In Berlin sind Jugendliche wegen versuchten Mordes angeklagt. Sie sollen in einem U-Bahnhof versucht haben, einen schlafenden Obdachlosen anzuzünden. Ich will etwas näher auf eine wichtige Verfahrensfrage eingehen, die es sogar bis in die Zeitungsberichte geschafft hat. Zitat aus der Welt:
Dann macht Richterin Regina Alex noch auf einen entscheidenden Fehler der Ermittler aufmerksam: Vier der Aussagen bei der Mordkommission dürfen nicht verwertet werden, weil die Polizisten die Jugendlichen und ihre gesetzlichen Vormünder nicht darauf aufmerksam gemacht hatten, dass sie ein sogenanntes Elternkonsultationsrecht haben: Jugendliche unter 18 Jahren dürfen ihre Eltern oder einen gesetzlichen Vertreter zu ihrer Aussage hinzuziehen. Dies hatten die Ermittler bei Mohammad, Khaled, Bashar und Eyad jedoch nicht erklärt.
Ein Elternkonsultationsrecht für Beschuldigte unter 18 Jahren. Das gibt es tatsächlich, es steht in § 67 Jugendgerichtsgesetz. Gegen die dort niedergelegten Rechte wird Tag für Tag an vielen Tatorten und auf noch viel mehr Polizeiwachen verstoßen. Einerseits, weil viele Polizeibeamte die Vorschriften in ihrer ganzen Tragweite nicht kennen. Aber auch, weil sie diese missachten, denn so haben sie weniger Arbeit und erzielen sogar noch bessere „Erfolge“.
Aber was ist das Elternkonsultationsrecht genau? Hier die Grundzüge:
-> Die Eltern eines Minderjährigen haben ein eigenes Recht, bei jeder Vernehmung ihres Kindes dabei zu sein. Sie können auch Beweisanträge stellen und dem Kind (sogar ohne dessen Einverständnis) einen Anwalt zur Seite stellen;
-> Die Polizei muss die Eltern von einer beabsichtigten Vernehmung benachrichtigen. Wenn die Eltern nicht bekannt oder greifbar sind, muss die Polizei aktiv daran arbeiten, dass sich dies ändert. Und es muss natürlich abgewartet werden, bis die benachrichtigten Eltern zur Polizei kommen können.
-> Der Jugendliche selbst muss über seine Schweigerechte hinaus auch für ihn verständlich darüber aufgeklärt werden, dass er ein Recht auf Anwesenheit seiner Eltern bei der Vernehmung hat. Aber nicht nur das. Denn seine Rechte gehen noch weiter. Er hat auch das Recht, sich vor einer eventuellen Vernehmung mit seinen Eltern zu beraten. Und zwar ohne Aufsicht durch die Polizei.
Wurde der Jugendliche unter Verstoß gegen diese Vorgaben vernommen, ist seine Aussage unverwertbar. Also das, worauf jetzt auch das Landgericht Berlin hingewiesen hat. Ist der Jugendliche zunächst unter Verstoß gegen die Vorschriften vernommen worden und kommt es deshalb – zum Beispiel durch Anregung eines weitsichtigen Staatsanwalts – zu einer weiteren Vernehmung, muss er vor dieser zweiten Vernehmung ausdrücklich darüber belehrt werden, dass seine erste Vernehmung nicht verwertet werden kann.
Im Ergebnis kann man feststellen, dass Eltern somit ähnliche, teilweise sogar weitergehende Rechte als Strafverteidiger haben. Aus meiner Erfahrung gibt es kaum eine Vernehmung eines Jugendlichen ohne Anwesenheit seiner Eltern, bei der alle vorstehenden Regeln wirklich konsequent beachtet werden.
Vielleicht ist es ganz gut, wenn man gerade als Elternteil schon mal davon gehört hat. Möglicherweise läuft dann einiges ganz anders, wenn sich die Polizei meldet und mitteilt, dass der Nachwuchs gerade zu einem Tatvorwurf vernommen wird und danach auf der Wache abgeholt werden kann.