Angela Merkel: Dialektik, auf die Spitze getrieben

Die Bundesregierung erlaubt, dass Jan Böhmermann auf der Grundlage des § 103 StGB verfolgt wird. Das hat Kanzlerin Merkel heute persönlich bekanntgegeben. Aber nicht nur das. Vielmehr hat Frau Merkel auch gesagt, dass die Regierung das Sondergesetz für beleidigte Potentaten als überflüssig und nicht mehr zeitgemäß erachtet. Demgemäß will sie den § 103 StGB durch den Bundestag abschaffen lassen.

Anders gesagt: Der Staatsanwaltschaft wird durch die Ermächtigung eine Verfolgung Jan Böhmermanns erlaubt, obwohl diejenigen, die die Verfolgung nun erlauben, den Straftatbestand abschaffen wollen. Hierzu sage ich nur: Finde den Fehler. Dann hätte es völlig unabhängig von der Frage, ob unsere Justiz nichts besseres zu tun haben sollte, als die Ehre eines überempfindlichen autoritären Regierungschefs zu schützen, doch sehr nahegelegen, wenn die Bundesregierung von ihrer gesetzlichen Entscheidungskompetenz nach § 104a StGB Gebrauch gemacht hätte: Keine Ermächtigung, weil Majestätsbeleidigung ohnehin bald obsolet. Und kein Interesse daran, dass die Meinungsfreiheit bei uns Schaden nimmt.

Damit hätte die Bundesregierung keineswegs gegen die Gewaltenteilung verstoßen. Das Gesetz schaltet eine Opportunitätsprüfung („Ist die Strafverfolgung politisch gewünscht?“) vor, erst nach positiver Antwort auf diese Frage haben die Juristen das Wort. Gerade die Erkenntnis, dass § 103 StGB eigentlich längst abgeschafft gehört, wäre ein sehr nachvollziehbarer Grund gewesen, das Verfahren gegen Jan Böhmermann erst gar nicht beginnen zu lassen. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass der Bundesregierung bei der Frage der Ermächtigung ein weiter Entscheidungsspielraum zusteht. Maßstab ist lediglich das Wohl des Volkes. Hätte sie daran etwas mehr gedacht, wäre Frau Merkel eine andere Entscheidung womöglich leichter gefallen.

Denn nun bahnt sich eine wahrlich absurde Situation an. Staatsanwälte dürfen nun ermitteln und je nach Ergebnis der Prüfung (deren Ergebnis keineswegs feststeht) Jan Böhmermann anklagen. Dann käme, wenn es nicht zu einer Einstellung kommt, ein Gerichtsverfahren in Gang. Es wird sicher nicht in drei Monaten beendet sein.

Und zwar schon deswegen nicht, weil weder Jan Böhmermann noch die Gerichte ein übertriebenes Interesse daran haben werden, zu einem schnellen Ergebnis zu kommen. Jedenfalls so lange, wie die Ankündigung von Frau Merkel steht, dass § 103 StGB möglichst schnell abgeschafft werden soll.

Zunächst mal ist Böhmermann nicht in Haft. Es besteht also keine Eile. Das bedeutet lange Wartezeiten, denn Richter müssen sich um dringende Sache kümmern. Gerade kleinere Strafprozesse ziehen sich, auch wegen der Belastung der Justiz mit Beleidigungspossen und sonstigem überflüssigen Kleinkram, gerne mal ins Unendliche.

Zum anderen sind weder Richter noch Staatsanwälte beruflich zu Autismus verpflichtet. Vielmehr werden sie sich bei einer absehbaren Abschaffung des Gesetzes nicht vordrängeln, um eine mögliche (rechtskräftige) Verurteilung Böhmermanns noch vor Abschaffung des Gesetzes hinzukriegen. Zumal sich ja ohnehin die interessante Frage stellt, ob es nicht sogar Rechtsbeugung wäre, wenn ein Richter kurz vor definitiver Abschaffung einer Strafnorm noch ein Urteil auf diese stützt.

