Sommerpause

Das law blog macht eine Sommerpause. Ab dem 7. September geht es weiter.

Lesern, die trotzdem mal vorbei schauen wollen, möchte ich einen Blick ins Archiv empfehlen. Dort finden sich alle Beiträge aus mittlerweile mehr als 13 Jahren.

Auch Reichsbürger dürfen Auto fahren

Bloß weil das Straßenverkehrsamt einen Autofahrer in der „Reichsbürgerbewegung“ verortet, darf diesem nicht die Fahrerlaubnis entzogen werden. Die Stadt Freiburg hatte von einem mutmaßlichen Reichsbürger verlangt, dass dieser ein psychiatrisches Gutachten vorlegt. Als der Mann dies verweigerte, wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Diese Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Freiburg in einem Eilverfahren korrigiert.

Die Stadt Freiburg machte geltend, der Betroffene habe in mehreren schriftlichen Erklärungen bei der Polizei erklärt, er gehöre zur Reichsbürgerbewegung, deshalb erkenne er die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland nicht an. Er sehe es – so die Interpretation der Stadt Freiburg – als sein Recht bzw. seine Pflicht, sich gegen Maßnahmen des Staates notfalls mit Gewalt zur Wehr zu setzen. Außerdem sei er bei einer Durchsuchung, bei welcher der Führerschein seiner Tochter beschlagnahmt wurde, nicht nur als querulatorisch wahrgenommen worden. Vielmehr deute sein Verhalten auf einen Realitätsverlust hin.

„Abwegige und abstruse Äußerungen“ zum deutschen Staat und Widerspruch gegen staatliche Maßnahmen reichen jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht aus, um an der Fahreignung einer Person zu zweifeln. Die Stadt Freiburg benenne kein Vorkommnis, bei dem der Betroffene tatsächlich gegen geltendes Recht verstoßen habe. Bei der Durchsuchung habe er zwar protestiert, aber letztlich sogar selbst seine aufgebrachte Tochter beruhigt und dafür gesorgt, dass diese ihren Führerschein freiwillig rausgibt.

All dies zeige, so das Gericht, dass der Betroffene zwar die Gültigkeit von Normen und Behördenmaßnahmen zwar verbal in Frage stellt, sich aber jedenfalls bisher trotzdem an die geltenden Regeln gehalten hat. Insbesondere habe er bislang auch nicht nennenswert gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Der Mann darf zunächst weiter fahren; die Stadt Freiburg kann gegen die Entscheidung Beschwerde einlegen (Aktenzeichen 4 K 4224/17).

Immer erst von hinten lesen

Wenn ich Behördenakten lese, fange ich immer hinten an. Kann ja sein, dass sich seit Beginn des Verfahrens schon was Relevantes ereignet hat. Es wäre übel, nach anderthalb Stunden Lektüre festzustellen, dass der Staatsanwalt das Verfahren schon von sich aus eingestellt hat. Zum Beispiel mangels Tatverdachts.

Außerdem lehrt die Erfahrung, dass mit zunehmender Dicke der Akten die Zahl der Zusammenfassungen steigt. Das können Ermittlungsberichte sein. Oder Aktenvermerke des Staatsanwalts. Oder auch ein Gutachten. Wenn man das schon mal kennt, fällt es natürlich leichter, später Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

Allerdings ist es manchmal auch ganz sinnvoll, gleich an den Anfang einer Akte zu springen. Was ich heute gemacht habe, als ich las, dass eine Bußgeldbehörde gegen einen Mandanten Erzwingungshaft beantragt hat. Der Gute, nennen wir ihn Willi Müller, soll ein Bußgeld von 4.000 Euro nicht bezahlt haben. Die Geldbuße war durch einen Bußgeldbescheid festgesetzt worden.

Der Bußgeldbescheid auf Seite 1 der Akte lautete aber gar nicht auf Willi Müller. Er war vielmehr gerichtet an „Willi Müller Landschaftsbau GmbH“. Auch im Vorfeld hatte die Bußgeldbehörde Post immer nur an die Willi Müller Landschaftsbau GmbH geschickt. Zugestellt wurde der Bußgeldbescheid auch an der Firmenadresse der Willi Müller Landschaftsbau GmbH.

