Ein Freispruch ist ein Freispruch. An sich. Leider hat sich bei uns mittlerweile der Freispruch zweiter Klasse etabliert. Darin bringen Gerichte gern zum Ausdruck, dass sie den Angeklagten für schuldig halten – es aber letztlich nicht beweisen können. Dieser Rechtsprechung tritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun entgegen.
Ein Mann aus Münster war angeklagt, seine Tochter sexuell missbraucht zu haben. Nach umfangreicher Beweisaufnahme kam das Landgericht Münster zu einem Freispruch. Gleichzeitig hieß es aber im Urteil:
So geht die Kammer im Ergebnis davon aus, dass das von der Zeugin geschilderte Kerngeschehen einen realen Hintergrund hat, nämlich dass es tatsächlich zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten zu Lasten seiner Tochter in seinem Auto gekommen ist. Die Taten ließen sich aber dennoch weder ihrer Intensität noch ihrer zeitlichen Einordnung nach in einer für eine Verurteilung hinreichenden Art und Weise konkretisieren. Die Inkonstanzen in den Aussagen der Zeugin waren so gravierend, dass konkrete Feststellungen nicht getroffen werden konnten.
Diese Verurteilung im Rahmen eines Freispruchs wollte der Betroffene nicht auf sich sitzen lassen. Er prozessierte bis vor das Bundesverfassungsgericht, aber dort nahm man seine Sache nicht mal zur Entscheidung an. In Straßburg fand er nun Gehör.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist darauf hin, dass Richter im Urteil zwar darlegen dürfen, welche Umstände für und welche Umstände gegen den Angeklagten sprechen. Aber die Unschuldsvermutung gelte auch für die Richter selbst. Wenn ein Tatnachweis nicht möglich sei, dürfe eine Tat nicht trotzdem als geschehen dargestellt werden.
Der Kläger bekommt eine Entschädigung von insgesamt 10.000 Euro netto.