Ein Richter erklärt das Internet – und zwar gut

Das Amtsgericht Bocholt beschäftigt sich in einem aktuellen Beschluss mit zwei Fragen, die im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Besitzes von Jugend- und Kinderpornografie immer wieder eine Rolle spielen. Dabei setzt sich das Gericht recht deutlich von der überwiegenden Rechtsprechung ab.

Zunächst ging es um die Frage, wann ein Foto jugendpornografisch ist. Der mutmaßliche Täter soll zahlreiche pornografische Bilder „eines etwa 16-jährigen Mädchens“ auf seinem Rechner gespeichert haben.

Hierzu führt das Amtsgericht Bocholt aus, es sei schon nicht erkennbar, dass es sich um eine 16-Jährige handelt. Allein vom visuellen Eindruck sei eine Unterscheidung zwischen einer 16-jährigen Jugendlichen und einer 18-jährigen jungen Frau mit der nötigen Sicherheit nicht möglich. Eine Strafbarkeit komme in solchen Fällen nur in Betracht, wenn die abgebildeten Personen „ganz offensichtlich“ nicht volljährig sind, etwa dann, wenn sie fast noch kindlich wirken und eine Abgrenzung eher zum Straftatbestand der Kinderpornografie (Bilder von unter 14-Jähriger) nahe liegt.

Der Richter hält es angesichts des visuellen Eindrucks der Bilder für „nicht nachvollziehbar“, wieso die Staatsanwaltschaft von einer Frau unter 18 Jahren ausgehe. Im Zweifel, so das Gericht, müsse davon ausgegangen werden, dass die abgebildete Person nicht mehr minderjährig sei. Im entschiedenen Fall konnte nicht geklärt werden, wer auf den Fotos zu sehen ist.

Außerdem musste das Gericht die Frage beantworten, ob lediglich im Zwischenspeicher des Rechners (Cache) gespeicherte Dateien schon den Tatbestand des „Besitzes“ von Kinderpornografie erfüllen. Hier bietet es sich wirklich an, dass ich die Argumentation des Gerichts komplett zitiere. Was der Richter schreibt, ist nämlich höchst lesenswert.

Hier also der Beschluss:

Aus der Pfadbeschreibung der jeweiligen Fotos ergibt sich, dass diese unter dem Namen des Angeschuldigten/AppData/Local/Microsoft/Windows/TemporaryInternetFiles/Low/Content befunden haben. Sie befinden sich damit in einem Bereich, in dem der Nutzer nicht bewusst Daten speichern kann, sondern in dem das Betriebssystem Windows automatisch, ohne Einwirkungsmöglichkeit des normalen Nutzers Daten speichert.

Aus dem Pfad geht also zunächst einmal nur hervor, dass der Angeschuldigte oder eine dritte Person, die Zugang zu dem Rechner hatte, diese Bilder betrachtet hat und dann die Daten automatisch gespeichert wurden. Öffnet somit der Nutzer eine X-beliebige Internetseite über seinen Browser so wird diese im Hintergrund gespeichert mit dem Ziel, dass, wenn der Nutzer zu einem späteren Zeitpunkt erneut auf die Seite, hier also die inkriminierenden Bilder, zugreift, diese schneller aufgebaut werden könnten und nicht nochmal heruntergeladen werden müssten (Vergleiche Was ist Cache leeren http: …praxistipps.chip.de/was-ist-cache-leeren-einfach-erklaert_41811 Stand 23.03.2017). Die Funktion wurde in das Betriebssystem Windows Anfang der 2000er, als die Datenverbindungen langsam waren und es noch keine Flatrates gab, sondern die Kosten entsprechend dem Traffic erhoben wurden, implementiert.

Wie der Name Cache schon sagt, bedeutet dies nicht, dass der Nutzer auf diese Daten unmittelbaren Zugriff hat, sondern Cache bedeutet so viel wie „verstecken“. Er wird verwendet, da die im Cache gespeicherten Daten selbst vor dem Nutzer versteckt werden (Vergleiche: Was ist Cache a.a.O). Entsprechend hat der Nutzer auf die im Cache gespeicherten Daten zunächst einmal keinen Zugriff, denn in der normalen Verzeichnisstruktur ist der Pfad „AppData“ nicht sichtbar. Diese Daten werden nur angezeigt, wenn die Funktion „geschützte Systemdateien ausblenden“ deaktiviert wird und dafür die Funktion „versteckte Dateien und Ordner anzeigen“ aktiviert wird (Vergleiche: Verstecke Dateien anzeigen, http: …praxistipps.chip.de/versteckte-dateien-in-windows-7-anzeigen_1282, Stand 23.03.2017). Vor diesem Hintergrund ist der Besitz zweifelhaft.

