Und was ist mit Filesharing?

Freies WLAN? Nach diversen Anläufen könnte es vielleicht doch noch was werden. Der Bundestag beschloss heute ein Gesetz, das in die richtige Richtung zeigt. Das kann man trotz diverser Kritikpunkte festhalten.

Zunächst mal stellt das Gesetz sicher, dass öffentliches WLAN grundsätzlich frei – und anonym – zugänglich sein darf. Behörden dürfen Betreiber nicht verpflichten, Nutzer zu registrieren oder die Eingabe eines Passwortes zu verlangen. Andererseits bleiben WLAN-Anbieter aber berechtigt, ihre Netze mit Passwörtern und Registrierung abzusichern.

Der WLAN-Betreiber muss von sich aus keine eigenen Maßnahmen treffen, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Er ist aber verpflichtet, bei Beschwerden von Rechteinhabern Internetseiten zu blockieren, wenn die Seiten illegale Downloads ermöglichen und das WLAN hierzu bereits nachweislich dafür genutzt wurde. Allerdings regelt das Gesetz für diesen Fall, dass der Rechteinhaber dem WLAN-Betreiber keine Kosten in Rechnung stellen darf, zum Beispiel für eine Abmahnung. Selbst für den Fall, dass der Rechteinhaber klagt und gewinnt, muss der WLAN-Betreiber dem Rechteinhaber keine Kosten erstatten.

Interessant finde ich allerdings, dass das neue Gesetz lediglich von einer Verletzung geistigen Eigentums durch die Nutzung eines „Telemediendienstes“ spricht. Nur hierfür gilt die Privilegierung der WLAN-Betreiber – zumindest nach dem Wortlaut. Eine dezentral organisierte Tauschbörse, die wohl wichtigste Plattform für Urheberrechtsverletzungen, ist aber eher kein Telemediendienst.

Dieser Punkt könnte noch sehr interessant werden, kann er sich doch als Schlupfloch für die Abmahnindustrie erweisen. Die Rechteinhaber werden sich auf den Standpunkt stellen, dass die alten Abmahn- und Schadensersatzregeln unverändert weiter gelten, wenn zum Beispiel der Betrieb eines Filesharing-Clients wie eMule nicht unterbunden wurde. Mit dem neuen WLAN-Gesetz ist also keineswegs für absolute Rechtssicherheit gesorgt.

Vergnügungssteuerpflichtig

Vergnügungen sind in Deutschland ja meist steuerpflichtig. Wie aber wird die Steuer bemessen? Nach dem tatsächlichen „Vergnügungsaufwand“, erklärt das Bundesverwaltungsgericht in einem aktuellen Urteil.

Vergnügungsaufwand – dieses schöne Wort war mir bisher unbekannt. Aber abseits davon ging es um eine Sachfrage, die ich gar nicht so uninteressant finde. Die Stadt Dortmund hatte sich entschlossen, von den örtlichen Wettbüros eine Vergnügungssteuer zu erheben. Dabei kam man auf die Idee, die Wettbüros nach ihrer Größe zu besteuern. Jeweils 20 Quadratmeter Lokalfläche sollten 250,00 Euro im Monat kosten.

Das verletzt aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts den Grundsatz der „Stuergerechtigkeit“ (habe ich schon mal gehört, aber wie die meisten von uns vermutlich noch nie direkt erlebt). Eine Steuer sei nur dann gerecht, wenn der Maßstab stimme. Bei Vergnügungen dränge es sich aber geradezu auf, die Steuer entsprechend des Ausmaßes des konkreten Vergnügens zu bemessen – also dem Wetteinsatz. Der Wetteinsatz entspreche dem „individuellen, wirklichen Vergnügungsaufwand“.

Die Dortmunder Steuer, die seit 2014 erhoben wird, ist somit rechtswidrig. Die Vorinstanzen hatten das übrigens noch anders gesehen (Aktenzeichen 9 C 8.16 und 9 C 9.16).

Beweise? Eine Hochrechnung tut’s doch auch

Nach weit über 20 Jahren als Strafverteidiger denke ich manchmal, eigentlich müsstest du alles Absurde mindestens einmal erlebt haben. Dann kommt so eine unscheinbare rote Gerichtsakte daher und belehrt dich eines Besseren. Diesmal war es eine Anklageschrift, dich ich mit zunehmendem Staunen studierte.

