Das OLG Celle hat entschieden, dass der ehemalige SS-Buchhalter Oskar Gröning, der wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden ist, seine Haftstrafe antreten muss.
Der 96-jährige Oskar Gröning war am 15.07.2015 vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Gröning beantragte wegen seines Gesundheitszustandes Vollstreckungsaufschub, scheiterte jetzt aber in letzter Instanz vor dem Oberlandesgericht.
Das Gericht geht auf der Basis eingeholter Sachverständigengutachten davon aus, dass der Verurteilte trotz seines hohen Alters vollzugstauglich ist. Es verstoße auch nicht gegen Grundrechte des Verurteilten, ihn in den Strafvollzug aufzunehmen. Bei Abwägung der Rechte des Verurteilten mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, überwiege letzteres. Es sei die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen zu schützen und die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten zu gewährleisten. Den besonderen Bedürfnissen des Verurteilten aufgrund seines hohen Alters könne durch entsprechende Vorsorge im Vollzug Rechnung getragen werden, heißt es in dem Beschluss.
Was die Aufarbeitung der KZ-Greuel und des gesamten NS-Erbes anbetrifft, haben sich die erwähnten „staatlichen Institutionen“ seit Gründung der Bundesrepublik nicht gerade durch übertriebenen Eifer hervorgetan. Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass über Jahrzehnte hinweg gerade keine ernsthaften Versuche unternommen wurden, das damalige Unrecht konsequent aufzuarbeiten. Die weitaus meisten (Haupt-)Täter sind wohlversorgt verstorben, viele blickten noch auf eine schöne Karriere im öffentlichen Dienst zurück.
Ich persönlich empfinde es vor dem Hintergrund dieser offenkundigen Versäumnisse verfehlt, das damalige Wegschauen nun durch übertriebene Härte gegenüber einem fast Hundertjährigen zu kompensieren. Das Vertrauen in den Rechtsstaat lebt auch davon, dass der Staat Augenmaß zeigt, nicht in Extreme verfällt und damit sein menschliches Antlitz verliert.
Angeblich, so das Gericht schneidig, muss mit der Vollstreckung das „Vertrauen in die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten“ geschützt werden. So eine Aussage empfinde ich als heuchlerisch. Jeder andere kranke 96-Jährige hätte gute Aussichten, dass er eine vierjährige Haftstrafe nicht antreten muss – wenn es es sich nicht um eine mit Konzentrationslagern konnotierte Straftat handelte. Gerade auch deswegen, weil die Tat mehr als ein dreiviertel Jahrhundert zurückliegt. Das weiß jeder Richter, Staatsanwalt und Anwalt, der auch nur ab und zu mit solchen Fällen betraut ist. Aber auch Nichtjuristen wissen zu deuten, welche Signale der Staat aussendet. Hier ist es definitiv das Falsche (Aktenzeichen 3 Ws 491/17).