichtsentscheidungen zu Einzelfragen. An sich dachte ich, dass da nichts mehr kommen kann (außer, dass sich ein Kostenbeamter schlicht nicht an die Präzedenzurteile hält). Aber vor kurzem wurde ich eines Besseren belehrt.

Der Bezirksrevisor beim Amtsgericht Köln wollte mir die 12 Euro nicht gönnen. Mit folgender Argumentation:

Unzweifelhaft ist eine Akteneinsicht des Verteidigers notwendig. Für die Einsicht vor Ort werden von dem Anwalt keine Kosten erhoben. (Die Aktenversendungspauschele) entsteht nicht, wenn die Akten innerhalb desselben Gerichts in ein Fach zur Abholung durch den Anwalt gelegt werden. … Ein örtlicher Verteidiger erhält weder bei einer Akteneinsicht vor Ort noch bei einer Abholung der Akten Ersatz seiner Reisekosten. Dienst die mit Kosten verbundene Übersendung der Arbeitserleichterung des Anwalts, sind solche Kosten keine zur Erfüllung des Mandantenauftrags Erforderlichen, also keine Aufwendungen.

Übersetzt heißt das: Weil in Köln eine (sicher überschaubare) Zahl von Anwälten sich die Post in ein Fach einlegen lässt und dies für sie kostenlos ist, müssen andere Anwälte – egal aus welchem Ort – sich halt auch ein solches Postfach besorgen. Oder eben die Aktenübersendung aus eigener Tasche bezahlen.

Das Amtsgericht Köln folgt dieser Argumentation allerdings nicht:

Nach hiesiger Auffassung wäre es auch einem in Köln und somit am Prozessgericht ansässigen Rechtsanwalt nicht zumutbar, für jede Akteneinsicht die Akte am Prozessgericht abzuholen oder sie dort einzusehen. (Somit kann dies einem außerhalb des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt erst recht nicht zugemutet werden.)

Ich will jetzt nicht lamentieren, wie viel Zeit, Personal- und Materialkosten sowie Porto mich dieser Streit um 12 Euro gekostet hat. Es ist mir vielmehr eine Freude, dass der betreffende Kostenbeamte sich jetzt nach einer noch abenteuerlichen Begründung umsehen muss. Dafür zahle ich gerne drauf (Aktenzeichen 540 Ds 161/15).

In die deutsche Sprache übernommen

Der Bundesgerichtshof erweist sich nicht als Gralshüter der deutschen Sprache. Aus einem aktuellen Beschluss:

Das Landgericht hat durch die Verwendung weniger einzelner, ursprünglich aus der englischen Sprache stammender Begriffe (wie „Blow-Job“ oder „Doggy-Style“) bei der Wiedergabe der Aussagen der Nebenklägerin im Urteil nicht gegen § 184 GVG (i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO) verstoßen.

Dabei kann offenbleiben, ob die genannten Begriffe nicht ohnehin bereits in die deutsche Sprache übernommen worden sind, worauf der Generalbundesanwalt hinweist. Das aus § 184 GVG folgende Gebot, Urteile in deutscher Sprache sowie in verständlicher Form abzufassen, wäre allenfalls dann verletzt, wenn das Urteil wegen der Verwendung fremdsprachlicher Begriffe nicht mehr die durch § 267 StPO vorgegebenen Inhalte in einer nachvollziehbaren Weise darstellt.

Das ist angesichts der umfassenden Beschreibung der den Schuldsprüchen zugrunde liegenden sexuellen Handlungen des Angeklagten in deutscher Sprache offensichtlich nicht der Fall.

Ich wollte euch das nicht vorenthalten (Aktenzeichen 1 StR 625/17).

Mehr grün – vor der Radarfalle

Jeder(mann) soll ja im Leben mal ein Bäumchen pflanzen. Das haben Unbekannte jetzt erledigt, und zwar direkt vor dem mobilen Geschwindigkeitsmessgerät auf der B 51 bei Bitburg.