Ach ja, das alles sind keine theoretischen Erwägungen. Nach § 2 StGB gilt nicht das Strafgesetz am Tattag, sondern im Falle einer Gesetzesänderung immer das mildeste Gesetz zum Zeitpunkt des Urteils. Wenn ein Paragraf völlig das Zeitliche segnen würde, gibt es also keine Grundlage für eine Verurteilung mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt werden oder der Angeklagte sogar freigesprochen werden müsste.

Durchaus nachvollziehbar

Aus dem Vermerk einer Staatsanwältin:

Darüber hinaus stellte ich klar, dass das Verfahren sehr viel schneller hätte beendet werden können, hätte der Beschuldigte sich bereit erklärt, die passwortgeschützten Computer seitens der Polizei durch Angabe des Passwortes entschlüsseln zu lassen.

Dies räumte der Beschuldigte ein, teilte aber mit, dass die Polizei bei der bei ihm durchgeführten Durchsuchung derart brachial vorgegangen sei und ihm mit dem Anlagen von Handfesseln gedroht habe, so dass er sich nicht bemüßigt gesehen habe, der wenigen Minuten nach dieser Drohung geäußerten Bitte, doch die Passwörter mitzuteilen, nachzukommen.

Diese Erklärung erscheint mir durchaus nachvollziehbar.

Polizei Hagen giftet auf Facebook Gaffer an

Die Hagener Polizei hat einen wütenden Facebook-Post veröffentlicht. Unter der Überschrift „Schämt Euch, ihr Gaffer vom Hauptbahnhof“ echauffiert sich die Behörde darüber, dass bei einem Rettungseinsatz am Hauptbahnhof zahlreiche Menschen mit ihren Handys gefilmt und die Rettungskräfte behindert haben.

Aus dem Text:

Ihr solltet Euch was schämen, dass mehrere hundert von Euch mit dem Smartphone in der Hand die Rettungsarbeiten massiv behindert haben. Euch ging es nur darum, das verletzte Kind und die Landung des Hubschraubers zu filmen. Sogar mehrere Streifenwagen waren notwendig, um den Rettungskräften den nötigen Platz zu verschaffen. Polizisten in der Absperrung habt ihr gefragt, ob sie mal an die Seite gehen können, damit ihr besser filmen könnt. Unfassbar!

Um das Mädchen in Ruhe behandeln zu können, hat es die Feuerwehr mit weissen Tüchern verdeckt. Aber selbst das hat Euch nicht daran gehindert, mit Euren Smartphones in der Hand angelaufen zu kommen und über die Tücher zu gaffen. Das ist wirklich der Gipfel der Skrupellosigkeit.

Natürlich hat die Polizei in allen Punkten Recht. Sachlich gesehen. Was mich persönlich stört, ist der fast schon hysterische, anklagende Ton in der Facebook-Botschaft. Dieser Ton eskaliert und drängt die Angesprochenen verbal in eine Ecke. Eskalation ist eigentlich genau das, was Polizeibeamte vermeiden sollten. Von der Polizei erwarte ich dementsprechend eigentlich, dass sie sachlich, energisch und vor allem unaufgeregt bleibt – in jeder Situation. Ganz so, wie es der Header der Facebook-Seite verspricht. Dort bezeichnet sich die Hagener Polizei als „bürgerorientiert, professionell, rechtsstaatlich“.

Das anklagende Gequäke in dem Post vermittelt mir nicht gerade dieses Bild.

Kein Hartz IV bei Haftbefehl

Im Knast sind Kost und Logis gratis. Na ja, wenn einem der Staat die Kosten nicht doch wieder hintenrum in Rechnung stellt – zum Beispiel über die Verrechnung mit Arbeitslohn. Derartige Feinheiten beschäftigten das Sozialgericht Münster aber nicht, als es über die Forderung eines 40-Jährigen beriet. Der Mann wollte Sozialleistungen, obwohl er seit geraumer Zeit per Haftbefehl gesucht wird.

Der Mann war Ende 2015 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt worden. Seine Haft trat er nicht an, weswegen er jetzt gesucht wird. Die Richter meinen durchaus nachvollziehbar, durch Bewilligung von Hartz IV würden sie dem Betroffenen helfen, sich zumindest vorübergehend vor dem Gefängnis zu drücken. Im Knast sei sein Lebensunterhalt auch vollständig gedeckt, so dass er nicht als bedürftig gelte (Aktenzeichen S 10 SO 37/15 ER).