Es geht um den Besitz strafbarer Bilder. Wie das üblich ist, machte sich die Polizei an die Auswertung der diversen Datenträger, die beim Beschuldigten beschlagnahmt worden waren. Der zuständige Beamte wurde auf den Festplatten auch fündig. So weit, so alltäglich für mich als Anwalt.

Allerdings stellte der Polizeibeamte seine Tätigkeit ein, nachdem er nach eigenen Angaben 50 Prozent der Datenträger „durchsucht“ hatte. Den Rest ließ er unüberprüft links liegen. Warum der Polizist die Arbeit einstellte, bleibt etwas nebulös. Vielleicht fehlte ihm einfach die Zeit. Immerhin hielt er als Ergebnis fest, dass er auf den ausgewerteten Datenträgern exakt 501 Bilder gefunden hat, deren Besitz nach seiner Meinung strafbar sind.

Interessant ist nun, was der Staatsanwalt mit diesen Informationen gemacht hat. Er beschuldigt meinen Mandanten in der Anklageschrift nicht des Besitzes von 501 Bildern. Vielmehr kommt er im Wege einer Hochrechnung dazu, der Beschuldigte habe 1002 Bilder besessen, und in diesem Umfang erhebt er explizit Anklage.

Bemerkenswert finde ich, dass der Staatsanwalt selbst von einer „Hochrechnung“ spricht – und damit offenbar null Probleme hat. Natürlich ist auch das Strafrecht mitunter Hochrechnungen zugänglich. Krasseste Beispiele sind Drogendelikte. Da ist meist kein Fitzelchen des Stoffs mehr vorhanden, der Umfang der Taten ergibt sich aus Zeugenaussagen nach dem Motto: „Ich war einmal in der Woche dort und habe jeweils vier Gramm gekauft, und das zehneinhalb Monate lang.“

Aber eine Hochrechnung, obwohl das Beweismittel auf dem Tisch liegt? Darauf muss man erst mal kommen. Ein Angeklagter kann sich doch nicht wegen Bildern verteidigen, von denen nicht mal festgestellt ist, dass sie überhaupt existieren. Die Anklage empfinde ich aber auch als Zumutung gegenüber dem Richter. Wie kann ein seriöser Richter seine Pflicht, die Wahrheit zu ermitteln, zur Seite schieben und reine Mutmaßungen zur Grundlage seines Urteils machen?

Als Verteidiger wäre es mir natürlich recht, wenn es bei der Auswertung der Hälfte der Datenträger verbleibt. Aber dann dürfte sich der Tatvorwurf eben nur auf die Bilder erstrecken, die bis dahin gefunden wurden. So muss ich mich für meinen Mandanten leider beschweren. Es wird interessant, ob die Staatsanwaltschaft tatsächlich bei der Meinung bleibt, diese Anklageschrift könne als Grundlage für eine Hauptverhandlung dienen.

So viel Ehrlichkeit

Nach einer Hausdurchsuchung, für die es keinen richterlichen Beschluss gab und bei der ersichtlich keine Gefahr im Verzuge vorlag, setzte sich die Kriminaloberkommissarin hin und brachte folgendes zu Papier:

Der Durchsuchung wurde seitens des Beschuldigten nachträglich zugestimmt.

So eine Ehrlichkeit hinsichtlich des Zeitpunkts der Zustimmung kann ich als Strafverteidiger nur loben. Darauf lässt sich juristisch aufbauen.

Drogenscreenings mit Durchfallgarantie

Nicht alle Dinge machen Sinn, wie man heute so gerne sagt. Das gilt mitunter auch für Bewährungsbeschlüsse, die Richter verkünden. So machte ein Amtsgericht meinem Mandanten unter anderem die Auflage, sich innerhalb der dreijährigen Bewährungsfrist regelmäßig auf Drogenkonsum screenen zu lassen, und zwar mit einem negativen Ergebnis. Sonst müsse er damit rechnen, dass die Bewährung widerrufen und seine achtmonatige Haftstrafe vollstreckt wird.

Drogenfrei leben, das ist natürlich ein hehres Ziel. Aber einfach zu erreichen ist es nicht, wenn man Drogen konsumiert. Deshalb habe ich beim Gericht eine Änderung beantragt. Die Begründung lautete so:

Es besteht Anlass, die Weisungen abzuändern.