Die Fichte war mit dem gesamten Wurzelwerk fachmännisch eingepflanzt, wie die Bitburger Polizei anerkennend feststellt. Allerdings haben die Beamten den Baum dann doch entfernt. Was allerdings nichts daran ändert, dass nun alle Verkehrssünder ungestraft bleiben, seitdem die Anlage letztmalig inspiziert und kein Baum festgestellt wurde.

Auch wenn die Polizei von einem verfrühten „Hexennachtsscherz“ ausgeht, ermittelt sie jetzt schon noch, wer hinter der Aktion steckt.

Dämlich, pauschalisierend, herabsetzend

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes über Strafverteidiger:

Früher waren sie noch Organe der Rechtspflege, jetzt sind viele von ihnen eher Gehilfen der Angeklagten.

Man könnte ja auch mal ein paar billige Vorurteile über Richter sammeln. Von mir aus auch über Staatsanwälte, die der Herr Gnisa auch repräsentiert. Aber bitte mindestens ebenso dämlich, pauschalisierend und herabsetzend wie der Spruch, mit dem dieser Herr aus Bielefeld Stimmung macht. Ich vermute, bei diesen Vorgaben wird sich die Zahl der Kommentare in Grenzen halten.

Man merkt, ich bin echt ein wenig sauer, wie niveaulos die Debatte über die Zukunft des Rechtsstaats mittlerweile geführt wird.

Haftempfindlichkeit – keine Erfindung aus Zwickau

Dass Berufungsgerichte die Strafe eines Angeklagten mildern, kommt täglich vor. Schon allein deswegen, weil eine Strafschärfung in der Regel ausgeschlossen ist. Der rechtliche Grundsatz nennt sich „reformatio in peius“. Eine härtere Strafe kann das Berufungsgericht nur verhängen, wenn auch die Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten in Berufung gegangen ist – was allerdings relativ selten geschieht.

Schlagzeilen macht gerade ein Strafrabatt, den das Landgericht Zwickau gewährt haben soll. Die Strafe eines Algeriers, der in sieben Monaten sechs Straftaten begangen haben soll, wurde von dreieinhalb auf zwei Jahre gesenkt. Vorrangig, weil der Täter, der unter anderem einen Mann mit einem Messer erheblich verletzt haben soll, nun in der Berufungsinstanz seine Taten gestand.

Allerdings soll das Gericht die Strafe auch reduziert haben, weil beim Angeklagten eine „erhöhte Haftempfindlichkeit“ vorliege. Gegenüber einem Boulevardblatt soll der Richter diese Feststellung mit dem Hinweis erläutert haben, es gebe für den Angeklagten eine Sprachbarriere, da diesere kaum deutsch spreche.

Hier geht es um Fragen der Strafzumessung. Das ist ein ganz schwieriges, weil extrem schwammiges Gebiet. Die individuelle Strafe richtet sich nach der Schuld des Täters. Um diese Schuld zu bewerten, gibt § 46 StGB eine Gebrauchsanweisung. Diese beschränkt sich allerdings im Kern auf die Aufgabe, dass alle Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, abgewogen werden müssen. Ansonsten nennt das Gesetz nur einen Beispielkatalog von Punkten, die insbesondere zu berücksichtigen sind. Die Motive des Täters etwa, die Art der Tatausführung, die Folgen der Tat.

Genannt werden aber auch die „persönlichen Verhältnisse“. Dazu gehört zunächst mal völlig zu Recht auch die Frage, wie der Verurteilte eine Haftstrafe erleben wird. Die individuelle „Haftempfindlichkeit“ spielt gerade bei Menschen eine Rolle, die zum Beispiel erstmals in den Bau gehen. Für denjenigen ist das natürlich ein größerer Kulturschock als für einen abgeklärten Wiederholungstäter.

Ein gutes Argument für die Verteidigung liefert die Haftempflichkeit gerade in den Fällen, wo jemand zum ersten Mal in Untersuchungshaft gekommen ist. Da lässt sich dann – meist nachvollziehbar – gut damit argumentieren, dass die U-Haft für praktisch jedermann ein brutaler Warnschuss ist mit der Folge, dass man es vielleicht doch noch mal bei einer Bewährungsstrafe belassen kann.