Wie Herr Erdogan vor den Schiedsmann trat…

Wenn ich in Gedanken die möglichen weiteren Konstellationen der Causa Erdogan / Böhmermann durchspiele, komme ich auf eine besonders reizvolle Variante. Wie wäre es denn, wenn man die beiden Kontrahenten einfach dazu bringt, sich mal gründlich auszusprechen? Der richtige Ort für dieses Zusammentreffen wäre das Büro des Schiedsfrau bzw. des Schiedsmannes, der für Mainz zuständig ist.

So ein Schiedsverfahren ist ja der Regelfall bei normalen Beleidigungen. Und zwar dann, wenn der Staatsanwalt das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung verneint. Was eher die Regel denn die Ausnahme ist. Dann muss der Statsanwalt nicht tätig werden. Vielmehr kann er den Beleidigten auf die sogenannte Privatklage verweisen. Die Frage nach dem öffentlichen Interesse ist übrigens eine Sache, bei der niemand dem Staatsanwalt reinreden kann. Verneint der zuständige Staatsanwalt das öffentliche Interesse, könnte sich Erdogans Anwalt nirgends beschweren.

Vielmehr müsste der türkische Präsident dann überlegen, ob er eine sogenannte Privatklage erhebt. Die setzt allerdings in Rheinland-Pfalz und anderswo voraus, dass ein Schiedsverfahren stattgefunden hat. Und zwar in Anwesenheit der Streithähne. Der Ablauf wird auf auf der Seite des zuständigen Schiedsamtes von Mainz sehr anschaulich geschildert:

Sie sitzen an einem Tisch mit der zuständigen Schiedsperson und der Person, mit der Sie sich im Streit befinden und klären die strittige Angelegenheit.

Dies ist auch in den Fällen so, in denen Sie mit denen, mit denen Sie sich in Streit befinden, nicht mehr reden können.

Denn die rheinland-pfälzische Schiedsamtsordnung schreibt zumindest in Strafsachen das persönliche Erscheinen der Parteien vor und gibt im Falle der Nichtbefolgung den Schiedspersonen die Möglichkeit, ein Ordnungsgeld zu verhängen.

In einem mit Einfühlungsvermögen geführten Gespräch mit den sich Streitenden wird die Schiedsperson als „neutrale Person“, die durch den von ihr abgelegten Eid zur absoluten Verschwiegenheit und Unparteilichkeit verpflichtet ist, versuchen, die Parteien wieder ins Gespräch miteinander zu bringen, den Streit beizulegen und zwischen den „Parteien“ einen Vergleich zu schließen.

Gut, sicher wird der zuständige Staatsanwalt schon einige gedankliche Hürden überwinden müssen, um ausgerechnet in diesem Fall kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu sehen. Aber ausgeschlossen ist es wie gesagt nicht. Gerade für den ja nach wie vor denkbaren Fall, dass die Bundesregierung keine Ermächtigung dazu erteilt, dass für Erdogan der Sonderparagraf der Beleidigung eines Staatsoberhauptes gezogen wird. Das wäre zumindest ein deutliches Signal, dass die Strafverfolgungsbehörden sich vielleicht nicht unbedingt in den Geruch bringen müssen, Handlanger eines autoritären Staatsmannes zu sein.

Das endlose mediale Getöse allein muss kann ja auch nicht der Grund sein, zwingend ein öffentliches Interesse zu bejahen.

Wie gesagt, es bedürfte also nur eines bedingt mutigen Staatsanwalts, der Herrn Erdogan behandelt wie jede andere beleidigte Leberwurst. Und wer weiß, vielleicht reicht es am Ende ja sogar zu einem Friedensschluss unter echten Männern. Die Stadt Mainz brüstet sich jedenfalls mit einer Erfolgsquote von über 50 %.