Die Firma gab es tatsächlich mal. Mein Mandant war auch Geschäftsführer. Allerdings führt ein Bußgeldbescheid gegen eine GmbH keineswegs automatisch zu einer Haftung des Geschäftsführers. Wenn der Geschäftsführer selbst in Anspruch genommen werden soll, muss das eindeutig erkennbar sein. Zum Beispiel, in dem er selbst angehört wird. Und indem sich der Bußgeldbescheid auch erkennbar gegen ihn persönlich richtet.

Kurz gesagt: Gegen meinen Mandanten persönlich ist nie ein Bußgelbescheid ergangen. Dementsprechend gibt es auch keine Grundlage für eine Vollstreckung gegen ihn. Interessant ist nur, dass dies bei der Bußgeldbehörde über die Jahre niemandem aufgefallen ist. Das mag daran liegen, dass ein Abteilungsleiter mal handschriftlich vermerkt hat: „Geschäftsführer = Zahlungspflichtiger“. Aber durch einen Federstrich lässt sich ein Bußgeldbescheid nicht reparieren, selbst wenn man ein hohes Tier im städtischen Rechtsamt ist.

Allerdings ist es durchaus spannend, ob das Amtsgericht meiner Argumentation folgt. Immerhin konnte ich meinen Ausführungen Kopien einiger Urteile beilegen, die in solchen Fällen deutlich zwischen der Firmenhaftung und der Geschäftsführerhaftung unterscheiden. Dass ich die Urteile immer gleich als Kopie beifüge, ist übrigens auch so eine Erfahrungsgeschichte wie das Von-hinten-Lesen.

Es ist nämlich keineswegs ausgemacht, dass Richter bloß wegen einiger Rechtsprechungszitate gleich aufgeregt in die Bibliothek laufen. Oder, neumodisch, in der Juris-Datenbank nachsehen. Aufs Papier werfen sie schon eher einen Blick. Und oft bleibt der an der richtigen Stelle hängen…

Bank muss kostenlos Auskunft geben

Es gibt ja kaum eine Dienstleistung, die sich Banken heutzutage nicht bezahlen lassen. Aber nicht jede Gebühr ist auch tatsächlich gerechtfertigt. So kassiert die Postbank zum Beispiel sechs Euro, wenn ein Kunde sein Passwort oder seine Postbank-ID vergessen hat. Ganz in Ordnung dürfte das allerdings nicht sein – und die Postbank scheint dies auch zu wissen.

Ein Kunde hatte die Bank über das Online-Banking gebeten, ihm seine Postbank-ID mitzuteilen, die er verlegt hatte. Für die Nachricht legitimierte sich der Kunde auch mit einer TAN. Die Postbank wusste also, dass sie mit dem Richtigen korrespondiert. Trotzdem machte das Geldhaus die Übersendung der ID davon abhängig, dass sich der Kunde sechs Euro berechnen lässt.

Die Postbank ließ es auf eine Klage vor dem Amtsgericht Bonn ankommen. Der Kunde argumentierte, die Postbank-ID sei ein personenbezogenes Datum. Deshalb stehe ihm nach § 34 BDSG ein Auskunftsanspruch zu. Nach dieser Rechtsgrundlage kann jedermann verlangen, dass er über die zu seiner Person gespeicherten Daten Auskunft erhält, und zwar kostenlos, begrenzt auf einmal im Jahr. An diesem Auskunftanspruch können (wohl) auch Gebührenverzeichnisse von Banken nichts ändern. Eine Argumentation, die natürlich nicht nur für die Posbank-ID gilt, sondern auch für viele andere Zugangsdaten bei Banken und Unternehmen.

Auf ein streitiges Urteil wollte es die Postbank in diesem Fall lieber nicht ankommen lassen. Sie schickte dem Kunden die ID, außerdem übernimmt sie die Kosten des Rechtsstreits (Aktenzeichen 107 C 103/17).