Dass ein Angeklagter der deutschen Sprache nicht mächtig ist, muss das Gericht zwar beachten, aber hieraus lässt sich nicht zwingend ein Strafrabatt ableiten. Die Urteile zu diesem Thema fordern in der Regel etwas mehr als bloße Sprachunkenntnis. Gut möglich aber, dass der Vorsitzende der Berufungskammer eben genau diese weiteren Umstände bejaht hat und sie in sein Urteil reinschreiben wird.

Festhalten lässt sich mangels Details momentan nur, dass die Frage nach der Haftempfindlichkeit keine abstruse Erfindung des Landgerichts Zwickau ist. Vielmehr gehört diese zu den (fast) unzähligen Faktoren, die das Gericht bei einer Urteilsfindung im Auge haben muss.

Vielleicht muss man auch sehen, dass der Richter der Vorinstanz in Sachsen als „beinhart“ gilt (Bericht) und auch schon mal mit legeren, man könnte auch sagen ausländerfeindlichen Sprüchen auffällt. Gut möglich also, dass das Landgericht nun ein übertrieben hartes Urteil lediglich aufs Angemessene reduziert hat.

Umsatzsteuer-ABC für Rechtsanwälte

Zwölfeinhalb sehr nützliche Seiten Papier kommen in diesen Tagen von der Bundesrechtsanwaltskammer. Der Kammerausschuss Steuerrecht hat für Rechtsanwälte zusammengefasst, was diese bei der Umsatzsteuer beachten müssen.

Behandelt werden in den Hinweisen unter anderem die Mindestanforderungen an Anwaltsrechnungen, die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bei Reise-, Übernachtungs- und Bewirtungskosten und organisatorische Fragen, etwa zur Aufbewahrung von Rechnungen.

Mir ist noch etwas schwindelig vom Lesen. Denn wenn man wirklich alles haarklein beachtet, was so vorgeschrieben zu sein scheint, kann man als selbständiger Anwalt Mandanten wahrscheinlich nur noch im Nebenerwerb betreuen. Die meiste Arbeitszeit geht dann für die Ausarbeitung der perfekten Rechnung drauf.

Hier geht es zum Leitfaden.

„Gesocks“ darf man nicht sagen

Gerade in den Social Media wird der politische Meinungskampf durchaus etwas robuster geführt. Das Landgericht Koblenz zeigt jetzt allerdings auf, dass der Ehrenschutz auch auf Facebook eine Rolle spielt – und die Hürden für eine Beleidigung dort auch nicht wesentlich höher hängen als anderswo.

Ein AfD-Funktionär hatte gegen einen Facebook-Eintrag geklagt, in dem er als „blaunes Gesocks“ bezeichnet wurde. Das Landgericht Koblenz sieht trotz des Wortspiels eine glasklare Beleidigung. Bei der Äußerung stehe klar die Diffamierung im Vordergrund, somit liege ein unzulässige Schmähkritik vor. Die Richter bestätigen deshalb ein Urteil des Amtsgerichts Koblenz (Aktenzeichen 13 S 29/17).

14-Uhr-Fragen

Gar nicht so selten erhalten Anwälte ihr Honorar aus der Staatskasse. Als Pflichtverteidiger etwa. Die Vergütung ist starr geregelt. Es gibt fest Sätze. Diese staffeln sich nach dem Gericht, an dem man tätig ist. Für eine Verteidigung vor einer Strafkammer gibt es zum Beispiel mehr als für ein Mandat am Amtsgericht. Es gib auch eine Art Erfolgshonorar, wenn durch segensreiche Ausführungen des Rechtsanwalts eine Hauptverhandlung entbehrlich wird.

Daneben spielt auch der Zeitaufwand eine Rolle. So kriegt man als Pflichtverteidiger für einen normalen Verhandlungstag am Landgericht 312,00 € netto als sogenannte Terminsgebühr, wenn der Mandant inhaftiert ist. Dauert die Hauptverhandlung an dem Tag aber länger als fünf Stunden, gibt es noch einen Zuschlag. Dieser beträgt 128,00 €. Ab acht Stunden Verhandlungszeit verdoppelt sich der Zuschlag.

