Heute rief mich eine Richterin an. Sie wollte den Verhandlungstermin über die Berufung in einer Strafsache vereinbaren. Ich dachte bei dem Fall, den sie nannte, zunächst an ein Versehen. Der Name der Angeklagten sagte mir, offen gestanden, nichts.
Im Gespräch stellte sich heraus, dass meine Erinnerungslücke wohl keine pathologischen Ursachen hat. Denn es handelt sich um eine Sache, die ich erst von einem anderen Anwalt übernommen hatte, nachdem die Mandantin in erster Instanz wegen Körperverletzung verurteilt worden war. Ich hatte damals erst mal nur fristwahrend Berufung eingelegt und ein Gespräch mit der Mandantin geführt. In dem wir so verblieben, dass wir erst mal abwarten, wann es zum Verhandlungstermin kommt.
Ich konnte mich schlicht nicht erinnern, weil das Urteil schon länger zurückliegt. Und zwar dreidreiviertel Jahre. Das ist schon mal ein stattlicher Zeitraum. Besser wird es nicht dadurch, dass es sich um eine Jugendstrafsache handelt. Die Mandantin war zum Zeitpunkt ihrer angeblichen Tat gerade mal 15 Jahre alt. Heute ist sie schon volljährig.
Da fragt man sich, welchen Sinn die Strafe überhaupt noch haben kann. Im Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke an erster Stelle. Das bedeutet auch, die Strafe soll auf dem Fuße folgen. Davon kann man hier ja nun kaum noch reden. Jedenfalls wird man in der Verhandlung noch mal intensiv darüber nachdenken müssen, welche Sanktion heute noch angemessen sein könnte – sofern meine Mandantin überhaupt verurteilt wird. Die Erinnerung von Zeugen dürfte sich in der Zeit auch nicht unbedingt verbessert haben.
Schon damals hatte die Betroffene übrigens „nur“ eine Woche Dauerarrest und 20 Arbeitsstunden erhalten. Ja, damals…
Der Richterin, welche auch nur die Altlasten eines Vorgängers abarbeitet, käme eine Einstellung da schon gelegen. Das sagte sie auch offen. Momentan scheitert es aber noch an der Staatsanwaltschaft. Die stimmt einem Verfahrensende ohne Hauptverhandlung nicht zu. Wodurch dann halt wieder ein anderes Verfahren auf die lange Bank geschoben werden muss, und so weiter und so fort.