Selbst wenn man dies vorliegend annehmen würde, so reicht allein der Umstand, dass in einem automatischen Verfahren kinderpornographische Inhalte auf der Festplatte des Nutzers gespeichert wurden zum Nachweis des Besitzwillens nicht aus (Vergleiche Gercke in Spindler/Schuster Rechte der elektronischen Medien, 3. Auflage 2015 § 184 b StGB Randnummer 25). § 184b ist kein Unternehmensdelikt denn § 184b Abs. 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 3 StGB setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über die Bilder voraus mit der Möglichkeit, die Bilder sich und anderen zugänglich zu machen. Dies muss vorsätzlich geschehen, wobei der Vorsatz als direkter oder bedingter Vorsatz gegeben sein muss. Wusste der Angeklagte nicht, dass die Bilder im Cache gespeichert werden, so setzt die Strafbarkeit erst ein, sobald der Angeschuldigte erkennt oder aber billigend in Kauf genommen hat, dass er Kinderpornographie besitzt und den Besitz gleichwohl fortsetzt (OLG Oldenburg, Urteil vom 29.11.2010 – 1SS166/10 zitiert nach Beck RS 2010).

In Zeiten des Cloud Speichers, in der üblicherweise insbesondere auch Bilder privater Natur im Netz gespeichert werden, erscheint diese Funktion wie ein Anachronismus. Anders als noch vor 10 Jahren, als die Nutzer bereits im praktischen Betrieb erkennen konnten, dass Bilder im Cache gespeichert wurden, beispielsweise am schnelleren Seitenaufbau oder der Nichtbelastung des mit dem Provider vereinbarte Datenvolumens, ist dies in der heutigen Zeit aus den vorgenannten Gründen nicht mehr erkennbar. Auf das Datenvolumen braucht der Nutzer heutzutage bei einer Flatrate nicht zu achten und die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus ist beim Highspeedinternet ebenso schnell wie beim Herunterladen von der Festplatte. Gegenteilige insbesondere ältere Entscheidungen, die von einer Kenntnis des Nutzers von der Datenspeicherung im Cache ausgehen, sind aufgrund der technischen Entwicklung überholt. Der durchschnittliche Nutzer weiß im Zweifel daher nicht mehr, dass schon beim Betrachten von Bildern Daten im sogenannten Cache gespeichert werden (Vergleiche OLG Zweibrücken MMR 2016, 831, 832 f).

Dass der Angeklagte, der von sich unwiderlegbar behauptet, von den Bildern keine Kenntnis gehabt zu haben, solche überdurchschnittlichen Kenntnisse im PC Bereich hatte, ist nicht feststellbar. Der Nachweis wird letztlich im Hauptverfahren nicht zu führen sein so dass trotz der abscheulichen Bilder aus tatsächlichen Gründen eine Verurteilung nicht zu erwarten ist.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nicht einmal feststeht, dass der Angeschuldigte bewusst die inkriminierenden Bilder betrachtet hat. Im Zeitalter von Web 2.0 ist es jedermann problemlos möglich, Bilder ins Internet zu stellen. Hierdurch ist es auch möglich, Straftäter wider Willen zu generieren. Dies ergibt sich aus folgendem Szenario: Speichert beispielsweise ein x-beliebiger Straftäter Bilder kinderpornographischen Inhalts im Internet, beispielsweise bei Dropbox oder Amazon Cloud oder vergleichbaren Clouddiensten, so hat er die Möglichkeit, einen Link zu generieren und diesen dem Angeschuldigten zu schicken. Öffnet der ahnungslose Angeschuldigte dann diesen Link, so hat er die Bilder auf seinem Rechner und damit auch im Cache, ohne dass er überhaupt die Absicht hatte, derartige Bilder zu betrachten. Es ist hierdurch möglich jede x-beliebige Person zum Besitzer von kinderpornographischen Bildern zu machen. Da es auch technisch möglich ist, einen Link zu einem Verzeichnis mit einer Vielzahl an Bildern zu generieren, können auch entsprechen viele Bilder im Cache des Nutzers sein.