Wenn man als Strafverteidiger etwas betriebswirtschaftlich denkt, was man wohl muss, um langfristig klarzukommen, horcht man bei diesen Vorgaben natürlich etwas auf, wenn für den Verhandlungstag Folgendes angekündigt ist: Beginn der Sitzung um 9 Uhr, Dauer wegen anderer Verpflichtungen des Gerichts bis maximal 14 Uhr.

Erraten? In diesem Fall wäre es für den Pflichtverteidiger natürlich misslich, wenn die Sitzung schon um 13.59 Uhr geschlossen wird. Dann gibt es keinen Zuschlag. Aber so was passiert dann natürlich nicht, gerade wenn in der Verhandlung gleich zehn Anwälte sitzen.

Genau so war es dieser Tage: Das Gericht war schon um 13.54 Uhr mit seinem Programm durch. Aber es war sicher kein Zufall, dass von Seiten der Verteidiger noch einige Dinge zu klären bzw. zu erfragen waren. Haben sich Änderungen im Zeugenplan ergeben? Ist eine Ankündigung, die das Gericht vor einiger Zeit gemacht hat, noch aktuell? Dann fehlten einem Anwalt noch ein paar Unterlagen, die er gerne nachgereicht hätte.

Schwupps war es 14.02 Uhr, bis dann wirklich die Klappe fiel. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass der Protokollführer richtig auf die Uhr geguckt hat, als er das Sitzungsende notierte. Auf das, was später im Protokoll steht, kommt es nämlich an.

An der Jacke gezogen -> Jacke kaputt -> Straftat

Manche Freisprüche kann man vorher erschnuppern. Zum Beispiel jenen, den ich heute für meinen Mandanten abholen durfte. Kurz gefasst, ging es um eine Schlägerei auf dem Schulhof. Wobei mein Mandant sich daran nicht unmittelbar beteiligte, aber einem der Kontrahenten an der Jacke gezogen haben soll; die Jacke zerriss. Die Anklage lautete also auf Sachbeschädigung.

Nun konnte man schon den Vernehmungen bei der Polizei ziemlich übereinstimmend Folgendes entnehmen: Mein Mandant hat zwar mal an einen der Beteiligten angefasst, der sich im Schwitzkasten eines anderen befunden haben soll. Aber eben nicht, um ihn zu hauen. Oder um seine Jacke kaputt zu machen. Sondern um ihn von dem attackierenden Schüler wegzuziehen, also wohl in streitschlichtender Absicht.

Die Anklage ignorierte das und reduzierte den Vorwurf auf: „An der Jacke gezogen -> Jacke kaputt -> Straftat“. Aber so einfach ist es dann halt doch nicht. Schon wegen des Vorsatzes, den man für eine Sachbeschädigung haben muss. Die fahrlässige Sachbeschädigung ist halt nun mal nicht strafbar.

Immerhin gab es dann in der Hauptverhandlung um diesen Punkt wenigstens keine großen Emotionen. Die Staatsanwältin, welche die Anklage nicht selbst verfasst hatte, plädierte auf Freispruch. Und zwar mit genau den Gründen, die an sich schon ganz früh im Verfahren zu einer Einstellung mangels Tatverdachts hätte führen müssen. Ich brauchte mich ihren Worten nur anzuschließen. Das kommt auch nicht alle Tage vor.

Notebook-Verbot für Anwälte

Vorläufig gescheitert ist eine Amtsrichterin in Cottbus mit einem merkwürdigen Ansinnen. Sie schreibt Verteidigern in die Ladung:

Die Nutzung elektronischere Medien in der Hauptverhandlung ist nicht gestattet.

Gemeint ist damit wohl, dass der Verteidiger kein Notebook, Tablet oder Smartphone während der Verhandlung in Betrieb nehmen darf. Getrieben wird die Richterin von diffusen Sicherheitsbedenken, wohl insbesondere von der Furcht, der Verteidiger könne Ton- oder Bildaufnahmen fertigen.

