Zugegeben, die Sache ist nicht alltäglich.
Eine Mandantin, die ich seinerzeit noch nicht vertrat, hatte ihre Berufung gegen ein Strafurteil zurückgenommen. In der Verhandlung. Auch auf Anraten ihres damaligen Anwalts. Was ihr damals nicht bewusst war ist der Umstand, dass sie sich damit auf direktem Wege ins Gefängnis begab. Das Amtsgericht hatte sie nämlich zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Da hätte es sich in der Tat gelohnt, in der Berufungsverhandlung nicht einfach so den Schwanz einzuziehen.
Für die Mandantin habe ich dann den Antrag gestellt, dass das Gericht feststellt, dass die Sache nicht durch die Berufungsrücknahme beendet wurde. So ein Antrag ist möglich und kann auch erfolgreich sein. Nämlich dann, wenn die Angeklagte – vereinfacht ausgedrückt – am Verhandlungstag nicht „prozessfähig“ war und die Tragweite einer Berufungsrücknahme nicht überschauen konnte. Das Ganze ist also so eine Art Anfechtung einer Willenserklärung ( = Berufungsrücknahme) mit dem Ziel, dass die Hauptverhandlung fortgesetzt wird.
Für diese Anfechtung gibt es in diesem Fall durchaus gute Gründe. Die Mandantin ist ohnehin schwer krank und schluckt allerlei Medikamente. Zwei Tage vor der Verhandlung war sie operiert worden. Sie sollte auf ärztlichen Rat eigentlich noch länger im Krankenhaus bleiben. Dennoch entließ sie sich entgegen den dringenden Rat ihrer Ärzte selbst und nahm – ordentlich mit Medikamenten vollgepumpt – an ihrer Verhandlung teil. Erschwerend kam dann hinzu, dass der Richter wohl vehement auf die Berufungsrücknahme gedrängt hat. Drastischer will ich es jetzt nicht formulieren.
So ein Antrag ist natürlich nicht einfach, deshalb habe ich bei der Begründung eine ganze Menge Papier produziert. Zu den Stellungnahmen des früheren Anwalts und des Staatsanwalts habe ich mich noch mal geäußert. Und jetzt warte ich seit drei Monaten darauf, dass über meinen Antrag entschieden wird.
Stattdessen erreicht mich heute ein Schreiben des Gerichts. In dem steht eigentlich nur, es seien jetzt ja drei Monate vergangen. Und dann: „… hat sich nach hiesiger Ansicht der Antrag erledigt. Die Akten werden an die Strafvollstreckungsbehörde weiter geleitet.“
Aha, wir warten einfach ab. Und dann tun wir so, als wäre nichts gewesen. Das ist ja eine ganz neue Methode, mit wirksam gestellten Anträgen von Verteidigern umzugehen. Allerdings wird die Darstellung meiner Mandantin durch so ein, man verzeihe mir die drastische Ausdrucksweise, hanebüchenes Schreiben nicht gerade unplausibler.
Ich bin dennoch zuversichtlich, dass ich das Gericht mit einigen sachlichen, aber bestimmten Worten doch noch zu einer Entscheidung bewegen kann. Aufregen bringt ja nichts, auch wenn ich es jetzt gern täte.