So könnte ein Straftäter jede x-beliebige Person allein dadurch zum Straftäter machen, indem er einen Link mit kinderpornographischem Inhalt an diese verschickt und diese irrtümlich ohne Kenntnis vom Inhalt den Link öffnen. Die Daten sind dann im Cache gespeichert und der Nutzer hätte kaum Möglichkeiten, diese Bilder zu entfernen, es sei denn, es verfügt über entsprechende Computerkenntnisse. Denn die Funktion von Microsoft „Datenträgerbereinigung“ löscht die Daten des Cache nicht mit der erforderlichen Sicherheit. Dies ist nur manuell möglich und verlangt tiefgreifende Kenntnisse über das Betriebssystem Windows, um überhaupt die Daten zu entfernen. Ein sicheres Entfernen geht nur über Spezialprogramme wie beispielsweise CC Cleaner, wobei nicht von jedermann verlangt werden kann, derartige Programme zu installieren.

Letztendlich ist dem Angeschuldigten vorliegend vom Besitz ausgehend, nicht nachzuweisen, dass er wusste oder wissen musste, dass die hier in Rede stehenden Fotos aus seinem Rechner im Cache gespeichert werden. Hinsichtlich der hier angesprochenen technischen Zusammenhänge bedurfte es nicht der Einholung eines Sachverständigen, da das Gericht über eigene Sachkunde verfügt, die auch in einer Vielzahl von Publikationen zum Thema IT und IT Recht dokumentiert ist.

Aktenzeichen 3 Ds 540 Js 100/16 – (581/16)

Hindernisse beim Crosslauf – wer konnte damit rechnen?

Wer an einem Waldcrosshindernislauf teilnimmt, muss mit Beschwerlichkeiten rechnen. Diese Erkenntnis schreibt das Landgericht Köln einem Freizeitsportler ins Stammbuch. Der Mann hatte gegen den Veranstalter des Hindernislaufs geklagt, weil er sich in einem künstlich angelegten Teich, der zum Parcours gehörte, das Bein brach.

Bei dem Rennen mussten die rund 10.000 Teilnehmer eine Wasserrutsche herabgleiten, die in dem künstlichen Teich mündete. Die Plane in dem Becken hatte Falten geworfen. Deswegen, so der Sportler, habe er sich das Bein gebrochen. Der Mann verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro.

Das Landgericht weist allerdings darauf hin, dass bei einem Waldcrosshindernislauf absichtlich Hindernisse aufgebaut werden, die Barrieren in freier Natur nachempfunden seien. Die Falten in der Bodenplane des Teiches seien deshalb nicht anders zu beurteilen als Bodenunebenheiten in einem natürlichen Wassergraben. Überdies habe der Veranstalter durch Schilder und Ordner auf das Verletzungsrisiko hingewiesen und um „angepasstes Laufverhalten “ gebeten. Den anderen Teilnehmern sei, soweit bekannt, auch nichts passiert.

Insgesamt, so die Richter, sollte sich jemand, der beim Laufsport Unebenheiten vermeiden möchte, nicht für einen waghalsigen und anspruchsvollen Waldcrosshindernislauf anmelden. Er sei da besser in einer Sporthalle aufgehoben; dort seien Unebenheiten nicht zu befürchten (Aktenzeichen 3 O 129/16).

Keine Lust? Greif zum Textbaustein

Regeln sind schön und gut. So lange sie für andere gelten. Das denken sich auch immer mal wieder Staatsanwälte, also jene Menschen, die ganz besonders wachsam sind, ob du und ich gewisse Regeln einhalten.

Heute kriege ich beispielsweise mal wieder ein Schreiben der Staatsanwaltschaft auf den Schreibtisch, mit dem diese gegen ein Urteil des Schöffengerichts Berufung einlegt. Das ist ihr gutes Recht. Allerdings gelten für Staatsanwälte besondere Vorschriften, wenn sie mit einem Urteil nicht leben zu können meinen. Sie müssen ihr Rechtsmittel begründen, wozu der Angeklagte nicht verpflichtet ist.