Das jedenfalls kann man dem Beschluss entnehmen, mit dem das Landgericht Cottbus auf den Antrag eines betroffenen Anwalts die Anordnung wieder aufhebt. Aus der Entscheidung:

Nach diesen Maßstäben verfolgt die angefochtene Maßnahme, die das Verhalten des Verteidigers im Sitzungssaal im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung regelt, keinen zulässigen sitzungspolizeilichen Zweck, denn sie beruht auf keinem konkreten Anlass.

Vielmehr sollen unerlaubte Ton- und Bildaufnahmen in der Hauptverhandlung ganz allgemein unterbunden werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für solche unerlaubten Aufnahmen durch den Verteidiger gegeben sind. Solchermaßen ist die Verfügung Ausdruck unbestimmter Sicherheitsbedenken oder eines allgemeinen Misstrauens gegen Verteidiger, ohne Rücksicht darauf, ob im konkreten Fall die Ordnung der Sitzung tatsächlich gefährdet ist. Ohne solch einen konkreten Anhaltspunkt für den Missbrauch des Laptops zu unerlaubten Ton- oder Bildaufzeichnungen ist eine Untersagung des Benutzung des Laptops unzulässig.

Der Anwalt hatte darauf hingewiesen, dass in seiner Kanzlei seit 2005 ausschließlich eine digitale Akte geführt wird. Die Arbeitsweise in der Kanzlei sei standardisiert nach DIN 9001. Die Anordnung des Gerichts bedeute neben dem Verstoß gegen die zertifizierte Arbeitsweise in der Kanzlei nach der Hauptverhandlung eine zusätzliche Mehrarbeit durch die Übertragung der Mitschriften vom Papier in digitale Form; das behindere ihn an der Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit.

Darüber hinaus steht die elektronische Gerichtsakte vor der Tür. Viele Staatsanwaltschaften und Gerichte versenden Akten heute nur noch digital. Auch darüber hinaus kann man einem Verteidiger heute kaum noch ernsthaft zumuten, in der Verhandlung auf juristische Informationssystem zu verzichten, die Zugang zu Urteilen, Kommentaren und Aufsätzen ermöglichen.

Ergänzend möchte ich anmerken, dass es mitunter auch todlangweilige Verhandlungen gibt. Etwa wenn stundenlang Dokumente verlesen werden, die man als Anwalt ohnehin schon kennt. Da kann es auch nicht schaden, wenn man zwischendurch schon mal Mails checken oder nach einem neuen Blogthema Ausschau halten kann. Aber das bleibt natürlich unter uns.

Link zum Beschluss des LG Cottbus / RA Detlef Burhoff zum gleichen Thema

Gericht: Keine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung

Vorratsdatenspeicherung reloaded – daraus wird erst mal nichts. Obwohl in Deutschland an sich eine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung (wieder) besteht, müssen Telekommunikationsanbieter wie die Telekom Verbindungsdaten ihrer Kunden derzeit nicht speichern. Das hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden.

Die Kölner Richter sehen es in dem aktuellen Beschluss ebenso wie schon das Oberverwaltungsgericht Münster. Danach sind die Regelungen zur aktuellen Form der Vorratsdatenspeicherung nicht mit Europarecht vereinbar. Das Verwaltungsgericht verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine nationale Regelung unwirksam ist, die für die Strafverfolgung eine eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer für alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsehe.

Genau das erfolge bei der Vorratsdatenspeicherung. Das OVG Münster hatte bereits festgestellt, die Speicherpflicht verletze die Firmen in ihrer unternehmerischen Freiheit, die durch Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt sei.

Im Ergebnis sind beide Gerichte der Auffassung, das deutsche Recht müsse derzeit nicht beachtet werden. Die Deutsche Telekom hatte geklagt, um dies ausdrücklich bescheinigt zu erhalten. Hintergrund dürfte auch sein, dass Ermittlungsbehörden den Anbietern schon mit Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung drohen, wenn diese keine Verbindungsdaten speichern.