Lesen als „Strafe“

Mal ein Buch lesen – das hat sicher noch niemandem geschadet. Genau das denken sich in München auch Jugendrichter. So verdonnerte eine Richterin jetzt einen 19-Jährigen zu 20 Stunden Lektüre. Der junge Mann war wiederholt aufgefallen, weil das Nummernschild an seinem Motorrad falsch befestigt und damit nur schwer zu entziffern war. Also keine großartige Sache.

Aber sicher eine für die „Leseweisung“. Die Leseweisung ist – an sich bundesweit – möglich, weil das Jugendgerichtsgesetz dem Richter einen weiten Spielraum eröffnet. Er kann entscheiden, welche „Erziehungsmaßregeln“ oder „Zuchtmittel“ er für erforderlich hält. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.

Die Leseweisung in dem jetzt vom Amtsgericht München veröffentlichten Fall bedeutet aber nicht, dass der Angeklagte jetzt zu Hause sitzt und so tut, als würde er ein Buch lesen. Stattdessen muss der Betroffene an einem Projekt der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München teilnehmen. Dort bekommt er zwei bis acht Termine und wird von Studenten betreut. Diese suchen mit ihm geeignete Lektüre aus.

Am Ende wird der Erfolg über eine Ausarbeitung kontrolliert, die der Angeklagte vorlegen muss (wobei das Ergebnis auch ein Plakat, eine Kurzgeschichte oder ein Rap sein). „Zum Teil lesen Jugendliche erstmals ein Buch vollständig“, heißt es in dieser Präsentation des Projekts.

Also, ich finde es gut (Aktenzeichen 1022 Ds 463 Js 134042/17 jug).

Keine vernünftige Argumentation

Falls Sie heute an einem Kindergarten vorbeikommen oder sich gar etwas länger in dessen Nähe aufhalten, geben Sie Gas. Sonst landen Sie in der Verbrecherkartei der Polizei. Nur deswegen. So ist es jetzt einem Mann in München passiert, und die Münchner Polizei ist auch noch stolz auf ihr Vorgehen.

Das kann man im Pressebericht für den 10. August 2017 (Nr. 1253) nachlesen. Dort heißt es:

Ein Mann wurde seit Anfang Juli 2017 öfters im Umfeld eines Münchner Kindergartens in Harlaching gesehen. Ein aufmerksamer Zeuge teilte dies am Dienstag, 08.08.2017, gegen 11.00 Uhr, der Polizei mit. Eine entsandte Polizeistreife konnte einen 61-jährigen Mann feststellen, der sich im Umfeld des Kindergartens aufgehalten hat.

Der Mann wurde durch die Polizeistreife kontrolliert und befragt. Dabei konnte er keine vernünftige Argumentation für seinen Aufenthalt im Umfeld des Kindergartens nennen.

Der Mann wurde durch die eingesetzten Beamten zur Polizeiinspektion gebracht und präventiv erkennungsdienstlich behandelt.

Eine Straftat oder deren Vorbereitung unterstellte zu diesem Zeitpunkt nicht mal die Polizei. Denn dazu heißt es im Pressebericht:

Strafrechtlich relevante Tatbestände liegen nach derzeitigem Stand der Ermittlungen nicht vor.

Schon mit dieser Erkenntnis wird das juristische Eis sehr brüchig, auf dem die Maßnahme steht. § 81b StPO, der die erkennungsdienstliche Behandlung bundesweit regelt, ist nicht erfüllt. Es läuft kein Ermittlungsverfahren gegen den Mann, also ist seine erkennungsdienstliche Behandlung für Zwecke des Strafverfahrens nicht zulässig. Auch eine ED-Behandlung „für die Zwecke des Erkennungsdienstes“ scheidet aus. Denn hierfür bedarf es ebenfalls entweder eines laufenden oder nicht allzu langen zurückliegenden Verfahrens, aus dem sich Anhaltspunkte ergeben, dass der Betroffene künftig möglicherweise (weitere) Straftaten begehen wird.

