Anwälte fordern einen Maulkorb für andere Anwälte. Und werben damit indirekt für die Beschränkung eigener Rechte. Das gibt es selten. Aber der NSU-Prozess war schon immer für Überraschungen gut, warum auch für eine in diese unerfreuliche Richtung?
Gestern versuchte Wolfgang Stahl, ein Pflichtverteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe, einen Nebenklägeranwalt zum Schweigen zu bringen. Nicht in irgendeiner Phase des Prozesses. Sondern während des Schlussplädoyers, für das dem Nebenklägeranwalt das Wort erteilt worden war. Eher allgemeine (Vor-)Bemerkungen des Anwalts zum Thema Rassismus (man kann sie hier nachlesen) brandmarkte Stahl als „politische Rede“, die im Gerichtssaal nichts verloren habe und die er untersagt haben wollte.
Zu einem Schlussvortrag im Strafprozess haben nicht nur die Anklage und die Verteidigung das Recht. Sondern auch die Vertreter der Nebenkläger. Das Plädoyer ist so was wie ein geschützter Raum. So lange er spricht, hat der Plädierende das Wort. Und die anderen hören zu. Ich persönlich habe erzwungene Unterbrechungen bei einem Plädoyer bislang nur in wenigen Fällen erlebt. Die weitaus meisten ergaben sich daraus, dass ein Verfahrensbeteiligter eine Pinkelpause brauchte. Einmal erlitt ein Schöffe einen Herzinfarkt, das war weniger erheiternd.
Wenn der Vorsitzende so was mit Wolfgang Stahl oder einem der anderen Verteidiger veranstaltet hätte, wäre deren Proteststurm mehr als einer im Wasserglas gewesen. Und das völlig zu Recht, denn offensichtlich hat der Nebenklägeranwalt ja nicht die Lottozahlen der letzten 15 Jahre verlesen (was mangels jedes Sachbezugs womöglich tatsächlich unzulässig wäre). Und wo führte es denn hin, wenn Gerichte den Schlussvortrag gerade auch des Angeklagten mit der Austaste fürs Mikrofon steuern dürften? Jedenfalls keinen Schritt in Richtung eines rechtsstaatlichen Verfahrens.
Das Gericht hat in der Situation völlig richtig und souverän reagiert. Beim Plädoyer im Strafprozess gelte ein „größtmöglicher Freiraum“, deshalb durfte der Nebenklägeranwalt weiter reden. Eigentlich schade, dass ein Gericht ausgerechnet einen Anwalt hierüber belehren muss.