Schlafen Sie gut heut‘ Nacht

Manche Ermittlungsakten lassen mich frösteln. Nicht wegen der Straftaten, welche Polizei oder Staatsanwaltschaft meinem Mandanten zur Last legen. Sondern wegen der für mich kaum noch nachvollziehbaren Bereitschaft, notfalls halt auch völlig Unschuldige zu verdächtigen. Und zwar mit einem Vorwurf, von dem man sich heute kaum noch reinwaschen kann. Zum Beispiel der Verbreitung von Kinderpornografie.

Genau diesen Albtraum erlebte in den letzten Monaten Herr J. Den Vorwurf eröffneten Kriminalbeamte Herrn J. frühmorgens im Beisein von Frau und Kindern, als sie zur Hausdurchsuchung im Einfamilienhaus des Herrn J. anrückten. Herr J., so hieß es in dem von einem Richter unterzeichneten Durchsuchungsbeschluss, werde verdächtigt, seit etlichen Monaten Kinderpornos im Tor-Netzwerk zu tauschen.

Nur ein einziges Indiz führte zu Herrn J. Nämlich eine seiner E-Mail-Adressen. Die lautet fdfoweoe68@web.de. Die Adresse lautet in Wirklichkeit anders, sie ist aber vergleichbar kryptisch beziehungsweise zufallsgeneriert. Herr J. nutzt die Adresse nur für Bestellungen, Preisausschreiben etc., wenn er seine Hauptadresse wegen Spamgefahr nicht angeben will.

Nun ist es nicht so, dass der angebliche Kinderporno-Tauscher im TOR-Netzwerk mit der Adresse fdfoweoe68@web.de aufgefallen wäre. Nein, dort nutzte er die (wiederum abgewandelte) E-Mail-Adresse blödfrau38aplumpaquatschalphacentauri@yahoo.de.

Die E-Mail-Adresse von Herrn J. taucht aber in „Unterlagen“ auf, welche Ermittler in Augenschein nahmen. Und zwar handelt es sich um die Daten, die der Kinderporno-Tauscher bei der Registrierung seiner Yahoo-Mail-Adresse hinterlassen hat. Dort gab er bei den Kontaktdaten als „sekundäre“ E-Mail-Adresse fdfoweoe68@web.de an. Bekanntermaßen verifizieren die weitaus meisten Mailanbieter solche Angaben in keinster Weise. Man kann als sekundäre E-Mail-Adresse also jede beliebige Zeichenfolge angeben. Hauptsache, sie wird vom System als E-Mail-Adresse erkannt.

So etwas ficht emsige Fahnder und Staatsanwälte aber heutzutage nicht mehr an. Leider aber auch nicht Richter, mögen sie nun unter Arbeitsüberlastung ächzen. Oder auch nicht. Der zuständige Staatsanwalt hielt in der Akte nur fest, die sekundäre E-Mail-Adresse beruhe zwar nur auf Angaben, die der Verdächtige selbst gemacht habe. Aber da es keine weiteren Ermittlungsansätze gebe, sei eine Hausdurchsuchung beim Inhaber dieser E-Mail-Adresse erforderlich. Vorher checkte die Polizei nur, wem die Adresse gehört. Nämlich meinem Mandanten, der bei web.de für die Registrierung seinerseits natürlich seine richtigen Personalien angegeben hat.

Weitere vorherige Ermittlungen? Keine. Niemand hielt es für nötig mal zu checken, wer denn der Mensch hinter fdfoweoe68@web.de ist. Und ob man nicht auf anderem Wege nähere Informationen bekommen kann, die den Betreffenden vielleicht als Verdächtigen ausschließen. Stattdessen wurde auf direktem Wege bei meinem Mandanten einmarschiert. Seine Hardware wurde beschlagnahmt und überprüft. Halt das volle Programm. Wobei es meinem Mandanten selbst überlassen blieb, seine Frau davon zu überzeugen, dass bei ihm keine Kinderpornografie zu finden sein wird.

