Die Wahrheitsfindung ist ein schwieriges, riskantes Geschäft. Das zeigt die Geschichte von Michael Kenneth McAlister. Der Amerikaner saß fast 29 Jahre in Haft. Für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, wie sich jetzt herausstellte. McAlister sah lediglich einem Täter ähnlich, der eine Frau tatsächlich überfallen und missbraucht hatte.
Maskierte Täter, schlechtes Licht, keine oder wenige brauchbare Spuren und vor allem keine belastbaren Zeugen für das eigentliche Geschehen – das sind nur einige Zutaten, die dann in einen Indizienprozess münden. So was gibt es nicht nur in den USA. Sondern auch bei uns. Jeden Tag.
Die besondere Problematik für einen Strafverteidiger liegt in solchen Fällen darin, dass vom Polizeibeamten über den Staatsanwalt bis zum Richter natürlich alle im Ergebnis die Hypothese zu Grunde legen, dass der Verdächtige auch der Täter ist. Ich muss als Anwalt gegenläufig denken, unbedingt von der Unschuld des Beschuldigten ausgehen. Das bedeutet notgedrungen, die dürftigen Tatsachen aus allen Blickwinkeln zu hinterfragen und durchaus auch das (fast) Unmögliche für möglich zu halten. Zum Beispiel den schier unglaublichen Zufall. Deshalb muss man als Anwalt manchmal auch Beweisanträge stellen, die (hoffentlich nur zunächst) mit Kopfschütteln quittiert werden.
Diese Sicht der Dinge fällt dir als Anwalt übrigens am leichtesten, wenn dein Mandant nicht mal dir gegenüber ein Geständnis abgelegt hat, so er denn dazu in der Lage ist. Das ist einer der Gründe, warum du als Anwalt gerade in solchen Fällen normalerweise den Menschen vor dir jedenfalls nicht selbst direkt fragst, ob er die Tat begangen hat. Das erleichtert es übrigens auch, sich später nicht unnötig schlaflos im Bett zu wälzen, sofern der Mandant freigesprochen worden ist.