Dazu heißt es in Ziff. 156 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren:

Der Staatsanwalt muss jedes von ihm eingelegte Rechtsmittel begründen, auch wenn es sich nur gegen das Strafmaß richtet.

Nun ja, schauen wir uns die Begründung an in unserem Fall. Sie umfasst einen Satz und lautet wie folgt:

Das Strafmaß wird dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht.

Das ist in dieser Form keine Begründung, sondern eine Behauptung (These). Die Begründung zum Beleg der These müsste jetzt konsequenterweise kommen, üblicherweise eingeleitet durch eine Formulierung wie „… wird nicht gerecht, weil…“. Was hier als Begründung daherkommt, ist also nicht mehr als Augenwischerei. Ein müdes Kaschieren des Umstandes, dass man keine Lust hat – und sich nicht um die Regeln schert. Man könnte auch von einer Simulation des Rechtsstaates sprechen.

Das Ganze wird nicht besser dadurch, dass es sich in unserem Fall um einen Textbaustein handeln dürfte. Die Floskel taucht nämlich epedemisch in einzelnen Bundesländern auf. In einigen Monaten werde ich dem Staatsanwalt im Gericht gegenübersitzen. Er wird dann voraussichtlich mit Blick auf meinen Mandanten, den angeklagten Sünder, darüber schwadronieren, wie wichtig es doch ist, sich an die Vorschriften zu halten.

Ich werde Mühe haben, mir ein müdes Lächeln zu verkneifen.

Letztes Wort im Gericht: Auch Eltern dürfen was sagen

„Rechte, die kaum einer kennt“ – so hieß vor kurzem ein Beitrag im law blog. Es ging darum, dass die Berliner Polizei sich nicht darum bemüht hatte, vor einer Vernehmung tatverdächtiger Jugendlicher die Eltern zu kontaktieren. Folge: Die Aussagen der jungen Männer waren vor Gericht nicht verwertbar.

Das ist nicht der einzige Fallstrick im Jugendgerichtsverfahren, den Ermittlungsbehörden und Gerichte gern übersehen. So beachten nach meiner Erfahrung im Alltag die wenigsten Jugendgerichte, dass im Strafprozess gegen einen Minderjährigen mehrere Personen das Recht auf ein letztes Wort haben. Nämlich der Angeklagte. Und seine Eltern beziehungsweise sein gesetzlicher Vertreter (Vormund). Wenn die Erziehungsberechtigten also im Gerichtssaal anwesend sind, müssen sie Gelegenheit bekommen, sich im Rahmen eines letzten Wortes zu äußern.

Wird das vergessen (und es wird oft vergessen), ist das ein Revisionsgrund. Das zeigt aktuell ein Beschluss des Bundesgerichtshofs in einem Mordprozess. Der Bundesgerichtshof kassiert die Strafe schon allein deswegen, weil der im Gerichtssaal anwesende Vormund nicht Gelegenheit zu einem letzten Wort bekam. Der Prozess muss jetzt komplett neu aufgerollt werden.

Für einen minderjährigen Angeklagten ist es natürlich immer gut, wenn die Eltern im Gerichtssaal anwesend sind und Rückendeckung geben. Aber dass diese Anwesenheit auch eine Möglichkeit sein kann, ein unerfreuliches Urteil wegen Verfahrensfehlern zu kippen, das sollte man im Falle des Falles wissen. Und vielleicht den eigenen Anwalt darauf aufmerksam machen. Sofern es dieser nicht weiß, was ich nicht ausschließen möchte.

Detlef Burhoff zum gleichen Thema

Nachtrag: Ein Anwaltskollege hat die Sache mit dem letzten Wort auch mal auf die spitze getrieben

Pfandflaschen aus Altglascontainern fischen – strafbar?

Darf man Pfandflaschen aus Altglascontainern fischen? Nein, meinten Anwohner einer Straße in München. Sie zeigten Altglassammler an. Die Staatsanwaltschaft München wollte tatsächlich, dass die Flaschensammler, die einen Greifarm benutzt hatten, bestraft werden. Doch beim zuständigen Richter am Amtsgericht stießen sie auf Widerstand. Dieser lehnte den Erlass eines Strafbefehls ab.