Bleibt nur Art. 14 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes. Danach ist eine ED-Behandlung zulässig, wenn „dies erforderlich ist zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut.“ Die „drohende Gefahr“ ist natürlich ein sehr weiter und, wie man im vorliegenden Fall sieht, extrem gefährlicher Begriff. Kann eine „drohende Gefahr“, also eine wie auch immer gerartete Vorstufe der Gefahr, schon dann angenommen werden, wenn ein Bürger sein Recht in Anspruch nimmt, den öffentlichen Straßenraum zu nutzen? Oder darf die Polizei daraus, dass der Betreffende „keine vernünftige Argumentation“ für seinen Aufenthalt an einem öffentlichen Ort vorbringen kann, auf böse Absichten schließen?

Nein, nicht mal nach dem fast uferlosen Bayerischen Polizeiaufgabengesetz. Die Münchner Polizei bringt es ja in dem Pressebericht sehr schön auf den Punkt, wenn sie zugibt, was sie letztlich zum Einschreiten gegen den Mann veranlasst hat: die „missdeutige Wahrnehmung seines Handelns“.

Falsch verstanden bzw. gedeutet hat hier allerdings nur die Polizei.

?!?!?!

Aus einem Anhörungsbrief der Polizei:

Die Kommissarin gehört unverkennbar bereits zur Generation Facebook/WhatsApp.

Gericht hilft einer Frau, indem es Männern hilft

Friedrich Wilhelm I. verlangte „Lange Kerls“ in seinem Leibregiment. 1,85 Meter mussten die Soldaten mindestens messen. Bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen gibt man sich bei der Körpergröße bescheidener: Frauen dürfen mit 1,63 Metern in den Polizeidienst, Männer mit 1,68 Metern. Das war jedenfalls bislang so. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Regelung nun für unwirksam erklärt. Mit einer sehr speziellen Begründung.

Das Gericht ging nämlich der Frage nach, wieso angehende Polizisten eigentlich größer sein müssen als angehende Polizistinnen. Immerhin werden Männer und Frauen ja heute gleichberechtigt eingesetzt, so dass ein Einsatzleiter sicher nicht so einfach nach „Langen Kerls“ rufen kann.

Tatsächlich haben die unterschiedlichen Maße einen ganz anderen Hintergrund. Damit will das Land Nordrhein-Westfalen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördern. Es soll – Achtung, Behördendeutsch – „die Anzahl der im Bevölkerungsdurchschnitt größeren männlichen Polizeibewerber gegenüber der Anzahl durchschnittlich kleinerer weiblicher Bewerber“ reduziert werden.

Mit anderen Worten: Für Männer wird eine künstliche Hürde aufgebaut, damit mehr Frauen Polizistin werden können. Das mag ein nachvollziehbares Anliegen sein. Jedoch gibt es, so das Verwaltungsgericht, aber noch das im Grundgesetz verankerte Prinzip der „Bestenauslese“ für den öffentlichen Dienst. Ein Bewerber darf also nur an seiner persönlichen Eignung gemessen werden. Was nichts anderes bedeutet, als dass eine Frauenförderung mit künstlichen Einstellungshürden für Männer nicht zulässig ist.

Zu Gute kommt diese Rechtsaufassung nun allerdings erst mal einer Frau. Eine 161,5 Zentimeter große Bewerberin war wegen ihrer zu geringen Größe von vornherein ausgesiebt worden. Dagegen hatte sie geklagt. Das Gericht gab ihr nun recht, denn die Mindestgrößen für Männer und Frauen könnten unabhängig voneinander gar nicht bestehen. Die Bewerberin muss jetzt für das Auswahlverfahren zugelassen werden.

Für das weitere Vorgehen mahnt das Gericht ein Gesetz an. Die bisherige Praxis, dass Frauenförderung über Ministererlasse betrieben wird, verstoße gegen den Gesetzesvorbehalt. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, ist also der Landtag am Zug (Aktenzeichen 2 K 742/17).

