Bei uns gilt ja der Grundsatz, dass man als Beschuldigter im Strafverfahren schweigen darf. Uns sogar lügen. Schon das Schweigerecht hilft nicht nur beim eigentlichen Vorwurf, sondern führt mitunter dazu, dass eine Geldstrafe erfreulich niedrig ausfällt.
Staatsanwalt und Richter schätzen in der Praxis nämlich das Einkommen des Betroffenen. Theoretisch können sie natürlich auch selbst ermitteln, zum Beispiel beim Finanzamt, der Hausbank oder dem Arbeitgeber nachfragen. Das passiert aber schon aus Zeitgründen und dem damit verbundenen Aufwand nur ganz, ganz selten.
Das hat vor allem positive Auswirkungen für Gutverdiener, wenn diese sich bei Angaben zu ihrem Einkommen vornehm zurückhalten. Das zeigte neulich mal wieder einer meiner Fälle. Der Mandant soll ein Verkehrsdelikt begangen haben. Das Gericht erließ einen Strafbefehl über 50 Tagessätze á 70 Euro = 3.500 Euro Geldstrafe. Die Höhe des Tagessatzes ergibt sich aus dem täglichen Nettoeinkommen. Wer also beispielsweise 1.500 Euro im Monat auf dem Gehaltszettel stehen hat, kommt als beispielsweise auf einen Tagessatz von 50 Euro.
Der Tagessatz von 70 Euro entsprach bei meinem Mandanten also einem geschätzten Einkommen von 2.100 Euro netto. Nun ja, aus anderen Zusammenhängen weiß ich sehr genau, was auf seiner Gehaltsabrechnung steht. Vor zwei Jahren waren es schon 18.000 Euro netto, und heute sitzt er im Bürotower seines Arbeitgebers schon wieder zwei Etagen höher.
Schon die erwähnten 18.000 Euro hätten den individuellen Tagessatz schmerzhaft nach oben geschraubt. Nämlich auf 600 Euro. 70 Tagessätze á 600 Euro summieren sich aber auf eine Gesamtgeldstrafe von 42.000 Euro.
Ich brauchte nur ein paar Minuten, um dem Mandanten die Chancen und Risiken einer Hauptverhandlung zu vermitteln. An der Tat selbst gab es nur wenig zu rütteln. Selbst wenn wir 10, vielleicht 15 Tagessätze runtergehandelt hätten, bestand das naheliegende Risiko, dass Staatsanwalt oder Richter mitbekommen, wie weit sie mit ihrer Einkommensschätzung daneben liegen. Den Achtungserfolg bei der Anzahl der Tagessätze hätte der Mandant dann trotzdem mit zwei bis vier wunderbaren Urlaubsreisen bezahlt.
Der Strafbefehl ist mittlerweile rechtskräftig. Ich warte schon gespannt darauf, von wo der Mandant eine Ansichtskarte schickt.