Es ist immer wieder interessant, wenn man im Strafprozess nicht der einzige Anwalt im Saal ist. Auf der einen Seite kann man oft was daraus lernen, wie die Kollegen agieren. Und reagieren. Das geht über konventionelle Verteidigungstaktik und juristische Fachfragen hinaus, jedenfalls in einem aktuellen Fall.
Da sitze ich mit etlichen Anwälten unterschiedlichsten Temperaments und den verschiedensten Grundhaltungen in einer Hauptverhandlung. Die wird noch einige Zeit dauern und ist einer der Gründe, warum es momentan mitunter etwas ruhig im law blog ist. Im Gericht gibt es aber genug Zeit für Feldstudien. Ein Kollege, das Gericht würde wahrscheinlich von einem „Konfliktverteidiger“ sprechen, legt zum Beispiel immer mal wieder geschickt Stöckchen aus. In der Hoffnung, dass das Gericht darüber springt.
Sein jüngster „Coup“: Er erhob sich nach der Mittagspause nicht, als das Gericht wieder den Saal betrat. Keine große Sache, sollte man meinen. Aber halt nicht bei einem Gericht, das erkennbar Wert auf solche Respektsbezeugungen legt. Kaum blieb der Anwaltskollege demonstrativ sitzen, machte sich auf der Richterbank deutliche Empörung breit. Diese mündete in der Anordnung, das Verhalten des mutmaßlich unbotmäßigen Anwalts im Klassenbuch, bei Gericht spricht man vom Protokoll, zu vermerken.
Da fragt man sich nur, warum so was ins Verhandlungsprotokoll gehören sollte. Natürlich nicht, um später Fleißkärtchen zu verteilen. Sondern es geht hier offenbar darum, die Grundlage für eine spätere Disziplinierung des Verteidigers zu schaffen.
Dumm halt nur, dass der Anwalt gar nichts Falsches gemacht hat. Mittlerweile ist juristisch nämlich ziemlich eindeutig geklärt, dass es eine Pflicht zum Aufstehen nur gibt, wenn die Sitzung beginnt, Zeugen oder Sachverständige vereidigt werden oder wenn ein Urteil verkündet wird. Mit dem „Sitzungsbeginn“ ist immer der Beginn des betreffenden Verhandlungstages gemeint. Es genügt also 1 x Aufstehen pro Tag.
Ein Anwalt, der sich nach der Mittagspause nicht erhebt, verhält sich also nicht ungebührlich gegenüber dem Gericht. Auch nicht, wenn er ausdrücklich zum Aufstehen aufgefordert wird. Denn das ist ja dann nur eine höfliche Bitte, weil es keine juristische Grundlage für eine solche neuerliche Geste nach Beginn der Sitzung gibt.
Klar, man kann das Verhalten des Anwalts als kindisch empfinden. Ich persönlich habe normalerweise keine Probleme damit, beim wiederholten Einzug von Richtern aufzustehen, wenn diese erkennbar Wert darauf legen. So lange auf meine Marotten fair Rücksicht genommen wird oder zumindest das Verhandlungsklima nicht durch das Gericht vergiftet wird, kann ich auch mal solchen Befindlichkeiten auf der Richterbank genügen. Einen Einfluss auf die Rechtsfindung hat das ja ohnehin ebenso wenig wie die Frage, ob Gericht, Staatsanwalt und Anwälte sich allmorgendlich in schwarze Kutten hüllen.
Eher witzig bleibt am Ende der Umstand, dass letztlich das Gericht selbst ist, welches dem Anwaltskollegen zu seinem kleinen Triumph verhilft. Statt über das (juristisch zulässige) Sitzenbleiben des Anwalts hinwegzusehen, wird dessen Verhalten im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten. Dadurch agiert das Gericht unsouverän und gibt sich eine deutlich sichtbare Blöße. Und genau darum geht es ja den Kollegen, die auch mal ohne begründeten Anlass den Konflikt mit dem Gericht suchen. Ein Gericht, das sich provozieren lässt, handelt halt auch in irgendeiner Form unbedacht. Bis zu einem Befangenheitsantrag ist es dann möglicherweise nicht mehr weit.
Also: Mission accomplished. Ob’s am Ende wirklich was hilft, gerade dem Angeklagten, ist natürlich eine ganz andere Frage.