Zur Begründung – bislang gibt es nur eine Pressemitteilung – stellt der Richter auf den wirtschaftlichen Wert der Flaschen ab. Zwar hätten die Flaschen ein Pfand von 1,44 Euro gehabt. Allerdings wurde wohl ermittelt, dass die Flaschen vom Containerbetreiber bzw. dessen Abnehmern gar nicht mehr sortiert werden. Vielmehr wird alles eingeschmolzen. Deshalb, so das Gericht, könne höchstens der Materialwert der Flaschen (als Recyclinggut) angesetzt werden. Dieser ließ sich laut Gericht nicht ermitteln, weil er so minimal war.

Aber: Der Wert einer Sache ist normalerweise nicht bedeutsam für die Frage, ob diese gestohlen werden kann. Schon aus § 248a StGB ergibt sich nämlich, dass auch „geringwertige Sachen“ entwendet werden können. Dann wird die Tat allerdings nur auf Antrag verfolgt. Oder wenn die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse bejaht, was sie ohne nähere Begründung tun darf. Somit ist der geringe Wert der Pfandflaschen juristisch eher ein schwaches Argument.

Überzeugender scheint mir der argumentative Weg, den das Amtsgericht Tiergarten im Jahr 2011 gegangen ist. Das Gericht weist nämlich darauf hin, dass es bei Pfandflaschen jedenfalls daran fehlen dürfte, dass der Täter sich diese im Sinne des § 242 StGB „aneignen“ will. Flaschensammler hätten es gerade nicht darauf abgesehen, die Flaschen in ihr Eigentum zu überführen. Vielmehr würden sie diese ja zurückgeben, um das Pfand einzulösen. Interessanterweise kommen in so einem Fall zumindest Individualpfandflaschen (zum Beispiel von Coca Cola) an ihren Eigentümer zurück. Was ja dann überraschenderweise sozusagen das Gegenteil von Diebstahl ist.

Wie auch immer: Um juristische müssen sich wohl nur Jurastudenten sorgen (die aber dringend, denn der Fall ist natürlich ein dankbares Prüfungsthema). Für alle anderen bleibt die Erkenntnis: Pfandflaschen aus Containern klauben ist kein Fall für den Staatsanwalt – und zwar nach beiden Urteilen.

AG München Aktenzeichen 843 Cs 238 Js 238969/16

Eine nicht zu unterschätzende Waffe

Der Mandant verstand von Anfang an nicht, was ihm die Polizei vorwirft.

Demgemäß äußerte er sich auch in mehreren Schreiben. Seine Argumente stießen allerdings auf taube Ohren. Und zwar bei der Polizei. Bei der Staatsanwaltschaft. Und beim zuständigen Richter. Letzterer unterschrieb jedenfalls einen Strafbefehl. Damit legte er meinem Mandanten eine saftige Geldstrafe auf, verbunden mit einem Eintrag im Bundeszentralregister. Auch als Vorstrafe bekannt.

Weil der Mandant die Welt nicht mehr verstand, kriegte ich den Auftrag zu schauen, was juristisch zu machen ist. Ich legte gegen den Strafbefehl Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Die Akte erhielt ich postwendend. Verbunden mit der schriftlichen Mitteilung des Gerichts, dass ja auch eine Einstellung des Verfahrens in Betracht komme. So ganz ohne negative Konsequenzen. Ob mein Mandant denn damit einverstanden sei?

Hier hat anscheinend mal wieder der bloße Briefkopf vom Anwalt gewirkt. Eine nicht zu unterschätzende Waffe, wie es scheint.

Die Reise nach Bochum

Als Pflichtverteidiger eines Mandanten habe ich neulich einen Termin am Landgericht Bochum wahrgenommen. Einige Tage später schickte ich meine Kostenberechnung ans Gericht.

Heute kam der Anruf einer Kostenbeamtin. Sie fragte nach, ob ich an dem Tag noch einen anderen Verhandlungstermin in Bochum hatte. Ganz unbegründet war die Nachfrage nicht, auch wenn’s bei einem Düsseldorfer Anwalt vielleicht etwas sehr nach Stochern im Nebel wirkt. Wenn die Reise nicht der einzige „Geschäftszweck“ ist, müssten die Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld irgendwie angemessen aufgeteilt werden. Mit anderen Worten: Doppelt kassieren kommt gar nicht gut.