Frist verbummelt – oder auch nicht

In einem Verfahren geht es darum, ob eine Frist eingehalten oder (möglicherweise) verbummelt wurde. Immer mal wieder ein schöner Anlass, nicht voreilig den Kopf in den Sand zu stecken. In solchen Fällen empfiehlt sich die Frage: Wurde die Gerichtsentscheidung überhaupt korrekt zugestellt?

Ich schaue mir also die bislang vorliegenden Zustellungsunterlagen an, das ist derzeit lediglich der gelbe Briefumschlag, in dem die Entscheidung ihren Weg zum Mandanten gefunden hat. Was dürfen meine müden Augen auf dem Umschlag erspähen:

Bis zum 02.10.2018 ist es ja noch etwas hin. Das Datum hat der Zusteller also grandios falsch notiert. Das ist keine Bagatelle. Denn interessanterweise regelt § 180 ZPO, dass das Datum der Zustellung zwingend auf dem Briefumschlag zu vermerken ist. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Ordnungsvorschrift, die man auch mal ignorieren darf. Vielmehr ist die Zustellung ohne die – korrekte – Angabe des Datums auf dem Briefumschlag nicht wirksam. Das hat zum Beispiel der Bundesfinanzhof im Jahre 2015 entschieden.

Es kommt demnach nicht nur auf die Zustellungsurkunde an, die ja an den Auftraggeber der Zustellung (hier: das Gericht) zurückgeschickt wird. Sondern halt auch auf die korrekten Angaben auf dem Briefumschlag.

Nun könnte man argumentieren, bei dem 02.10.2018 handele es sich ja erkennbar um eine ans Englische orientierte Datumsangabe. Gemeint sei ersichtlich der 10.02.2018. Die Annahme wird natürlich dadurch begünstigt, dass es den 02.10.2018 noch nicht gegeben hat.

Allerdings scheint mir dieses Argument nicht zugkräftig. Zum einen dienen Zustellungen ja dazu, um Rechtssicherheit zu erzeugen. Mit Vermutungen, Interpretationen und dem, was wir Juristen Auslegung nennen, wird man da nur schwer weiterkommen. Bei uns ist die Amtssprache deutsch (ich freue mich, dies einmal mit Nachdruck betonen zu dürfen). Das Deutsche kennt die Schreibweise nun mal definitiv nicht, bei der der Monat vor dem Wochentag kommt. Sicher gibt es da auch DIN-Vorschriften oder ähnliches, die muss ich mal in Ruhe raussuchen.

Ein anderer Punkt erscheint mir ohnehin gewichtiger: Solchen Zustellungsurkunden wohnt der Glaube ihrer Richtigkeit inne (§ 415 ZPO). Das heißt, was drauf steht, wird erst mal als richtig unterstellt und ein Gegenbeweis ist kaum möglich.

Was ist denn, wenn die fraglichen Dokumente einem Richter erst später vorgelegt werden, sagen wir im Juni 2019? Der Richter kann alleine anhand der Urkunden dann ja schlecht auf das Argument zurückgreifen, der 02.10.2018 sei noch nicht gewesen. Im Gegenteil: Wegen des öffentlichen Glaubens der Urkunde läge dann möglicherweise sogar die Beweislast beim Empfänger, dass er das Schreiben nicht am 02.10.2018 erhalten hat.

Nach meiner Meinung ist die Frist mangels wirksamer Zustellung gar nicht in Lauf gesetzt worden. Mal schauen, wie es die Gerichte sehen – vielleicht ja auch erst im Jahr 2019.

Abstoßende Rituale beim Kölner SEK

Sie wurden mit Handschellen eine Nacht lang aneinander gefesselt, mussten Tauchermasken tragen, in die Bier eingefüllt wurde, und sie mussten eklig schmeckendes Eis vom Oberschenkel eines Kollegen schlecken: Mit diesem Aufnahmeritual feierten Beamte eines Kölner Sondereinsatzkommandos das Ende der informellen Probezeit zweier Kollegen.

