In Baden-Württemberg dürfen kleinere Gaststätten ihren Gästen das Rauchen erlauben, wenn in dem Lokal nur „kalte Speisen einfacher Art zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht“ werden. Was aber ist, wenn sich Gäste die Pizza von einem Lieferdienst in die Kneipe bringen lassen? Diese Frage hat jetzt das Oberlandesgericht Karlsruhe ganz im Sinne hungriger Gaststättenbesucher beantwortet – und eröffnet so womöglich ein Schlupfloch im ewigen Streit zwischen Rauchern und Nichtrauchern.
Im entschiedenen Fall hatten sich mindestens vier Gäste „Pizzen mit Salatbeilage“ ins Lokal liefern lassen. Der Gastwirt stellte ihnen auf Wunsch Essbesteck zur Verfügung. Für die Ordnungsbehörde ein klarer Verstoss gegen den Nichtraucherschutz, der mit einem Bußgeld zu ahnden ist. Das Oberlandesgericht Karlsruhe zieht jedoch wirklich alle Register für eine saubere juristische Begründung des Gegenteils.
Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Pizza nicht möglicherweise eine „kalte Speise einfacher Art“ ist. Diese kalte Speise wäre auch in einer Raucherkneipe erlaubt. Dazu erklären die Richter erst mal, was man unter einer kalten Speise einfacher Art verstehen darf:
Belegtes Brot oder Brötchen, Sandwiches, Butterbrezeln, kalte Frikadellen mit Salzgurken, kalte Kasseler, Sülzen mit Senf, Dauerwurst und andere kalte Räucherwaren, (Wurst- oder Käse-)Salate, Käse, kalte gekochte Eier, einfaches kaltes Gemüse, kalte Backwaren, Konserven, Konfitüren, Salzgebäck, Kekse und ähnliches.
Der Salat fällt da noch drunter, sagen die Richter. Bei der Pizza tun sich die Juristen allerdings schwer. Sicherheitshalber erklären sie aber vorab, was eine Pizza ist:
(Bei einer Pizza) handelt es sich um eine – meist heiß servierte – aus dünn ausgerolltem und mit Tomatenscheiben, Käse u.a. belegtem Hefeteig gebackene pikante italienische Spezialität (Duden, Stichwort „Pizza“). Mangels gegenteiliger Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Pizzen entsprechend den ganz üblichen Liefer- und Verzehrgewohnheiten jedenfalls noch im warmen Zustand angeliefert worden waren, sodass es sich bei diesen nicht um eine „kalte“ Speise gehandelt hat.
Damit war der Wirt aber noch nicht überführt. Das Gaststättengesetz fordert nämlich, dass er die Speisen „verabreicht“. Das Gericht betreibt hier intensive Sprachkunde:
Der Begriff des „Verabreichens“ bedeutet als transitives Verb „jemandem etwas (eine Substanz) zu essen, zu trinken, zum Einnehmen o. Ä. geben, damit dieser es einnimmt“ (Duden, Stichwort „verabreichen“; www.wortbedeutung.info, Stichwort „verabreichen“). Der Wortsinn ist daher enger als der – übergeordnete – allgemeinere Begriff „geben“ (www.wortbedeutung.info aaO). Dies zeigt sich auch an den Synonymen zu dem Verb „verabreichen“, bei denen es sich um „einflößen“, „(ein)geben“, (Medizin) „applizieren“ und „verabfolgen“ handelt (Duden aaO). Angesichts dessen wurde durch die bloße Übergabe des Bestecks an die Gäste, das lediglich als „Esshilfe“ Verwendung finden sollte, keine (warme) Speise verabreicht.
Und weiter:
Der Fall ist vergleichbar mit der Abgabe heißen Wassers durch den Wirt an einen Gast, welcher sich sodann unter Verwendung von ihm selbst mitgebrachter Teebeutel oder mitgebrachten Kaffeepulvers ein heißes Getränk zubereitet; hierdurch wird kein Getränk „verabreicht“, weil der Gast die Art des Getränkes bestimmt und nicht der Wirt (Erbs/Kohlhaas/Ambs, GastG, 215. EL Juni 2017, § 1 Rn. 13).
Also hat der Wirt die Fremdesser in seinem Lokal geduldet, aber gleichwohl nichts im Sinne des Gesetzes verabreicht. Zumal das Gericht ergänzend darauf hinweist, dass das Besteck möglicherweise nur erbeten wurde, um den Salat essen zu können. Auch hier verweisen die Richter, offensichtlich gestählt durch eigene Sachkunde, auf die einschlägigen Gepflogenheiten bei Bringdiensten:
Durch Pizzalieferdienste überbrachte Pizzen (sind) üblicherweise bereits vorgeschnitten, so dass man bei diesen zum Verzehr nicht auf Besteck angewiesen ist.
Der Wirt freut sich über einen Freispruch (Aktenzeichen 2 Rb 8 Ss 606/17).