Das war also sehr vorausschauend gedacht, vermutlich, um die gebeutelte Staatskasse zu entlasten. Ich musste die Mitarbeiterin aber leider enttäuschen. An dem Tag war ich wirklich nur wegen der einen Sache in Bochum. Eine gute Nachricht hatte die Beamtin aber auch für mich: Ansonsten gibt es wohl an meinem Antrag nichts zu kritisieren. Das ist ja auch schon mal eine schöne Erfahrung…

Kein Kopftuch bei Gericht

Rechtsreferendarinnen islamischen Glaubens dürfen in Hessen kein Kopftuch tragen, wenn sie im Rahmen ihrer Ausbildung vor Gericht auftreten. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof betrachtet ein entsprechendes Verbot gegenüber einer Rechtsreferendarin in Frankfurt als rechtmäßig.

Die Referendarin sah sich benachteiligt und diskriminiert. Das Kopftuch sei Ausdruck ihres Glaubens. Sie gerate in einen schwerwiegenden und unnötigen Gewissenskonflikt, wenn sie während ihrer Ausbildung auf Gerichtsterminen kein Kopftuch tragen dürfe.

Der Gerichtshof sieht das Land Hessen dagegen als berechtigt, genau so ein Verbot auszusprechen. Der Bürger erwarte gerade vor Gericht „eine in jeder Hinsicht unabhängige Entscheidung frei von weltanschaulichen, politischen oder religiösen Grundeinstellungen“. Eine Referendarin werde als Repräsentantin der Justiz wahrgenommen. Deshalb bestehe die Gefahr, dass der Bürger bei Anblick eines Kopftuchs das „Vertrauen in die Neutralität des Gerichts“ verliere.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt hatte der Referendarin noch recht gegeben. Es sah keine gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof meint dagegen, ein Gesetz sei gar nicht erforderlich. Es gehöre zu den Grundpflichten des Landes Hessen, die staatliche Neutralität nach außen hin sicherzustellen (Aktenzeichen 1 B 1056/17).

ebay-Bewertung muss wahr sein

Wer einen Verkäufer auf ebay bewertet, muss bei der Wahrheit bleiben. In einem vom Amtsgericht München verhandelten Fall hatte der Käufer eines rund 7.500 Euro teuren Hifi-Vorverstärkers in seiner Bewertung kritisiert: „Keine Originalverpackung, deshalb ist jeglicher Versand mehr als ein Risiko!!!“ Tatsächlich hatte der Verkäufer den Verstärker aber in der Originalverpackung geliefert.

So geht es nicht, meint das Amtsgericht München. Das Gericht sieht ebay-Bewertungen zunächst nicht als Spielerei oder Nebensächlichkeit an. Die Bewertungen seien zentral für Kaufentscheidungen, die Plattform sei auch ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Absatzmarkt für viele Verkäufer. Ebay verlange deshalb völlig zu Recht von seinen Kunden im Kleingedruckten, dass diese nur wahrheitsgemäß bewerten. Überdies, so das Gericht, bestehe bei einem Kaufvertrag auch eine entsprechende gesetzliche Pflicht.

Die Bewertung eines Verkäufers auf ebay sei dessen „Aushängeschild für sein Gewerbe“. Ihm entstehe schon ein Schaden, wenn eine negative Bewertung in seinem Profil auftaucht. Demgemäß wurde der Käufer verpflichtet, seine Bewertung zurückzunehmen (Aktenzeichen 142 C 12436/16).

Wer entscheidet über Impfungen?

Wer entscheidet über die Impfungen eines Kindes, wenn die Eltern uneinig sind? Diesen Fall musste jetzt der Bundesgerichtshof entscheiden. Der Vater war für die normalen Schutzimpfungen, die Mutter befürchtete dagegen Schäden für das Kind. Sie sieht eine „unheilvolle Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und Ärzteschaft“.

Zunächst stellt der Bundesgerichtshof klar, dass Impfungen keine alltägliche Angelegenheit ist. Nur solche alltäglichen Angelegenheiten kann der Elternteil alleine entscheiden, bei dem das Kind lebt. Das war hier die Mutter. Obwohl der Vater von Frau und Kind getrennt lebte, durfte er aufgrund seines Sorgerechts also mitentscheiden.