Schöner wohnen, offline

Aus dem Bericht über die Durchsuchung einer sehr schönen, sehr teuren und extrem nobel eingerichteten Eigentumswohnung:

In dem gesamten Objekt wurde keinerlei PC-Technik, Zubehör wie Router oder Speichermedien gefunden. Es fanden sich auch keine Möbelstücke, auf denen noch vor kurzem ein PC o.ä. abgestellt gewesen sein könnte.

Der Beschuldigte wurde gefragt, warum er jeden Monat für einen Internetanschluss bezahlt. Dazu wollte er sich nicht äußern. Sein Anwalt wird ggf. Stellung nehmen.

Ach Gott, dank der Unschuldsvermutung wird auch meine Stellungnahme zu dieser Frage voraussichtlich sehr kurz ausfallen.

Überlastung, hausgemacht

Die Strafjustiz ist ja so schrecklich überlastet. Mal abgesehen vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage, ist jedenfalls eines klar: Viele der Probleme sind hausgemacht. Als kleines Beispiel möchte ich eine Anklage nennen, die gegen einen meiner Mandanten erhoben wurde.

Bei einer Rangelei, an der er zunächst nicht direkt beteiligt war, soll mein Mandant dazwischen gegangen sein. Nämlich in der Form, dass er einen der Streithähne an seiner Jacke fasste und ihn zurück zog. Dabei soll die Jacke eingerissen sein.

Jetzt soll mein Mandant vor Gericht. Wegen Sachbeschädigung. Natürlich ist auch der zuständigen Staatsanwältin bekannt, dass bei uns sehr vieles strafbar ist und immer mehr strafbar wird. Aber eins ist nach wie vor nicht strafbar: die fahrlässige Sachbeschädigung. Die Anklageschrift unterstellt meinem Mandanten deshalb, er habe den Riss in der Jacke „zumindest billigend in Kauf genommen“. Das wäre dann – vielleicht – die geringste denkbare Form des Vorsatzes, die Juristen noch für zulässig halten.

Leider findet sich für diesen behaupteten Vorsatz aber keinerlei tatsächlicher Anhaltspunkt in der Ermittlungsakte. Es gibt nicht den geringsten Ansatzpunkt dafür, dass es meinem Mandanten darum ging, etwas kaputt zu machen. Von daher wäre es richtig gewesen, nicht dem staatsanwaltlichen Anklagereflex zu folgen, sondern die Sache mangels Tatverdachts einzustellen. Oder von mir aus auch wegen Geringfügigkeit, was ja problemlos möglich ist.

Was am Ende dabei rauskommt? Nichts, da lege ich mich fest. Die Anklage wird entweder gar nicht zugelassen. Oder der Mandant wird freigesprochen. Aber bis dahin wird die Akte noch ganz gehörig die Arbeitskraft eines Richters und die Ressourcen des Gerichts insgesamt belasten. Dabei ist dort sicher zweifellos Wichtigeres zu tun.

Mal nicht das volle Programm

Wo wir heute schon mal bei Drogen sind (siehe den letzten Beitrag), findet sich in der nächsten Ermittlungsakte auf meinem Schreibtisch der Beweis. Der Beweis dafür, dass die Polizei nicht unbedingt jedem immer gleich was Böses will.

Mein Mandant war von einer Polizeistreife in einem Kneipenviertel angehalten worden. Die Beamten durchsuchten ihn und fanden folgendes:

63,9 g Marihuana
24,7 g MDMA (Tabletten „Domino“ lila)
11,3 g Kokain
7,9 g Amphetamin
740 Euro in kleinen und mittleren Banknoten

Aus beruflicher Erfahrung weiß ich eigentlich, wie es in solchen Fällen weiter geht. Mit einer Hausdurchsuchung. Je nach Ergebnis würde sich dann wohl auch bei einem bislang nicht vorbestraften Mandanten die Frage stellen, ob das Ganze zu einer Haftsache wird.

Aber wie war es hier? Es passierte nichts dergleichen. Keine Hausdurchsuchung, kein Anruf beim Staatsanwalt. Es wurde nur eine Anzeige aufgenommen, dann durfte mein Mandant nach Hause gehen.

