Über Rechtsfragen kann man natürlich immer streiten. Das ist der Job von uns Juristen. Manchmal überrascht es mich schon, wie zum Beispiel Strafverfolger bei ihrer Arbeit die Rechtslage außer acht lassen oder jedenfalls grob falsch bewerten. Hier ein Beispiel:
Meinem Mandanten wird unter anderem zur Last gelegt, er habe eine junge Frau, die zu ihm bei Besuch war, sexuell genötigt. Richtig ist, dass er, als sie vor seinem PC saß, ihr von hinten einige Zeit über die Brüste streichelte und dabei in freundlichem Ton gestand, er sei in sie verliebt. Selbst in mehrfachen Vernehmungen und bei höchst suggestiver Befragung durch eine engagierte Kommissarin blieb die Frau dabei, sie habe sich nicht gewehrt. Sie habe auch keine Signale gegeben, dass sie das nicht will. Nach dem Vorfall, über den später nicht mehr gesprochen wurde, gab es auch keinen Streit oder ähnliches.
Es mag einem gefallen oder nicht. Aber nach geltendem Recht scheidet hier eine Sexualstraftat aus. Denn dazu bedarf es zumindest bei Erwachsenen stets des Einsatzes von Gewalt, der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder den Umstand, dass das Opfer dem Täter schutzlos ausgeliefert ist.
Das erkannte der Staatsanwalt auch. Allerdings greift er behend zu einer Notlösung. Statt das Verfahren in diesem Punkt einzustellen, klagt er meinen Mandanten an – wegen Beleidigung. Dabei steht in wirklich jedem Strafrechtskommentar in breitester Ausführlichkeit, dass es keine „Geschlechtsehre“ als solche gibt. Und dass die Beleidigungsdelikte kein Auffangstatbestand sind, um straflose sexuelle Handlungen doch zu bestrafen.
Vielmehr ist es für eine Beleidigung immer erforderlich, dass die sexuelle Handlung als solche eine besondere Missachtung des Opfers zum Ausdruck bringt. Es gibt unzählige Urteile, die sich lang und breit mit genau diesen Fragen beschäftigen und betonen, dass es eben gerade besonderer Umstände bedarf, um aus einer sexuellen Handlung auch eine Ehrverletzung zu machen.
Ich bin etwas geknickt, weil ich die Rechtslage in zwei Schriftsätzen wirklich detailliert dargestellt habe. Und sogar noch Telefonate mit dem Staatsanwalt führte, in denen ich zumindest das Gefühl hatte, er versteht was ich meine. Wie auch immer, jetzt darf ich mein Glück beim Gericht versuchen und darauf hoffen, dass die Anklage in diesem Punkt nicht zugelassen wird.