Der Verurteilte hat sich ausweislich des Urteils unwiderlegt dahin eingelassen, dass er die fraglichen Betäubungsmittel zum Eigenverbrauch angebaut hat. Überdies hat der Verurteilte angegeben, dass er seinen Tag im wesentlichen mit dem Konsum von Marihuana verbringt, und das schon seit Jahren.

Es spricht also viel dafür, den Verurteilten als suchtkrank anzusehen.

Bei einer Abhängigkeit im Sinne einer Sucht besteht nach gängiger Definition das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit, zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums.

Bei einer Suchterkrankung hat der Einzelne ohne fachkundige medizinische und therapeutische Hilfe nicht die Möglichkeit, sich selbst aus der Abhängigkeit zu lösen.

Der Verurteilte ist also nach derzeitigem Stand aufgrund einer Abhängigkeit nicht in der Lage, entsprechend der Weisung des Gerichts negative Drogenscreenings beizubringen. Auch wenn bei ihm der Wunsch nach Abstinenz sicher vorhanden ist, wird er ein drogenfreies Leben nicht alleine durch den Druck eines möglichen Bewährungswiderrufs führen können.

In rechtlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass dem Verurteilten keine Weisungen auferlegt werden dürfen, welche unzumutbare Anforderungen an ihn stellen (§ 56 Abs. 1 S. 2 StGB). Vorliegend ist es dem Angeklagten aus den dargelegten faktisch unmöglich, den Weisungen ohne fachkundige medizinische und therapeutische Hilfe entsprechen zu können.

Das Gericht hat so entschieden.

Die Auflage wird dahingehend abgeändert, dass dem Verurteilten auferlegt wird, Kontakt zur Drogenberatung aufzunehmen und dem sich aus den Gesprächen mit der Drogenberatung ergebenden eventuellen Therapiebedarf zu entsprechen. Drogenscreenings entfallen.

Das Ganze hat noch einen weiteren positiven Effekt. Während mein Mandant die Drogenscreenings selbst hätte bezahlen müssen, wird die Krankenkasse die Kostenübernahme für die Suchtbehandlung nun wohl kaum verweigern können. Ob der Mandant seine (neue) Chance nutzt, das liegt ganz in seinen Händen.

Fraktionszwang sollte es eigentlich gar nicht geben

Unter großem medialen Getöse hat Bundeskanzlerin Angela Merkel heute den Fraktionszwang für ihre Partei im Bundestag aufgehoben. In einer Sachfrage. Die Abgeordneten sollen frei entscheiden können, ob sie für oder gegen die Ehe für alle stimmen. Das ist alles sehr nett, hat aber einen Schönheitsfehler. Den Fraktionszwang sollte es nämlich gar nicht geben…

… jedenfalls, wenn es nach dem Grundgesetz geht. Dort ist sehr deutlich festgelegt, nach welchem Maßstab sich die Abgeordneten zu richten haben. Artikel 38 Grundgesetz:

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Angela Merkel lässt somit nur geschehen, was nach dem klaren Willen der Verfassung nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein sollte. Tatsächlich, und das zeigt die heutige „Freigabe“ der Abstimmung, ist das vom Grundgesetz vorgesehene „freie“ Mandat im Laufe der Jahrzehnte ganz schön unter die Räder bzw. niemals darunter hervorgekommen.

Immerhin ist allerdings auch eines klar. Der im Bundestag tagtäglich praktizierte Fraktionszwang ist ein stumpfes Schwert gegenüber Abgeordneten, die sich ihm partout nicht unterverwerfen wollen. Eine direkte Sanktionsmöglichkeit gegenüber dem Abgeordneten gibt es nicht. Er kann höchstens Schaden an seiner Karriere nehmen sowie im schlimmsten Fall aus der Fraktion ausgeschlossen werden. Das ändert aber nichts daran, dass er Abgeordneter bleibt. Außerhalb des Parlament, zum Beispiel vor Gericht, darf ein Abgeordneter ohnehin nicht für sein Abstimmungsverhalten zur Rechenschaft gezogen werden (Art. 46 GG).

Legitimiert wird der Fraktionszwang gerne mit dem Hinweis, dass die Fraktionen im Bundestag nur handlungsfähig sind, wenn die Abgeordneten nicht kreuz und quer abstimmen. Ich persönlich meine, dass gerade die Möglichkeit, bei wichtigen Sachfragen auch Koalitionen über die Fraktionsgrenzen zu schmieden, der äußeren Wahrnehmung des Bundestages sicher nicht schaden würde.