Es ist jetzt natürlich reine Spekulation, warum die Sache so zurückhaltend behandelt wurde wie ein Auffahrunfall. Möglicherweise liegt es daran, dass mein Mandant um 5.50 Uhr morgens angehalten wurde. Um 6.45 Uhr ist in dem betreffenden Revier Schichtwechsel. Aber wie gesagt, ein Zusammenhang ist reine Spekulation. Ich tendiere eher dazu, dass die beteiligten Beamten einfach immer so zurückhaltend agieren, um gängige Vorurteile zu widerlegen.

Herr A will sein Geld zurück

Aus einem Polizeibericht, es geht um ein kleines Drogengeschäft vor einer Diskothek:

Der Beschuldigte A äußerte sich sinngemäß wie folgt:

Er habe vom Beschuldigten B zwei Steine MDMA kaufen wollen. Dafür habe er ihm 50 Euro gegeben. Dann sei der Beschuldigte B von den Türstehern angesprochen und überwältigt worden. Der Zeuge A habe seine Drogen also gar nicht erhalten.

Er wolle nun sein Geld zurück.

Zu seiner Überraschung musste Herr A allerdings feststellen, dass die Polizeibeamten sich rein gar nicht für seine – denkbaren, aber nicht sehr wahrscheinlichen – zivilrechtlichen Ansprüche auf Rückgabe des Kaufpreises interessierten. Stattdessen leiteten sie Ermittlungsverfahren ein, und zwar gegen den Verkäufer und seinen Kunden gleichermaßen.

Die 50 Euro dürften also die kleinste Sorge beider sein.

Nicht hinnehmbares Gefühl des Überwachtwerdens

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt vor dem Einsatz von Gesichtserkennungssystemen an öffentlichen Plätzen und bezweifelt, dass dies den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Nach Ansicht des DAV-Präsidenten Ulrich Schellenberg gibt es keine Rechtsgrundlage für diese Maßnahme. Anlass für die Kritik ist der Start eines Pilotprojekts zur Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz in Berlin.

“Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, dann greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein“, sagte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg zum Start des Gesichtserkennungsprojekts am 01.08.2017 in Berlin. “Dieses Scannen führt zu einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung“. Das Bundesverfassungsgericht habe in mehreren Entscheidungen ausdrücklich vor derartigen Effekten gewarnt. So beispielsweise in dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung oder im Urteil zum automatisierten Erfassen von Kfz-Kennzeichen.

An dem Testlauf sind das Bundesinnenministerium, die Deutsche Bahn, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt beteiligt. Die rechtlichen Bedenken des DAV richten sich nicht gegen den sechsmonatigen Testbetrieb, jedoch gegen den späteren Einsatz der Gesichtserkennung im Echt-Betrieb. “Die Gesichtserkennung und die jüngsten Sicherheitsgesetze stellen eine verfassungsrechtlich brisante Kombination dar“, sagte Schellenberg. So sollen nach dem neuen Pass- und Personalausweisgesetz künftig Polizeibehörden, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter für Verfassungsschutz, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst im automatisierten Verfahren biometrische Passbilder abrufen dürfen.

“Dieses Zusammenspiel aus technischen und rechtlichen Neuerungen stellt den Schutz der Freiheitsrechte vor neue Gefahren“, betonte der DAV-Präsident. Nach Ansicht des DAV gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage, die eine Gesichtserkennung an öffentlichen Orten rechtfertigt. “Angesichts dieser neuen technischen und rechtlichen Möglichkeiten stellt sich die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage das massenhafte Scannen von Gesichtern gerechtfertigt wird“, so der DAV-Präsident.

“Eine wasserdichte Norm, die diesen Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen kann, gibt es nicht.“ Darüber hinaus gibt es nach Ansicht des DAV zahlreiche offene Fragen: Wann soll das System anschlagen? Bei zur Fahndung ausgeschrieben Personen, bei Fußball-Ultras auf dem Weg zum Auswärtsspiel, bei sogenannten Gefährdern?