Das Ganze hatte jetzt ein juristisches Nachspiel. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf bestätigte Geldbußen von 200 bzw. 300 Euro gegen drei der Beamten. Diese hätten gegen die Pflicht zur Kollegialität verstoßen, indem sie den jungen Kollegen dieses entwürdigende Verhalten zumuteten.

Das Verwaltungsgericht betont, es komme nicht darauf an, ob die Betroffenen mit dem Ritual einverstanden waren. Freiwilligkeit sei hier kein Kriterium. Im Gegensatz übrigens zur strafrechtlichen Wertung der Sache. Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte eine Strafbarkeit der Verantwortlichen unter anderem mit dem Hinweis verneint, die jungen Kollegen seien ja zu nichts gezwungen worden (Aktenzeichen 35 K 10700/16.O, 35 K 10458/16.O und 35 K 9371/16.O).

Strafvollstreckung mit Hindernissen

Es kommt nicht alle Tage vor, dass Justizbehörden Fehler einräumen. In Mönchengladbach ist das jetzt – womöglich notgedrungen – der Fall. Es geht um den Fall des Mannes, der in einem Fanzug eine Frau vergewaltigt haben soll. Obwohl er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt war, verzögerte sich sein Haftantritt – wegen der Bearbeitung diverser Kosten- und Akteneinsichtsanträge.

Am 29.11.2017 wurde das Strafurteil gegen (Name entfernt) rechtskräftig. Dann dauerte es erst mal einen Monat, bis das Landgericht und das Amtsgericht die Rechtskraftvermerke erteilten, die für eine Vollstreckung der Strafe erforderlich sind. Nachdem die Bescheinigungen vorlagen, ging die Akte allerdings nicht an die Staatsanwaltschaft zurück, die (Name entfernt) an sich zum Strafantritt hätte laden müssen.

Die Akte blieb vielmehr beim Amtsgericht Mönchengladbach. Dort begannen die Mitarbeiter Anträge abzuarbeiten. Darunter auch diverse Kostenanträge, zum Beispiel vom Pflichtverteidiger des Angeklagten, womöglich auch von Nebenklagevertretern und Sachverständigen. Außerdem hatte der Landschaftsverband Rheinland noch Akteneinsicht beantragt; das Tatopfer hatte dort Opferentschädigung geltend gemacht. Die Daten ergeben sich aus einer Pressemitteilung, welche das Landgericht Mönchengladbach veröffentlichte.

Bis die Staatsanwaltschaft wegen des Vorfalls im Fanzug die Akte zurückforderte, befand diese sich also beim Amtsgericht Mönchengladbach. Mehr als drei Monate, in denen in Richtung Strafantritt schlicht nichts passierte. Und wäre es nicht zu der neuen Tat gekommen, hätte die Akte womöglich noch länger beim Amtsgericht gelegen. Das Gericht räumt ein, es seien noch längst nicht alle Anträge bearbeitet.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass so ein Ablauf keineswegs ungewöhnlich ist. Kaum ein Verurteilter erhält seine Ladung zum Strafantritt im Blitztempo. Zwei bis drei Monate sind schon der Regelfall. Die vier Monate wie im Fall des (Name entfernt) sind auch nicht ungewöhnlich.

Ein wie auch immer geartetes Controlling der Ladungszeiten gibt es bei der Justiz offenbar nicht. Von Seiten der Verurteilten ist naturgemäß in der Regel auch kaum damit zu rechnen, dass diese auf ihren Strafantritt drängeln. Ich habe es bisher nur ganz selten erlebt, dass jemand schneller in Haft möchte, als er unbedingt muss.

In Mönchengladbach will man jetzt die Prioritäten anders setzen. Strafvollstreckung soll dort Vorrang vor Kostenanträgen etc. haben. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, es endlich zu ermöglichen, dass mehrere zuständige Stellen gleichzeitig an einem Vorgang arbeiten können. So lange aber an der Papierakte festgehalten wird und von dieser grundsätzlich auch nur ein Exemplar im Umlauf sein soll, das ständig hin- und hergekarrt wird, bleibt das Verfahren schwerfällig.