Letzten Dienstag am Fixierpunkt

Aus einer Ermittlungsakte. Es geht um einen Menschen, der etliche Gläser zu viel getrunken hatte:

(Der Beschuldigte wurde) mittels dienstlicher Handfesseln mit der linken Hand am in der Wand eingelassenen Fixierpunkt gefesselt.

Ein freiwilliger Atemalkoholtest wurde durch den Beschuldigten verweigert. Dies machte der Beschuldigte durch Heben des Mittelfingers der nicht fixierten Hand deutlich.

Der Polizist stellt Strafantrag. Wegen Beleidigung. Ich bin ja schon froh, dass er sich nicht krankschreiben lassen musste…

Wie wird es wirklich gewesen sein?

Manchmal lese ich Ermittlungsakten der Polizei und frage mich, wie es wohl wirklich gewesen ist. Beziehungsweise wer wen komplett falsch verstanden hat. Oder verstehen wollte.

Dabei denke ich etwa an den Fall einer Verkehrskontrolle. Mein Mandant wurde mit seinem Auto angehalten. Den Beamten war wohl schnell klar, dass mein Mandant Betäubungsmittel konsumiert hat. Tatsächlich wurde bei ihm auch etwas Amphetamin gefunden. Aber nur eine klitzekleine Menge, offensichtlich für den Eigengebrauch.

Etwas anderes versetzte die Polizisten allerdings in höchste Aufregung. Mein Mandant hatte die unerhörte Summe von 1.100 Euro bei sich. In bar! Bei dieser Beweislage finden sich leider ab und an willige Staatsanwälte, die ebenso wie die Polizeibeamten gleich Betäubungsmittelhandel rufen. So kam es, dass gegen meinen Mandanten zu nachtschlafener Zeit eine Hausdurchsuchung für unvermeidlich gehalten wurde.

In der Strafanzeige klingt es so, als habe mein Mandant von sich aus die Polizei quasi noch angestachelt. Indem er angeblich was von größeren Drogenmengen in seiner Wohnung erzählte und dass er die Verstecke gerne zeigt, wenn er Strafrabatt kriegt. Dumm nur, dass bei der Wohnungsdurchsuchung nichts gefunden wurde. Außer ein paar Krümel Marihuana. Die dürften nicht mal für einen Joint reichen, also vernachlässigenswert.

Immerhin ergibt sich aus der Akte auch, dass mein Mandant ab dem Zeitpunkt der Kontrolle nicht die Möglichkeit hatte, mit Dritten Kontakt aufzunehmen. Er stand nämlich unter ständiger Beobachtung, sein Handy war einkassiert. Von daher mutet die Theorie der Polizeibeamten, ein großer Unbekannter habe was mitgekriegt und die angeblichen Drogen aus der Wohnung geräumt, doch reichlich gewagt. Aber so ließ sich die „Story“ halt vielleicht doch noch retten, deshalb wurde es dann auch so aufgeschrieben.

Ich habe ja meine eigene Theorie. Der Mandant war dank eines Alkohol-Marihuana-Amphetamin-Mix exakt in dem Zustand, den er sich gewünscht hatte. Vernünftige Aussagen macht man dann allerdings nicht mehr. Er wird also unter dem Druck der Ermittler jede Menge Quatsch erzählt haben, aber nur der interessante Quatsch wurde niedergeschrieben.

War wahrscheinlich einfach sonst nichts los in der Nacht.

(K)ein guter Tag für einen Gerichtstermin

Früher gab es Sprüche darüber, wie angenehm das Leben eines Richters ist. Wenig Arbeit für gutes Geld, hieß es zum Beispiel. Die Zeiten sind mittlerweile vorbei. Die Bezahlung hat jedenfalls mit der Arbeitsbelastung eher nicht Schritt gehalten, so zumindest der Eindruck, den ich aus gelegentlichem Smalltalk mit Richtern gewinne.

Dass der Druck allerdings so groß ist, um unbedingt für Montag, den 30.10.2017, einen ganztägigen Hauptverhandlungstermin am Schöffengericht anberaumen zu müssen, mit zig Zeugen und einem Sachverständigen – das hätte ich nun eher nicht erwartet.