Leider ist das nicht der einzige Fall aus meiner Praxis, in dem in letzter Zeit irgendwelche von dritter Seite eingegebenen Kontaktdaten für Durchsuchungsbeschlüsse ausreichten. Wobei die Ermittler in drei von vier Fällen ebenso falsch lagen wie bei Herrn J. Von daher dürfte es auch schwer fallen, irgendeine kriminalistische Erfahrung zu konstruieren, nach der (spätere) Straftäter bei der Registrierung von E-Mail-Accounts eher korrekte Kontaktdaten angeben, weil sie ja noch nicht daran denken, dass sie den Account später mal für illegale Zwecke nutzen werden.

Kurz gesagt: Wenn diese Praxis Bestand hat, kann an sich niemand mehr ruhig schlafen, der eine E-Mail-Adresse auf den eigenen Namen registriert hat. Es bedarf ja nur irgendeines Dritten, der gewillt ist, diese Adresse als „Spur“ zu hinterlassen. Und das möglicherweise sogar nur fahrlässig, weil er eine Fantasieadresse generiert, die aber in Wirklichkeit schon Sie nutzen. Oder ich.

Leider fehlt mir mittlerweile der Glaube daran, dass das Bundesverfassungsgericht wenigstens dieser Nullvariante des Anfangsverdachts einen Riegel vorschiebt.

Aber versuchen werde ich es mal.

Kein Wort zum Haftgrund

Weil er angeblich während der Arbeit ein Online-Spiel auf seinem Handy gespielt haben soll, ist der Fahrdienstleiter von Bad Aibling jetzt in Untersuchungshaft genommen worden. Bei dem Zugunglück kamen elf Menschen ums Leben.

Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Traunstein wirft allerdings Fragen auf. Im günstigsten Fall macht bei der Behörde jemand die Pressearbeit, der sein Handwerk nicht versteht und der deshalb der Öffentlichkeit wesentliche Informationen vorenthält. Oder es läuft juristisch gründlich was schief im Zugunglücks-Fall.

Schauen wir uns also die Pressemitteilung an. Darin steht im Kern, es habe sich herausgestellt, dass der Fahrdienstleister unmittelbar vor dem Unglück auf seinem Handy ein Online-Spiel gemacht hat. Hierdurch sei er mutmaßlich abgelenkt gewesen. Was, das ist völlig richtig, den Vorwurf der Pflichtverletzung verschärft und damit den Grad seiner möglichen Schuld erhöht.

Das alles betrifft aber nur eine der Voraussetzungen, die für einen Haftbefehl nötig sind. Nämlich den Tatverdacht. Dieser muss „dringend“ sein, wenn die Untersuchungshaft angeordnet werden soll.

Aber damit ist es eben nicht getan. Die Strafprozessordnung fordert zusätzlich auch einen Haftgrund. Der weitaus wichtigste Haftgrund ist die Flucht des Bechuldigten oder zumindest die Gefahr, dass er flüchtet. Daneben gibt es noch die Verdunkelungsgefahr und die Wiederholungsgefahr.

Zu dem zweiten Baustein eines Haftbefehls, dem Haftgrund, steht aber kein Wort in der Pressemitteilung. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich der Fahrdienstleiter ins Ausland absetzen will (Fluchtgefahr)? Eine höhere Straferwartung, über die in der Presse spekuliert wird, führt übrigens nicht automatisch zum Haftgrund der Fluchtgefahr. Vielmehr muss im Einzelfall immer sehr genau abgewogen werden, so der Bundesgerichtshof. Insbesondere gibt es keine Regel, dass Fluchtgefahr immer dann vorliegt, wenn keine bewährungsfähige Strafe mehr zu erwarten ist.

Oder hat der Mann womöglich versucht, Zeugen zu beeinflussen (Verdunkelungsgefahr)? Dann sollte die Staatsanwaltschaft halt etwas dazu sagen, denn ansonsten bleibt völlig unklar, was denn jetzt der zweite notwendige Baustein des Haftbefehls sein soll. Und wenn sie aus irgendwelchen Gründen nichts zu dem Haftgrund sagen will, dann sollte die Staatsanwaltschaft eben sagen, dass der Haftgrund bejaht wird, aber keine Einzelheiten bekanntgegeben werden.

Eine andere Möglichkeit ist, dass man es mit dem Haftgrund in diesem Fall mal nicht so genau genommen hat. Etwa um energisches Durchgreifen zu dokumentieren. Das wäre dann allerdings noch viel kritischer als eine verbesserungswürdige Pressearbeit.