Wenn sich die Eltern nicht einig sind, kann das Familiengericht bestimmen, wer die Entscheidung trifft. Das soll diejenige Person sein, die das Kindeswohl besser im Auge hat. Das war hier der Vater. Denn, so die Karlsruher Richter, der vom Vater geforderte Impfplan orientiere sich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut. Diese Empfehlungen seien als wissenschaftlicher Standard anerkannt. Überdies gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass das Kind besonders empfindlich sei. Individuelle Risiken lägen also nicht vor.

Demnach durfte der Vater entscheiden, dass das Kind geimpft wird (Aktenzeichen XII ZB 157/16).

Behörde betreibt Fake-Accounts auf Facebook

Auf der Jagd nach Verkehrssündern nutzt das Polizeipräsidium Rheinpfalz einen Fake-Account auf Facebook. Das berichtet Rechtsanwältin Monika Zimmer Gratz in ihrem Blog.

Mit Hilfe des Fake-Accounts vergleiche die Behörde die Blitzerbilder und Passfotos (die sie von den Meldeämtern erhält) mit Fotos, die Familienangehörige des Fahrzeughalters auf Facebook gepostet haben. So soll es dann gelungen sein, die mutmaßliche Verkehrssünderin zu identifizieren.

Unzulässig sind solche Recherchen nicht. Die Behörden dürfen im öffentlichen Raum ermitteln, dazu gehören auch soziale Netzwerke. Fragwürdig wird die Sache allerdings, wenn der Fake-Account auch für Fake-Freundschaftsanfragen genutzt wird, um sich Zugang zu nicht- oder nur teilöffentlichen Accounts zu verschaffen. Da könnte man juristisch nachhaken.

Was allerdings definitiv vorliegt, ist ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen von Facebook. Diese verbieten Fake-Accounts – auch für Behörden. Allerdings wird sich daraus kein Verwertungsverbot im Bußgeldverfahren ergeben. Bemerkenswert ist es aber trotzdem, wie eine Behörde, die Rechtsverstöße der Bürger verfolgt, offenbar meint, sich nicht an (privat)rechtliche Regeln halten zu müssen.

Ich hatte neulich mal einen Fall, in dem der Mitarbeiter eines Ordnungsamtes rausfinden wollte, wer von den beiden Geschäftsführern einer Firma am Steuer des Dienstwagens saß. Er hat ein passendes Foto in der WAZ gegoogelt, das beide Geschäftsführer nebeneinander auf einem Charity-Event zeigt. Was er aber nicht merkte war, dass der Journalist in der Bildzeile die Namen vertauscht hatte. Als er es merkte, war die Sache verjährt.

Keine lose Bulk-Ware

Nach diversen schlechten Erfahrungen war ich ja fest entschlossen, mir den Ersatz-Akku für ein Handy im Fachhandel zu besorgen. Aus Zeitgründen landete ich aber doch wieder auf ebay / Amazon und stieß auf dieses Angebot:

Sie erhalten neue, unbenutzte Ware (mit CE-Siegel) im originalen Blisterpack von Samsung, keine lose Bulk-Ware wie sonst oft der Fall.

Ein originalverpackter Akku von Samsung, was kann da schon schiefgehen? Sehr viel. Die Blisterpackung war nämlich keineswegs so „original“ wie angepriesen. Vielmehr war sie eindeutig aufgerissen und mit Tesafilm wieder zugeklebt. Der Akku selbst hatte eine Delle und deutliche Gebrauchsspuren. Insgesamt bot er weniger Power als der nach langer Dienstzeit ausgelutschte Akku, den ich ersetzen wollte.

Interessant meine Korrespondenz mit dem Verkäufer. Der schrieb folgendes:

Wir können Ihnen versichern, dass wir die Akkus nur aus zuverlässigen Quellen beziehen, und da wir in der Vergangenheit hin und wieder Reklamationen hatten, testen wir seit kurzem alle Akkus vor dem Versand, weshalb wir über den beschrieben Umstand verwundert sind. Bei unserem Test hat der Akku mehrere Tage im Stand-By durchgehalten.

Die Verpackung hatten wir aus diesem Grund geöffnet, eben um den Akku zu testen.

Die Erklärung ist ja schon wieder so originell, dass man fast darüber schmunzeln könnte. Auf der anderen Seite würde ich als Strafrechtler sagen: Ungeschickter kann man sich eigentlich nicht um Kopf und Kragen reden, was den denkbaren Betrugsvorsatz angeht.