Vor dem Montag liegt ja, das kommt jetzt weniger überraschend, ein Wochenende. Aber eben nicht nur. Der 01.11. (Mittwoch) ist ein gesetzlicher Feiertag. Und, Martin Luther sei Dank, der 31. Oktober (Dienstag) in diesem Jahr ausnahmsweise auch. Und dann sind bei uns in Nordrhein-Westfalen auch noch Schulferien, vom 23.10. bis 03.11. Für den Herbst kann man also ausnahmsweise von Brückentagen deluxe sprechen.

Es musste also gute Gründe für die Verhandlung am ominösen Montag geben. Statt lange Briefe zu schreiben, rief ich die Richterin einfach mal an um zu hören, ob sie dieses Termin-Harakiri wirklich riskieren will. Mindestens die Hälfte der Zeugen wird doch ohnehin blau machen. Dass ein gefragter medizinischer Sachverständiger sich aus München an diesem Tag nach NRW bewegt, hielt ich auch für eher unwahrscheinlich.

„OH, MEIN GOTT“, sagte die Richterin. „DEN EXTRA-FEIERTAG HATTE ICH JA GAR NICHT AUF DEM SCHIRM.“

Thema abgehakt. Wir verhandeln im Dezember, aber lange genug vor Weihnachten.

Den Schwarzen Peter hat …

Gute juristische Arbeit zeigt sich im Detail, wo auch sonst. Zum Beispiel in einem Einstellungsbescheid, den mir ein Staatsanwalt nach einem Streit in der Straßenbahn geschickt hat, bei dem etwas die Fetzen flogen. Darin heißt es:

Das Ermittlungsverfahren habe ich gemäß § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt. Unbeteiligte Zeugen sind nicht vorhanden. Letztlich stehen sich die Angaben der Beschuldigten unvereinbar gegenüber, wobei keiner der Sachverhaltsschilderungen ein höherer Beweiswert beigemessen werden kann.

Das hebt sich wohltuend von der Arbeitsweise vieler Staatsanwälte ab. Die schlagen sich in solchen Fällen gern auf die eine oder andere Seite. Wer den Schwarzen Peter gezogen hat, der wird angeklagt. Der andere Beteiligte gilt als glaubwürdig. Er bekommt die Rolle des Zeugen, was natürlich deutlich angenehmer ist.

Die geschilderte Parteinahme gelingt notgedrungen nur mit einer gehörigen Portion Intuition. Was dann in solchen Prozessen oft dazu führt, dass spätestens im x-ten Gerichtstermin das Denkgebäude sich als brüchig und die Anklage sich als substanzlos erweist (in dem Sinne, dass halt auch mit dem „Zeugen“ kein ausreichender Tatnachweis zu führen ist). Die juristisch korrekte Denk- und Arbeitsweise des betreffenden Staatsanwalts ist mir da deutlich lieber.

Wie ich einen Prozessgegner „bedrohte“

Bei Telefonaten mit gewissen Menschen muss man echt daran denken, zumindest die eigenen Worte aufzuzeichnen. Was nicht verboten ist – im Gegensatz zur heimlichen Aufnahme dessen, was der Gesprächspartner sagt. Ich hatte jetzt wieder so einen Fall, in dem ich mich etwas wohler gefühlt hätte, wenn ich einfach eine Aufnahme auf den Tisch hätte knallen können. Nach dem Motto: Das habe ich nicht gesagt.

Ich hatte den Auftrag erhalten, den Betreffenden abzumahnen. Es ging um ein ziemlich übles Verhalten gegenüber seinem früheren Arbeitgeber. Der ehemalige Angestellte kartete in sozialen Netzwerken böse nach. Da hätten bei mir eigentlich die Warnglocken schrillen müssen. Aber wie es so ist: Die Rechts- und Sachlage war so eindeutig zu unseren Gunsten, dass ich mir dachte, ich rufe den Mann einfach mal an. Vielleicht sieht er ja ein, dass sein Verhalten so nicht in Ordnung ist und lässt es sein. Dann hätte er sich eine teure Abmahnung erspart.

Kleiner Irrtum. Kaum war das kurze Gespräch zu Ende, machte er das, was er anscheinend immer gerne macht. Nachtreten. Diesmal in Form einer Anzeige, gegen mich bei der Anwaltskammer. Ich hätte ihn bedroht, hieß es. Nämlich mit den Worten: „… oder es kann Ihnen noch was passieren“. In einer späteren E-Mail an die Kammer, weil ihm das Verfahren nicht schnell genug ging, behauptete er, ich hätte gesagt, es werde ihm noch leid tun und er werde noch sehen, was er davon hat.