Inlineskater müssen nicht nüchtern sein

Mit dem schönen Wetter werden jetzt auch wieder die Inlineskates rausgeholt. Wie ist das aber, wenn der Skater – etwa nach einem Stopp im Biergarten – über die Promillegrenzen Alkohol getankt hat? Die Staatsanwaltschaft Landshut wollte das als fahrlässige Trunkenheit im Straßenverkehr ahnden, wurde vom Landgericht aber ausgebremst.

Die Richter fanden es zwar nicht besonders gut, dass der Skater angetrunken auf der Straße rollte. Allerdings ändert das nach ihrer Auffassung aber nichts daran, dass Inlineskates juristisch gesehen keine Fahrzeuge sind – im Gegensatz zu Autos oder Fahrrädern. Wegen Trunkenheit im Straßenverkehr kann sich aber nur strafbar machen, wer tatsächlich ein „Fahrzeug“ im Sinne des Gesetzes lenkt.

In seiner ausführlichen Begründung legt das Landgericht Landshut dar, wieso Inlineskates nur „Sportgeräte“ sind und keine Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung. Das hat aber auch zur Folge, dass Inlineskater die Fahrbahn eigentlich nur dann nutzen dürfen, wenn Zusatzschilder dies ausdrücklich erlauben.

Der angetrunkene Inlineskater kam im Ergebnis straffrei aus der Sache raus. Zu sicher sollte man sich angesichts des Gerichtsbeschlusses aber nicht fühlen. Es gibt nämlich auch Stimmen in der Fachliteratur und ein Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg, die Inlineskater doch als Fahrzeuge werten (LG Landshut Aktenzeichen 6 Qs 281/15).

Frau darf Leiche ihres Mannes nicht frisch halten

Eine Frau aus Bayern darf die Leiche ihres Ehemannes nicht konservieren, damit dieser erst am Tag einer großen Trauerfeier bestattet werden kann. Das Verwaltungsgericht Ansbach untersagte der Frau, die sterblichen Überreste ihres Gatten unter anderem mit dem Konservierungsmittel „Freedom Art“ frisch zu halten.

Der Verstorbene war eine bekannte Persönlichkeit im Raum Nürnberg. Seine Frau wollte eine Trauerfeier veranstalten, zu der Verwandte und Freunde des Verstorbenen aus aller Welt eingeladen werden sollten. Da so eine Feier innerhalb der gesetzlichen Bestattungsfrist von 96 Stunden nicht zu organisieren wäre, wollte sie mit chemischen Mitteln dafür sorgen, dass die Leiche ihres Mannes in den knapp vier Wochen ansehnlich bleibt.

Die Stadt Nürnberg lehnte eine spätere Beisetzung ab. Durch die Behandlung mit Chemikalien würden Böden und Grundwasser gefährdet, deshalb sei deren Einsatz verboten. Das Einfrieren der Leiche nur wegen der Bestattungsfeier wäre als Alternative pietätlos. Diesen Argumenten stimmten die Verwaltungsrichter zu. Die Würde des Verstorbenen und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit gebieten es laut dem Gericht, die Bestattung nicht weiter als gesetzlich vorgesehen hinaus zu zögern.

Der Betroffenen sei zuzumuten, dass sie die Trauerfeier nach der Bestattung veranstaltet. Der Verstorbene wurde mittlerweile fristgerecht bestattet (Aktenzeichen AN 4 S 16.00522).

Nicht verhandelbar

Nicht jedes Mandatsanbahnungsgespräch ist von Erfolg gekrönt:

Guten Tag, Herr Vetter. Wir kennen uns noch nicht, aber ich brauche dringend Ihre juristische Hilfe. Vorab möchte ich aber darauf hinweisen, dass ich das Gespräch aufzeichne.

Das möchte ich aber nicht.

Doch, das mache ich immer. Zur Beweissicherung ist das nötig.

Ich möchte aber nicht mit Ihnen sprechen, wenn ein Band läuft.

Die Aufnahme ist nicht verhandelbar.

