In einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht geht es darum, ob mein Mandant bei der Polizei von sich Fotos machen lassen und seine Fingerabdrücke abgeben muss. Dazu ist er nach dem Gesetz in seinem Bundesland verpflichtet, wenn auch künftig Straftaten von ihm zu erwarten sind. Also über jene Tat hinaus, wegen der er bereits einen Strafbefehl bekommen hat.
Die Polizei begründet die Wiederholungsgefahr wie folgt:
Es darf daher im konkreten Interesse der Allgemeinheit nicht unterstellt werden, dass es sich um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt hat. Die Gefahr der Wiederholung besteht auch insbesondere deshalb, weil ein Sexualdelikt immer von einer besonderen Veranlagung oder Neigung des Täters geprägt ist. Schon deshalb muss von einer Wiederholungsgefahr, auch bei erstmaliger Begehung, ausgegangen werden.
Schauen wir uns die Aussagen mal an. „Im Interesse der Allgemeinheit“ darf also nicht unterstellt werden, dass es sich um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt. Mit anderen Worten: Wer einmal erwischt wurde, hat bislang doch sowieso nur Glück gehabt.
Es mag zwar sein, dass die Unschuldsvermutung im Verwaltungsrecht nicht so streng gilt wie in der Strafprozessordnung. Dass man aber einfach sagt, so lange du nicht belegst, dass du nur eine Straftat begangen hast, so lange gehen wir davon aus, dass du Mehrfachtäter bist, war mir bislang neu.
Wenn das zieht, ist künftig jede Gegenrede aussichtslos. Wie soll man denn belegen, dass man keine Straftaten begangen hat?
Interessant ist auch die Behauptung, dass ein Sexualdelikt immer von einer besonderen Veranlagung oder Neigung geprägt ist. Es wäre, um das naheliegendste Beispiel aufzugreifen, zum Beispiel einfach, wenn nur pädophil veranlagte Menschen Kinder missbrauchen. Tatsächlich gehen die weitaus meisten Missbrauchsfälle von Kindern aber auf das Konto von Menschen, die gar nicht pädophil im engeren Sinne sind.
Nun ja, lassen wir den Hinweis mal so stehen. Er dient ja auch nur zur rhetorischen Unterfütterung des Fazits vom Ganzen: Eine Wiederholungsgefahr muss schon bei erstmaliger Begehung angenommen werden, Ausnahmen gibt es nicht. Wobei die Betonung natürlich ganz stark auf muss liegt.
Als Anwalt regt man sich übrigens nur bedingt über so eine Argumentation auf. Schöner kann ein Polizeibeamter nämlich nicht dokumentieren, dass er sein Handwerk zumindest beim Abfassen von Bescheiden nicht versteht. Denn wenn das Gesetz der Behörde wie im vorliegenden Fall ein „Ermessen“ einräumt, muss der Beamte dieses Ermessen auch ausüben. Das tut er aber gerade nicht, wenn er auch noch hinschreibt, dass ihm nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist.
Auch Verwaltungsrichter lesen derartiges in so kondensierter Form eher ungern. Deshalb bin ich jetzt erst mal guter Dinge, wenn die Sache demnächst verhandelt wird.