Gut, es ist natürlich immer schlecht, wenn man verschiedene Versionen für denselben Sachverhalt bringt. Schon deshalb sah die Anwaltskammer keinen Grund zum Einschreiten, sondern glaubte mir (vielen Dank für die Ehre). Was ich wirklich gesagt habe, war übrigens, dass der Herr bestimmte Facebook-Posts entfernen soll. Weil er sonst eine schriftliche Abmahnung kriegt, die ihn schon von den Anwaltskosten her ein- bis zweitausend Euro ärmer macht. In der Ankündigung rechtlicher Schritte kann ich nun keine „Bedrohung“ sehen. Über die Möglichkeiten eines Don Corleone verfüge ich offen gestanden nicht und brauche sie auch nicht, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Aber insgesamt eine sehr interessante Erfahrung. Ich werde mich hoffentlich künftig schneller an die Recorder-App in meinem Handy erinnern. Zumindest bei potenziell unangenehmen Zeitgenossen.

Fünf Minuten zu spät, Examen futsch

Zu den tragischen Geschichten der letzten Wochen gehört sicher die einer Jurastudentin aus Bielefeld. Diese muss sich jetzt voraussichtlich für immer mit diesem „Titel“ begnügen, obwohl sie dem der Diplom-Juristin am Ende doch noch denkbar nahe gekommen ist.

Schuld an der Misere ist eine Verspätung der Studentin. Diese hatte ihre schriftlichen Klausuren bestanden. Nun stand die mündliche Prüfung an. Die Studentin will nach dem ersten Prüfungsteile verstanden haben, dass es um 12.30 Uhr weitergeht. Tatsächlich hatte sich die Prüfungskommission aber nur auf 11.30 Uhr vertagt. Als die Studentin um 11.50 Uhr – also aus ihrer Sicht sehr rechtzeitig – wieder am Saal war, hatte der Vorsitzende die Tür schon endgültig schließen lassen, nachdem er bis 11.45 Uhr auf die fehlende Kandidatin gewartet hatte.

Großes Problem für die Studentin: Es war ihre letzte Chance, das Jurastudium erfolgreich abzuschließen. Vorher war sie schon zwei Mal durch das Staatsexamen gefallen. Vor Gericht hatte sie jetzt allerdings schlechte Karten. Das Oberverwaltungsgericht Münster wies ihre Klage ab, so wie zuvor schon das Verwaltungsgericht. Der Anwalt der Studentin argumentierte auch mit der Verhältnismäßigkeit und forderte, den verpassten Prüfungsteil mit null Punkten zu bewerten. Mit ihren anderen Leistungen hätte die Kandidatin diese null Punkte auffangen können. Nach Meinung der Gerichte lässt die Prüfungsordnung aber eine Aufteilung nicht zu.

Bericht in der Neuen Westfälischen

Schöne neue Zeugenwelt

Es war keine Sternstunde des demokratischen Rechtsstaats, welche die Große Koalition den Bürgern dieses Landes gestern im Deutschen Bundestag bescherte. Der Bundestag beschloss einen Abbau von Grund- und Verfahrensrechten sowie einen Ausbau staatlicher Überwachung – in enormen Dimensionen.

Schon zur Art und Weise des Gesetzgebungsverfahrens lässt sich einiges sagen. Leider nichts Positives. Deutliche Worte finden sich zum Beispiel in diesem Kommentar der Süddeutschen Zeitung.

Aber das Gesetz ist jetzt in der Welt, die verabschiedeten Änderungen lassen sich hier nachlesen. Neben dem Staatstrojaner und der Online-Durchsuchung, die in den Medien zu Recht vorrangig thematisiert werden, enthält das Gesetz auch eine ganz andere gravierende Änderung: Zeugen sind künftig verpflichtet, Vorladungen der Polizei Folge zu leisten und zur Sache auszusagen.

Bisher war das völlig anders. Mit der Polizei musste niemand reden, auch wenn das landläufig vielleicht gar nicht so bekannt ist. Es gab keinerlei Verpflichtung, sich auf Gespräche mit Polizeibeamten einzulassen. Das galt völlig unabhängig davon, ob dem Zeugen darüber hinaus noch besondere Zeugnisverweigerungsrechte (zum Beispiel Verwandtschaft mit dem Beschuldigten) oder Aukunftsverweigerungsrechte (Gefahr der Selbstbelastung) zustehen. Wer nicht mit der Polizei reden wollte, musste dies nicht. Die Polizei hatte keinerlei Zwangsmittel, um nicht aussagebereite Zeugen zu Angaben zu zwingen.