Gut, dann versuchen Sie Ihr Glück bitte bei einem anderen Anwalt.

Ja, mache ich. Schönen Tag noch.

Es geht jetzt um Politik, nicht um Paragrafen

Mit ihrem „Strafverlangen“ gegen den Satiriker Jan Böhmermann bringt die türkische Regierung Bundeskanzlerin Angela Merkel ohne jede Not in eine tü(r)ckische Situation. Nun muss die Bundesregierung – und das ist in der Konsequenz nun mal Merkel – entscheiden, ob sie der deutschen Justiz gestattet, die Ermittlungen gegen Böhmermann fortzusetzen und ihn sogar anzuklagen. Ohne „Ermächtigung“ der Regierung bestünde ein Verfahrenshindernis. So sieht es § 104a StGB ausdrücklich vor.

Mit dieser Vorschrift hat sich der Gesetzgeber natürlich was gedacht. Und das war nicht, dass die Bundesregierung jetzt an Stelle von Staatsanwälten und Richtern darüber brüten muss, ob Böhmermanns Spottgedicht nun noch von der Meinungs-, Presse- und insbesondere der Kunstfreiheit gedeckt ist. Vielmehr gibt das Ermächtigungserfordernis der Regierung die Möglichkeit, eine politische Entscheidung zu treffen. Nämlich jene, ob eine juristische Aufarbeitung der Causa im politischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland ist. Oder eben nicht.

Deshalb geht es für Merkel und die beteiligten Ressorts nicht um Paragrafen, sondern ausschließlich um die sinnvollste Lösung im Interesse des Landes. Mit anderen Worten: Selbst wenn Merkel, was sie ja schon öffentlich gemacht hat, Böhmermanns Auftritt für eine Grenzverletzung hält, zwingt sie das nicht dazu, die deutsche Justiz zum Turnierplatz für die Ehre eines ausländischen Staatsoberhaupts zu machen.

Nach meiner Meinung hat Merkel viele gute Gründe, den Fall an dieser Stelle zu beenden. Sie könnte Herrn Erdogan in aller Freundschaft darauf verweisen, dass er jederzeit vor dem deutschen Zivilgericht klagen kann. Auf Unterlassung, zum Beispiel. Oder sogar auf 3 Milliarden Euro Schmerzensgeld.

Ich bin sehr gespannt, wessen Wohl Merkel wichtiger ist.

Wie oft muss man Mails lesen?

Wie oft muss ein Anwalt seine E-Mails lesen? Eine ebenso interessante wie strenge Sicht vertritt zu dieser Frage das Oberlandesgericht Jena.

Ein Jurist hatte – laut seinem Briefkopf – sein Büro um 8.00 Uhr geöffnet und um 8.56 Uhr für seinen Mandanten einen Schriftsatz ans Gericht geschickt. Dabei hatte er aber nicht zur Kenntnis genommen, dass der Mandant ihm kurz nach Mitternacht gemailt hatte, er wünsche doch keine anwaltliche Tätigkeit.

Die Gebühren für den Schriftsatz hat der Anwalt nicht verdient, meinen die Richter am Oberlandesgericht. Eröffne der Rechtsanwalt eine Kommunikation über E-Mail,so müsse er dafür sorgen, dass eine Kenntnisnahme eingegangener E-Mails jedenfalls während der üblichen Bürozeiten möglich ist und auch erfolgt.

Ob das Zeitfenster für die Kenntnisnahme von E-Mails grundsätzlich so klein ist, wage ich mal zu bezweifeln. Aber hier ging es ja auch „nur“ um Gebühren für letztlich überflüssige Arbeit. Vielleicht hätte der Anwalt einfach nicht seine Bürozeiten auf den Briefkopf schreiben sollen…

Zusammenfassung des Beschlusses auf haufe.de

Kranker darf Cannabis anbauen

Schwerkranke dürfen zu Hause Cannabis anbauen, wenn sie den Stoff aus medizinischen Gründen benötigen. Dies gilt zumindest dann, wenn sich der Kranke Cannabis aus der Apotheke nicht leisten kann. Mit dieser Entscheidung beendet das Bundesverwaltungsgericht einen langen Streit. Der an Multipler Sklerose erkrankte Betroffene hatte bereits im Jahr 2000 beantragt, selbst Cannabis anbauen zu dürfen.

