Für welche Vergehen ist ein Anwaltsgericht zuständig? Mit dieser Frage musste sich das Anwaltsgericht Frankfurt am Main beschäftigen. Die Staatsanwaltschaft hatte dort einen Rechtsanwalt angeschuldigt, weil dieser Sexualstraftaten begangen hatte. Unter anderem hatte der Anwalt Jugendliche für Sex bezahlt, was als Missbrauch strafbar ist.
Im Strafprozess wurde der geständige Rechtsanwalt zu elf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Nun sollte er auch standesrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Doch das Anwaltsgericht lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Straftaten tangieren nach Einschätzung der Richter „nicht die allgemein an einen Rechtsanwalt zu stellenden charakterlichen Anforderungen, wie sie gerade für eine seriöse und zuverlässige Bearbeitung von Rechtsfällen gefordert ist“.
Die Opfer wussten laut dem Ermittlungsergebnis nicht einmal, dass der Mann Rechtsanwalt ist. Seine berufliche Stellung habe also keine Rolle gespielt, insbesondere habe er sie nicht ins Spiel gebracht. Außerdem sei der Jurist als Syndikusanwalt bei einer Bank im Bereich Compliance beschäftigt. In Bezug auf diese konkrete Tätigkeit sei nicht ersichtlich, wie das Verhalten seine Zuverlässigkeit im Arbeitsbereich beeinträchtigen könne.
Fazit der Richter: Die Straftaten des Mannes bedürften zweifellos einer sexualpsychologischen Aufarbeitung. Für diese Aufarbeitung fühlt sich das Berufsgericht aber nicht zuständig (Aktenzeichen IV AG 55/16-4 EV 411/14).