Diese Zeiten sind nun vorbei, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Der Wortlaut der neuen Vorschrift lautet wie folgt:

Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.

Die große Frage in der Praxis wird zunächst sein, wie konkret dieser Auftrag der Staatsanwaltschaft sein muss. Das Gesetz bleibt hier unglaublich – man könnte auch sagen unverschämt – vage. Vom Wortlaut her würde es nämlich auch reichen, wenn ein Staatsanwalt der örtlichen Polizei vorab den pauschalen „Auftrag“ gibt, in allen seinen Verfahren die Zeugen zu laden und in eigener Regie zu vernehmen.

Außerdem hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, eine schriftliche Ladung oder eine bestimmte Ladungsfrist einzuführen. So könnte es künftig tatsächlich möglich sein, dass Polizeibeamte bei Ermittlungen an Ort und Stelle eine „Ladung“ aussprechen und versuchen, den ja bereits anwesenden Zeugen zu einer Aussage zu bringen. Das alles unterläuft das mittlerweile Gesetz gewordene Recht jedes Zeugen, einen Anwalt als Beistand beizuzuiehen (§ 68b StPO).

Denkbar ist weiterhin, dass die Polizei von ihrer Ladungsmöglichkeit auch in einer Art und Weise Gebrauch macht, welche die Lebensgestaltung eines Zeugen erheblich beeinträchtigt. Wer am Vortag in Düsseldorf angerufen wird und morgen um 11 Uhr beim LKA in Berlin zur Vernehmung antanzen soll, wird daran seine helle Freude haben. Auf entsprechende Präzedenzfälle werden wir sicher nicht lange warten müssen.

Immerhin überlässt das Gesetz nicht der Polizei die Entscheidung darüber, ob ein Zeuge ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht hat. Laut der Gesetzesbegründung soll dann aber kein förmliches Verfahren in Gang kommen, sondern der Polizeibeamte soll mit der Staatsanwaltschaft „Rücksprache“ nehmen. Die Entscheidung des Staatsanwalts ist dann zunächst verbindlich.

Dem Zeugen, der das anders sieht, bleibt in diesem Fall nur, sich schnellstmöglich um einen Anwalt als Zeugenbeistand zu bemühen und notfalls das Risiko eines Ordnungsgeldes einzugehen. Dieses Ordnungsgeld kann der Staatsanwalt verhängen; dagegen lässt sich dann erst mal gerichtliche Entscheidung beantragen (und dadurch eventuell ausreichende Zeit gewinnen, um den Anwalt einzuschalten). Immerhin bleibt es sowohl der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft verwehrt, bei widerspenstigen Zeugen Ordnungshaft zu verhängen. Das darf nur der Richter. Was aber nicht heißt, dass die richterliche Entscheidung lange auf sich warten lassen muss. Theoretisch kann der Richter Zwangshaft auch telefonisch anordnen.

Die größte Gefahr in der Neuregelung sehe ich aber in einem ganz anderen Bereich. Es geht um die Grauzone, die sich oft bei Ermittlungen auftut. Nämlich dann, wenn nicht ganz klar ist, welche Rolle eine Person eigentlich innehat. Ist sie Zeuge? Oder vielleicht doch schon Beschuldigter? Oder möglicherweise beides, wenn es um mehrere Tatkomplexe geht?

Leider hängt diese Frage oft von der Einschätzung des zuständigen Ermittlers ab. Menschen, die vielleicht tatsächlich etwas mit der Tat zu tun haben (oder möglicherweise auch nur befürchten, dass sie fälschlicherweise in Zusammenhang damit gebracht werden), konnten sich einer Befragung durch die Polizei bisher entziehen. Es spielte ja keine Rolle, ob sie Zeuge oder Beschuldigter sind; niemand musste mit einem Ermittler reden.

Nun gibt es für Polizeibeamte die Möglichkeit, jede Person erst mal als Zeugen vorzuladen – auch wenn im Hintergrund vielleicht schon ein gewisser Tatverdacht schwebt. Die Erscheinenspflicht führt zumindest zu erhöhten Möglichkeiten, den „Zeugen“ auf die Dienststelle zu bekommen und ihn dort entsprechend zu bearbeiten. Gerade bei Menschen, die sich ihrer Rechte nicht sicher sind, führt dies zu der Gefahr, dass diese als vermeintlich erscheinens- und aussagepflichtiger Zeuge erst mal Angaben zur Sache machen, die sie ohne Pflicht zum Erscheinen nie gemacht hätten.