Na ja, immerhin zeigt der Verkäufer von sich aus Problembewusstsein. Er will den Kaufpreis zügig erstatten. Ich hake die Sache ab und latsche dann mal in ein Fachgeschäft, in der Hoffnung, dass es wenigstens dort Originalware gibt.

Warum?

Anhörungsbogen der Polizei:

Sie sind Beschuldigter einer Körperverletzung. Warum haben Sie Ihre Ehefrau geschlagen? Wollten Sie diese verletzen oder ihr Schmerzen zufügen?

Also, wenn man bei so einer Fragestellung nicht besser gleich zum Anwalt geht, dann weiß ich auch nicht mehr.

Reisepass-Fiasko

Fehler der Passbehörde sind kein Fall höherer Gewalt, wegen dem ein Urlauber vom Reiseveranstalter sein Geld zurückverlangen kann. Es ging um neue Reisepässe, die von der Bundesdruckerei versehentlich als „abhanden gekommen“ gemeldet worden waren. Deswegen durften Urlauber nicht in die USA einreisen.

Da der Reiseveranstalter definitiv nichts für das Malheur konnte, beriefen sich die Reisenden auf § 651j BGB (höhere Gewalt). Doch von dieser kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, entschied jetzt der Bundesgerichtshof. Höhere Gewalt liege dann nicht vor, wenn das Problem in der „Risikosphäre“ des Betroffenen angesiedelt sei. Genau so sei es hier, denn ein Reisender sei selbst dafür verantwortlich, dass er einen gültigen Pass besitzt.

Höhere Gewalt könnte dagegen vorliegen, wenn das Einreiseland kurzfristig eine Visapflicht einführt oder ein komplettes Verbot für gewisse Länder ausspricht (Aktenzeichen X ZR 142/15).

Schnell ist relativ

Wer für seine Arbeit zu lange braucht, kriegt Ärger. Dieser Grundsatz sollte vor einigen Jahren auch mal in der Justiz eingeführt werden. In Form einer Regelung, welche einem zu lange hingehaltenen Kläger oder einem mit seinem offenen Verfahren in der Luft hängenden Angeklagten einen Anspruch auf Entschädigung gibt.

Das Gesetz (§ 198 GVG, § 199 GVG) kam schließlich zu Stande. Aber eigentlich auch nur, weil für die deutsche Justiz der Druck von den europäischen Institutionen zu groß wurde, namentlich vom Europäischen Gerichtshof sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Schon die vielen Wenns und Abers in den Paragrafen und die absurd niedrige Entschädigungssumme (1.200 Euro für jedes verlorene Jahr) verraten recht deutlich die wahre Intention: Schlupflöcher soll es genug geben, denn Geld fließen soll am Ende höchstens im homöopathischen Bereich.

Mein Kollege Detlef Burhoff veröffentlicht in seinem Blog jetzt einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt, der die Praxis beleuchtet. Da meint das Oberlandesgericht Frankfurt, ein Jahr Inaktivität sei grundsätzlich erst mal völlig unschädlich – und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem das Verfahren entscheidungsreif ist. Entscheidungsreif bedeutet: Das Gericht hat – möglicherweise nach eine langen Schriftwechsel der Parteien und einer Beweisaufnahme – alle Informationen zusammen, die es braucht, und es bestehen auch keine sonstigen Hürden, um der einen oder der anderen Seite recht zu geben. Trotzdem lässt das Gericht die Sache bis zu einem Jahr liegen, und das soll dann noch eine „angemessene Verfahrensdauer“ sein?

Immerhin kriegte der Kläger in dem Fall wenigstens noch teilweise recht. Das Gericht bejahte zumindest ein gewisses Eilbedürfnis und billigte eine Entscheidungsfrist von höchstens sechs Monaten zu. Aber das ändert nichts daran, dass Maßstab eben erst mal ein Jahr Inaktivität (nach Entscheidungsreife) ist. Zu allem Überfluss schreibt das Oberlandesgericht noch, es könne auch Verfahren geben, die gerne noch länger dauern dürfen. Nämlich dann, wenn sie für den Kläger „ohne besondere Bedeutung“ sind. Was man sich unter solchen Verfahren vorstellen darf, dafür bedarf es schon einiger Fantasie.

Blog von Detlef Burhoff