Die Bundesregierung erlaubt, dass Jan Böhmermann auf der Grundlage des § 103 StGB verfolgt wird. Das hat Kanzlerin Merkel heute persönlich bekanntgegeben. Aber nicht nur das. Vielmehr hat Frau Merkel auch gesagt, dass die Regierung das Sondergesetz für beleidigte Potentaten als überflüssig und nicht mehr zeitgemäß erachtet. Demgemäß will sie den § 103 StGB durch den Bundestag abschaffen lassen.
Anders gesagt: Der Staatsanwaltschaft wird durch die Ermächtigung eine Verfolgung Jan Böhmermanns erlaubt, obwohl diejenigen, die die Verfolgung nun erlauben, den Straftatbestand abschaffen wollen. Hierzu sage ich nur: Finde den Fehler. Dann hätte es völlig unabhängig von der Frage, ob unsere Justiz nichts besseres zu tun haben sollte, als die Ehre eines überempfindlichen autoritären Regierungschefs zu schützen, doch sehr nahegelegen, wenn die Bundesregierung von ihrer gesetzlichen Entscheidungskompetenz nach § 104a StGB Gebrauch gemacht hätte: Keine Ermächtigung, weil Majestätsbeleidigung ohnehin bald obsolet. Und kein Interesse daran, dass die Meinungsfreiheit bei uns Schaden nimmt.
Damit hätte die Bundesregierung keineswegs gegen die Gewaltenteilung verstoßen. Das Gesetz schaltet eine Opportunitätsprüfung („Ist die Strafverfolgung politisch gewünscht?“) vor, erst nach positiver Antwort auf diese Frage haben die Juristen das Wort. Gerade die Erkenntnis, dass § 103 StGB eigentlich längst abgeschafft gehört, wäre ein sehr nachvollziehbarer Grund gewesen, das Verfahren gegen Jan Böhmermann erst gar nicht beginnen zu lassen. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass der Bundesregierung bei der Frage der Ermächtigung ein weiter Entscheidungsspielraum zusteht. Maßstab ist lediglich das Wohl des Volkes. Hätte sie daran etwas mehr gedacht, wäre Frau Merkel eine andere Entscheidung womöglich leichter gefallen.
Denn nun bahnt sich eine wahrlich absurde Situation an. Staatsanwälte dürfen nun ermitteln und je nach Ergebnis der Prüfung (deren Ergebnis keineswegs feststeht) Jan Böhmermann anklagen. Dann käme, wenn es nicht zu einer Einstellung kommt, ein Gerichtsverfahren in Gang. Es wird sicher nicht in drei Monaten beendet sein.
Und zwar schon deswegen nicht, weil weder Jan Böhmermann noch die Gerichte ein übertriebenes Interesse daran haben werden, zu einem schnellen Ergebnis zu kommen. Jedenfalls so lange, wie die Ankündigung von Frau Merkel steht, dass § 103 StGB möglichst schnell abgeschafft werden soll.
Zunächst mal ist Böhmermann nicht in Haft. Es besteht also keine Eile. Das bedeutet lange Wartezeiten, denn Richter müssen sich um dringende Sache kümmern. Gerade kleinere Strafprozesse ziehen sich, auch wegen der Belastung der Justiz mit Beleidigungspossen und sonstigem überflüssigen Kleinkram, gerne mal ins Unendliche.
Zum anderen sind weder Richter noch Staatsanwälte beruflich zu Autismus verpflichtet. Vielmehr werden sie sich bei einer absehbaren Abschaffung des Gesetzes nicht vordrängeln, um eine mögliche (rechtskräftige) Verurteilung Böhmermanns noch vor Abschaffung des Gesetzes hinzukriegen. Zumal sich ja ohnehin die interessante Frage stellt, ob es nicht sogar Rechtsbeugung wäre, wenn ein Richter kurz vor definitiver Abschaffung einer Strafnorm noch ein Urteil auf diese stützt.
Ach ja, das alles sind keine theoretischen Erwägungen. Nach § 2 StGB gilt nicht das Strafgesetz am Tattag, sondern im Falle einer Gesetzesänderung immer das mildeste Gesetz zum Zeitpunkt des Urteils. Wenn ein Paragraf völlig das Zeitliche segnen würde, gibt es also keine Grundlage für eine Verurteilung mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt werden oder der Angeklagte sogar freigesprochen werden müsste.