„Dann plädieren wir halt auf unzurechnungsfähig.“ Das ist ein Vorschlag, den Mandanten gerne machen. Weil sie hoffen, auf diesem Weg um eine Freiheitsstrafe herumzukommen. Ich bin bei dieser Idee immer sehr zurückhaltend. Warum, das illustriert ein Fall, der hier nachzulesen ist.
Seit 27 Jahren sitzt ein Mann in der Psychiatrie. 14 Jahre wegen Sexualdelikten, seit 2002 wegen einer gefährlichen Körperverletzung. Alleine diese letzten 13 Jahre wegen der Körperverletzung gehen an die oberste Grenze, die es überhaupt für Freiheitsstrafen gibt. 15 Jahre kann man nämlich maximal bekommen. Und zwar insgesamt. Selbst bei Mord, dem einzigen Ausnahmefall, soll zu diesem Zeitpunkt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Entlassung realistisch sein.
Dabei lautete die verhängte Gefängnisstrafe für die gefährliche Körperverletzung lediglich ein Jahr und neun Monate. Mit anderen Worten: Der Betroffene sitzt jetzt rund sechs Mal länger wegen der Sache, als er dies ohne Schuldunfähigkeit etc. hätte tun müssen.
Der Grund hierfür ist ganz einfach: Mit der Segnung der Unzurechnungsfähigkeit lösen sich die eigentlichen Strafgrenzen auf. Nach oben gibt es zunächst kein Limit. Vielmehr muss lediglich in regelmäßigen Abständen darüber entschieden werden, ob der Verurteilte noch „gefährlich“ ist. Bei dieser Frage werden die Richter von Psychiatern und dem Klinikpersonal beraten. Und die Tendenz geht schon seit längerer Zeit zu teilweise extremer Vorsicht. Die Entlassung ist da schnell kein abseh- und einschätzbarer Regelfall. Sie wird vielmehr zur Ausnahme, um die man hart, mitunter auch verzweifelt kämpfen muss.
Eine überschaubare Haftstrafe kann sich also via Psychiatrie in ein faktisches Lebenslänglich verwandeln. Ich finde, dieses Risiko sollten sich Angeklagte zumindest bewusst sein. Unzurechnungsfähigkeit mehr oder weniger zu simulieren, davon rate ich jedenfalls immer ganz entschieden ab.