Manchmal braucht man als Verteidiger auch etwas Glück. Zum Beispiel am Amtsgericht, als eine Richterin den Vater meines Mandanten in den Zeugenstand rief. Sie belehrte ihn, dass er als Vater des Angeklagten nichts sagen muss, da ihm das Gesetz ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zubilligt.
Der Vater meines Mandanten machte von dieser Möglichkeit dankend Gebrauch. Er durfte nach einer Minute wieder gehen. Auch mir war das recht. Und meinem Mandanten erst. Denn sein Vater war möglicherweise Augenzeuge einer der Taten, die meinem Mandanten zur Last gelegt wurden. Er hätte mutmaßlich nichts Erfreuliches berichten können.
Tja, das ist gut gelaufen. Denn Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht hatten etwas übersehen. Dass der Vater meines Mandanten zwar als Vater fühlt und wie ein Vater handelt, er im rechtlichen Sinn aber kein Vater ist. Vielmehr war mein Mandant mit anderthalb Jahren in der Familie aufgenommen worden. Er ist dort durch Vermittlung des Jugendamtes als Pflegekind aufgewachsen.
Interessanterweise haben Pflegeeltern bei uns keinerlei Zeugnisverweigerungsrechte, selbst wenn sie das Kind wie ihr eigenes Kind erzogen haben. Es gab zwar mal Diskussionen über diese durchaus wichtige Frage, aber zu einer Gesetzesänderung hat es offensichtlich nicht gereicht.
Ich persönlich sah im Gerichtssaal keinen Grund, aktiv Aufklärung zu betreiben. Zum ersten war die Pflegschaft an einer Stelle der – zugegeben dicken – Ermittlungsakte sogar erwähnt. Lesen hätte also geholfen. Zum zweiten bin ich als Verteidiger der einzige im Gerichtssaal, der wirklich alles unterlassen muss, was dem Angeklagten schaden könnte. Deshalb erzähle ich die Geschichte übrigens auch erst jetzt. Das Urteil ist seit geraumer Zeit rechtskräftig.