Gerichte sollen die Wahrheit herausfinden. Insbesondere Strafgerichte stützen sich dabei in erster Linie auf Zeugen. Es gibt hunderte von Abhandlungen darüber, wie riskant das ist. Denn gerade die Wahrnehmungen von Zeugen sind nur in den seltensten Fällen richtig. Selbst wenn der Zeuge noch nicht mal absichtlich lügt.
Gestern hatte ich mal wieder das Vergnügen, diese Einschätzung aus erster Hand bestätigt zu erhalten. Es ging um eine angebliche Nötigung im Straßenverkehr. Der Zeuge, der eine Zeit lang neben dem Auto meines Mandanten fuhr, war sich so was von sicher: Auf dem Beifahrersitz saß eine ältere Frau, die mindestens 70 Jahre alt ist und starr geradeaus schaute.
Von dieser Beobachtung war der Zeuge nicht abzubringen. Auch nicht, als er hörte, dass es zwar eine Beifahrerin gab, die aber höchstens halb so alt ist wie er meinte. (Und die, ich sage es mal so, auch nicht unbedingt aussieht wie eine Seniorin.)
In dem Fall hatte ich allerdings ein gutes Gegenbeweismittel in der Hinterhand, um die tolle Beobachtungsgabe des Zeugen zu entkräften. Eine knappe Minute nach dem Vorfall war das Auto meines Mandanten von einer Radarfalle geblitzt worden. Das Foto war auch noch von ansehnlicher Qualität.
Ich hätte es dem selbstsicheren Zeugen gern vorgelegt und seine Reaktion gesehen. Aber der Richter wusste ja auch von dem Radarfoto. Er sah selbst, dass die so selbstsichere Beschreibung der vermeintlichen Seniorin auch die anderen Beobachtungen des Zeugen wackelig machte. Da war es nicht mehr schwer, um sich vom Vorwurf der Nötigung gegenüber meinem Mandanten zu verabschieden. Und zwar in Form einer (fairen) Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Auflage.
So viel Glück hat man aber nicht immer bei Zeugen, die von sich selbst überzeugt sind.