Vor einigen Tagen war ich an einem Amtsgericht im Osten Deutschlands. Die lange Anreise bedingte, dass ich einen Zeitpuffer mitbrachte. Den nutzte ich, um schon mal etwas vom Verhandlungsstil des Richters zu schnuppern. Es wurde ein trauriges Schauspiel, was allerdings an einer anderen Hauptperson lag.
Die Angeklagte, deren kleines Unternehmen den Bach runtergegangen war und die viel zu lange davor die Augen verschlossen hatte, erschien mit einem Urteilsbegleiter an ihrer Seite. Es fällt mir schwer, bei dessen Performance zuzugeben, dass diese Begleitperson auch ein Rechtsanwalt war. Der Kollege erklärte nichts, relativierte nichts, sprang seiner Mandantin nicht zur Seite. Vielmehr saß er nur da und schaute uninspiriert in die Gegend, während sich die Angeklagte um Kopf und Kragen redete. Als die Frau während ihrer Aussage in Tränen ausbrach, legte er ihr immerhin die Hand auf die Schulter. „Sie haben es ja gleich überstanden, das wird schon.“
Kein einziges Mal machte der Anwalt den Versuch, vielleicht eine Einstellung des Verfahrens – zum Beispiel gegen eine Geldauflage – hinzukriegen. Stattdessen hielt er lediglich ein flauschiges Plädoyer, welches definitiv nicht von Faktenkenntnis getrübt war. Ebenso wenig von sich aufdrängenden Worten über die juristischen Klippen, die sich gerade bei Insolvenzstraftaten für einen Richter auftun, der ein solides Urteil sprechen will.
Am Ende des Plädoyers noch ein echter Knaller: „Die 120 Tagessätze, die der Herr Staatsanwalt gefordert hat, gehen insgesamt in Ordnung.“ Äh, ja. 120 Tagessätze sind für eine kleine Insolvenzgeschichte nun wirklich kein Pappenstiel, zumal wenn man wie die Frau keine Vorstrafen mitbringt. Zu allem Überfluss verzichtete der Anwalt auch nach dem Urteil noch eilfertig auf Rechtsmittel.
Ich dachte insgesamt, ich bin im falschen Film. Oder war es möglicherweise so, dass der Richter sowieso ein harter Hund ist, bei dem man rein gar nichts erreichen kann? Meine Informationen waren eigentlich, der Richter ist etwas spröde, aber in Sachfragen durchaus zugänglich. Gut, wir versuchten es einfach mal.
Den Angeklagten ließ ich nicht selbst reden, sondern gab für ihn eine gestraffte Stellungnahme ab. Und zwar auch zu den komplizierten Rechtsfragen, die sich in solchen Fällen immer ergeben. Dann noch ein paar Worte zu schweren privaten Schicksalsschlägen, welche die Aufmerksamkeit des Angeklagten von seiner Firma weggelenkt hatten.
Kaum war dem Richter klar, dass es ohne einen weiteren Verhandlungstermin (mit zusätzlichen Zeugen, vielleicht sogar einem Sachverständigen) nicht gehen würde, wagte ich den Vorstoß und fragte, ob man nicht auch mal über eine Einstellung nachdenken kann. Viel Hoffnung hatte ich aufgrund der vorhergehenden Verhandlung nicht. Vermutlich war der betreffende Kollege einfach nur Realist. Aber siehe da, der Richter griff meine Anregung auf. Der Staatsanwalt zierte sich erst pflichtgemäß ein wenig, dann war aber auch er mit im Boot. Das Verfahren wurde gegen Zahlung einer sehr sozialverträglichen Geldauflage eingestellt…
Der Witz an der Sache ist, dass mein Mandant im Vergleich zur vorherigen Angeklagten definitiv die schlechteren Voraussetzungen mitbrachte. Wenn wir eine Einstellung kriegten, hätte diese für die Frau noch viel eher im Raum gelegen. Aber es hat ja keiner für sie daran gearbeitet. Das wird sie allerdings nie erfahren…