Die Richter sehen kein grundsätzliches Verbot für einen kontrollierten Eigenanbau. So halten sie den Erkrankten für hinreichend zuverlässig, denn es spreche nichts dafür, dass er das Cannabis weitergibt. Durch Auflagen, zum Beispiel regelmäßige Kontrollen, könne die private Aufzucht auch hinreichend kontrolliert werden. Die „Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs“ sei damit gewährleistet. In diesem Fall gehe das Therapiebedürfnis des Klägers so weit, dass der Behörde letztlich kein Ermessen mehr bleibe. Sie müsse den Anbau genehmigen, dies gebiete das Grundrecht des Klägers auf körperliche Unversehrtheit.

Bei dem Kläger ist es aber so, dass dieser sich Cannabis aus der Apotheke, den sogenannten Medizinalhanf, finanziell nicht leisten kann. Seine Krankenkasse will die Kosten nicht übernehmen. Außerdem gibt es keine zugelassenen Arzneimittel, die genau so gut wirken. Die Entscheidung gibt also (noch) nicht unumschränkt grünes Licht für den Eigenanbau durch Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen (Aktenzeichen 3 C 10.14).

Justiz ermittelt gegen Jan Böhmermann

Worüber ich am Montag eher noch spekuliert habe, wird jetzt Realität: Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen dessen Schmähgedichts gegen den türkischen Präsidenten Erdogan. Insgesamt seien rund 20 Anzeigen eingegangen, berichtet die Tagessschau.

Da auch die Türkei Vorschriften über den Ehrenschutz von Staatsoberhäupern hat und die diplomatischen Beziehungen bestehen, ist die gesetzliche Voraussetzung der Gegenseitigkeit erfüllt. Ob das Ermittlungsverfahren aber eventuell zu einem Ende geführt werden kann, hängt im wesentlichen von folgenden Voraussetzungen ab:

1. Der türkische Staatspräsident bzw. die türkische Regierung müssen ein Strafverlangen aussprechen.

2. Die Bundesregierung, vertreten durch das Auswärtige Amt, muss die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung ermächtigen.

So lange nicht beides erfüllt ist, müsste die Staatsanwaltschaft das Verfahren am Ende ohne Sachenentscheidung einstellen. Es läge dann nämlich ein sogenanntes Verfahrenshindernis vor. Andere Verfahrenshindernisse sind zum Beispiel sind zum Beispiel Verjährung oder der Tod des Beschuldigten.

Warmes Wasser für harte Jungs

Ein Strafgefangener, der nicht körperlich arbeitet und keinen Sport treibt, hat keinen Anspruch auf tägliches Duschen. Allerdings reicht es auch nicht aus, wenn er sich in seiner Zelle mit kaltem Wasser waschen kann. Vielmehr muss er mindestens vier Mal in der Woche warmes Wasser nutzen können, so eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm.

Ein Gefangener hatte verlangt, täglich duschen zu können. Das lehnen die Hammer Richter jedoch auch in diesem Fall ab, siehe auch den älteren Beitrag (siehe auch den Beitrag „Wie wäre es mit Stroh?“). Sie halten es für ausreichend, wenn im Knast zwei Mal wöchentlich geduscht wird.

Allerdings sei es auch nicht ausreichend, wenn sich ein Gefangener mit kaltem Wasser in seinem Haftraum waschen muss. An mehr als der Hälfte der Tage müsse ihm warmes Wasser zur Verfügung stehen. Ansonsten, so das Gericht, bestehe gerade in der kalten Jahreszeit die Gefahr, dass Gefangene sich nicht waschen und die Körperhygiene vernächlässigen.

Wie der Gefangene jetzt warmes Wasser in seine Zelle bekommt, das soll nun die Vorinstanz klären. Ich vermute eher, dass er ab sofort zumindest in den Genuss von vier Duschen in der Woche kommen wird (Aktenzeichen 1 Vollz (WS) 529/15).