Der Zeitpunkt, in dem ein Zeuge dann zum Beschuldigten wird und entsprechend zu belehren ist, lässt sich somit kreativ weit nach hinten verlagern. Wobei sich in einem Land wie Deutschland, in dem man sich seit jeher nach Kräften vor Audioaufnahmen bei Vernehmungen wehrt, der Zeitpunkt einer Beschuldigtenbelehrung nachträglich ohnehin kaum festzustellen ist.

Wer sich künftig auch nur ansatzweise Sorgen macht, zu Recht oder zu Unrecht in eine Sache reingezogen zu werden, wird es nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes nicht leichter haben. Zeuge kann innerhalb von Sekunden jeder werden, und das völlig unverhofft. Umso wichtiger wird es dann sein, dass man die dürftigen Rechte zumindest ansatzweise kennt, die man im Umgang mit der Polizei künftig noch hat.

Freispruch-Strategie

Strategie ist alles. Nicht nur in großen Verfahren. Das hat sich heute wieder in einer überschaubaren Strafsache am Amtsgericht gezeigt. Ich verteidigte einen der beiden Angeklagten.

Mein Mandant installiert für eine große Firma Rauchmelder. Das erledigt er zusammen mit einem Kollegen. Mein Mandant hat die Aufgabe, den Ort der Rauchmelder festzulegen. Außerdem erledigt er den Papierkram, erklärt den Wohnungsmietern die Maßnahme. Sein Kollege schraubt die Rauchmelder weisungsgemäß an die Decke.

Bei einem der Einsätze gab es Komplikationen. Die Wohnungsbesitzerin freute sich nach dem Besuch der Monteure zwar über die Rauchmelder, vermisste aber ungefähr 500 Euro, die sie – angeblich – in einem Täschlein im Schlafzimmer aufbewahrte. Als Haushaltsgeld, von dem sie dann einige Zeit immer was nimmt. Zu Hause war die Bewohnerin an dem Tag aber nicht. Sie hatte ihre Schwiegermutter geschickt, die einen Schlüssel für die Wohnung hat.

Die Schwiegermutter konnte nur sagen, dass sie die Männer reingelassen hat und im Wohnzimmer wartete, bis diese fertig waren.

Nun ja, was macht man strafrechtlich aus so einer Sache? Die beiden Angeklagten haben es richtig gemacht. Sie erklärten zu ihrer Verteidigung lediglich, sie hätten ihre oben beschriebene Arbeit gemacht, das habe insgesamt die üblichen 12 bis 15 Minuten gedauert. Jeder sagte außerdem, er habe kein Geld an sich genommen und auch nicht gesehen, dass dies der jeweils andere tat. Außerdem der Hinweis, dass man bei den Einsätzen arbeitsteilig vorgeht und sich nicht immer im Auge hat.

Der Richterin blieb am Ende nichts anderes übrig, als beide Angeklagte freizusprechen. Denn selbst wenn einer der beiden das Geld genommen haben sollte, steht eben nicht fest, wer es war. Und wenn die Frage nach dem Täter offen bleibt, gibt es auch keine Sippenhaft. So etwas in der Art hatte sich allerdings die Staatsanwaltschaft erhofft. Der Ankläger hatte sich auf das Rechtsinstitut der „Mittäterschaft“ berufen und offen gelassen, wer von den beiden das Geld genommen hat.

Dumm nur: Mittäterschaft meint etwas völlig anderes. Das sollte eigentlich jeder Jurastudent ab dem zweiten Semester wissen.

Als Verteidiger kann ich mit dem Freispruch gut leben. Aber auch persönlich. Denn in der Verhandlung drängte sich mir doch etwas der Eindruck auf, dass entweder die Wohnungsinhaberin schlicht vergessen hat, dass sie mit dem Geld irgendwas bezahlt hat. Oder möglicherweise war es auch ihr Ehemann. Den hatte sie nach eigenen Angaben gefragt, ob er sich an dem Geld bedient hat. Das soll er verneint haben, aber wer guckt schon hinter die Kulissen einer Ehe? Oder gar hinter das Verhältnis zur Schwiegermutter, die sich strenggenommen auch hätte bedienen können, nachdem die Monteure weg waren.