Unwürdig

Ein mehrfach vorbestrafter Jura-Absolvent darf kein Rechtsreferendariat ableisten. Das Oberverwaltungsgericht Münster hält ihn für „unwürdig“.

Der Betroffene ist Mitglied im Bundes- und Landesvorstand der Partei „Die Rechte“ sowie der mittlerweile verbotenen „Kameradschaft Hamm“. Er ist in der Zeit von 2004 bis 2015 insgesamt zehn Mal strafrechtlich verurteilt worden, unter anderem wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, mehrfacher Beleidigung, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Mit seinem Eilantrag vor dem Oberverwaltungsgericht wollte er nun erreichen, dass er zum juristischen Vorbereitungsdienst zugelassen wird. Er berief sich auf sein Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und wies – nachvollziehbar – darauf hin, dass er ohne Zweites Staatsexamen nur ein „halber Jurist“ mit entsprechend schlechten Berufsaussichten ist.

Normalerweise spielen Vorstrafen beim Rechtsreferendariat erst eine Rolle, wenn der Bewerber mindestens zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Diese Grenze nennt das Ausbildungsgesetz als Regelfall. Das war bei dem Bewerber jedoch nicht der Fall, denn alle seine Strafen waren Geldstrafen oder deutlich kürzer. Dennoch, so das Oberverwaltungsgericht, sei der Mann „unwürdig“. Das wird folgendermaßen begründet:

Jeder Bewerber müsse die Erwartung rechtfertigen, er werde dem Berufsbild eines Volljuristen auch von seiner Persönlichkeit her im Verlauf der Ausbildungszeit gerecht. Der Vorbereitungsdienst diene der Ausbildung zu Berufen, deren wesentlicher Inhalt die Verwirklichung des Rechts sei. Vor diesem Hintergrund fehle es an der Würdigkeit, wenn der Bewerber schwer gegen das Recht verstoßen habe. Denn bereits während des Vorbereitungsdienstes müssten mitunter eigenverantwortlich Aufgaben für die ausbildenden Gerichte, Staatsanwaltschaften, Behörden und Rechtsanwälte wahrgenommen werden.

Die politische Ausrichtung des Bewerbers wird mit keinem Wort erwähnt. Wenn es also nur auf die Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung ankommt, dann muss ich sagen, haben einige mir bekannte Volljuristen durchaus Glück gehabt. Ich kenne etwa einen eingefleischten Ultra, der in seiner Karriere als Fußballfan mindestens ebenso viele kleinere Vorstrafen gesammelt hat. Dennoch ist er heute Volljurist und Partner einer mittelständischischen Kanzlei.

Außerdem fällt mir ein agiler Mandant ein. Er hat sich sein Jurastudium und seinen ersten Ferrari mit pfiffigen Anlagemodellen für Leute mit zu viel Schwarzgeld verdient. Nach seinen paar Verurteilungen, um die wir am Ende nicht herumkamen, hat bei seiner Einstellung in den Vorbereitungsdienst kein Hahn gekräht.

Das kann man im Vergleich zu dem aktuellen Fall seltsam finden, ich tue es jedenfalls. Das heißt nicht, dass ich die Gesinnung des Bewerbers sympathisch finde. Ihm aber deswegen die Tür in eine berufliche Zukunft zuzuschlagen, finde ich ebenso wenig sympathisch (Aktenzeichen 6 B 733/15).